Braunkohletagebau Garzweiler Holzweiler feiert Rettung vor Baggern

Erkelenz · Die Nachricht, dass der Braunkohletagebau Garzweiler II ihr Dorf wohl verschont, hat die Menschen in Holzweiler elektrisiert. Dort hatte man sich schon auf eine Umsiedlung eingestellt. Einige Bürger sind aber auch skeptisch.

Streit um vorzeitiges Aus für Tagebau
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Seit gestern freut sich Felix Schwinger aus dem Dorf Holzweiler wieder aufs Älterwerden. Der Elfjährige habe immer gesagt, er wolle nicht groß werden, weil dann die Bagger kämen, erzählt Mutter Rita Schwinger. Deshalb war er der Erste, den die 40-Jährige gestern Nachmittag darüber informierte, dass ihr Ort wohl vom Braunkohle-tagebau Garzweiler II verschont werde. "Wir sind verhalten euphorisch", sagt Rita Schwinger. Seit 14 Jahren lebt die vierköpfige Familie in Holzweiler und hatte sich wegen der tollen Nachbarschaft nur schweren Herzens damit arrangiert, ihr Haus irgendwann aufgeben zu müssen. "Jetzt gehen wir davon aus, dass wir bleiben dürfen, dass unser Stückchen Heimat erhalten bleibt."

Auch der Erkelenzer Bürgermeister Peter Jansen (CDU) reagierte begeistert. "Für Holzweiler ist diese Entwicklung super", sagt er. "Ich hätte gerne auch Keyenberg, Kuckum, Berverath, Ober- und Unterwestrich gerettet — aber das, was jetzt erreicht wurde, ist der Erfolg der Bemühungen in den vergangenen Monaten."

Chronik des "Rheinischen Reviers"
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Der vom Energiekonzern RWE betriebene Braunkohletagebau Garzweiler II soll nach dem Willen der rot-grünen Landesregierung verkleinert werden. Dadurch müssten 1400 Menschen weniger aus dem Abbaugebiet zwangsumgesiedelt werden als ursprünglich geplant. Etwa 300 Millionen von insgesamt 1,3 Milliarden Tonnen Braunkohle sollen nicht ausgebaggert werden.

Auch das Holzweiler Ehepaar Ivonne und Michael Schmitz freut sich über die Nachricht. Die 43-Jährige reagiert aber deutlich gelassener als ihr Mann. "Das freut mich für Holzweiler", sagt sie, "aber meinen Heimatort Immerath rettet diese Nachricht auch nicht mehr. Eigentlich ist es sogar eine Frechheit." Ivonne Schmitz-Hilgers stammt aus Immerath, dem Nachbarort von Holzweiler. Vor einem Jahr haben die beiden ihr Haus in Immerath zurücklassen müssen. Wegen der Braunkohle. Von Tagebaubetreiber RWE wurden sie von Immerath (alt) nach Immerath (neu) umgesiedelt.

Gestern Nachmittag wollten Ivonne und Michael Schmitz mit dem Autoanhänger noch ein paar Sachen von dem alten Grundstück in Immerath (alt) abholen und in ihren neuen Wohnort bringen, als sie unterwegs von der Nachricht aus Düsseldorf erfuhren. "Für die Menschen in den Vereinen freut mich das riesig", sagt Michael Schmitz, "sie haben nach so vielen Jahren der Unsicherheit endlich wieder eine Perspektive." Das sei ein Festtag für den Fußballverein, die Bruderschaft und die übrigen Vereine in Holzweiler. "Hier gibt es eine Menge Tradition, und es ist wunderbar, dass diese nun erhalten bleibt", sagt Michael Schmitz.

Während Vereinsvertreter aus Holzweiler gestern die Sektkorken knallen ließen und es am Abend bei der Generalversammlung des örtlichen Fußballklubs SV Holzweiler 1920 im Vereinslokal Haus Krummen nur ein Thema gab, reagierten viele Geschäftsleute deutlich zurückhaltender auf die Nachricht aus Düsseldorf. Gasthof-Chefin Irene Krummen, die seit 28 Jahren in dem Gasthaus neben der Kirche St. Cosmas und Damian regelmäßig hinter der Theke steht und ihre Gäste bewirtet, hat Tränen in den Augen. Aber nicht vor Freude. "Ehrlich gesagt, ist es ein Schock. Finanziell ist diese Entwicklung überhaupt nicht gut für uns", sagt sie. Wegen der drohenden Umsiedlung habe sie schon seit Jahren nicht mehr in ihr Gasthaus investieren können. Die Immobilie, eine 110 Jahre alte Hofanlage, sei kaum noch etwas wert, das wüssten auch die Banken. Jetzt fällt auch noch die Entschädigung von Tagebaubetreiber RWE weg. Wie es nun weitergeht, weiß Irene Krummen noch nicht so genau. "Ich hoffe, dass uns wenigstens noch die paar Kunden bleiben, die uns trotz der drohenden Umsiedlung jahrelang die Treue gehalten haben", sagt Irene Krummen.

Während die Gasthof-Chefin wohl in ihrem Heimatort bleiben kann, müssen aber rund 1600 Bewohner aus fünf Gemeinden wie geplant ihre Häuser räumen. Denn die Landesregierung hat die energiepolitische Notwendigkeit bestätigt, mindestens bis 2030 weiterhin Braunkohle in den Tagebauen des rheinischen Reviers bei Erkelenz abzubauen. Die bisherigen Planungen für den 48 Quadratkilometer großen Tagebau reichen bis zum Jahr 2045.

Für die Menschen in Jüchen ist die Umsiedlung schon längst Lebenswirklichkeit. Sie mussten seit den 1980er Jahren den Braunkohlebaggern weichen. Dieter De Girolami, früher im Umsiedlungs- und im Gestaltungsbeirat, wäre froh gewesen, wenn er nicht hätte umsiedeln müssen: "Wir wären gerne im alten Ort Garzweiler geblieben und hätten dort neu gebaut. Denn was haben wir denn für einen Vorteil gehabt? Das ist kein gewachsenes Dorf mehr. Nur noch maximal 50 Prozent der ursprünglichen Bewohner leben dort."

Ähnlich sieht das Erwin Cremer aus Priesterath, Vorsitzender der Dorfgemeinschaft: "Zu 70 Prozent sind unsere Umsiedler nicht schuldenfrei aus der Sache rausgekommen. Es gibt viele Schattenseiten der Umsiedlung." Und Hermann-Josef Weidemann, Vorsitzender der Dorfgemeinschaft Otzenrath-Spenrath, glaubt nicht, dass der Tagebau früher aufhören wird. "Das zu behaupten ist Taktik."

In Holzweiler müssen sich die Menschen aber auf die Signale aus Düsseldorf verlassen. Rita Schwinger wollte am Abend zum alljährlichen Rosendrehen, der Vorbereitung aufs Schützenfest — ihr Mann Raphael war vergangenes Jahr Schützenkönig. Bei einem Gläschen Sekt drehen 40 Frauen Krepprosen. Es könnte feucht-fröhlicher werden als sonst, vermutet sie. "Man traut sich wieder, sich auf sein Heim und seine Heimat einzulassen."

(RP)
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