Christoph Zöpel zum 70. Geburtstag "Die NRW-Hochschulen waren revolutionär"

Düsseldorf · Zum 70. Geburtstag des Landes Nordrhein-Westfalen befragte unsere Redaktion den früheren Städtebau- und Verkehrsminister Christoph Zöpel (SPD). Für den früheren "Zukunftsminister" im Kabinett von Johannes Rau ruhen die Hoffnungen Nordrhein-Westfalens auf den vielen Hochschulen.

 Nordrhein-Westfalen feiert seinen 70. Geburtstag.

Nordrhein-Westfalen feiert seinen 70. Geburtstag.

Foto: dpa, ve vfd

Nordrhein-Westfalen ist als Kunstgebilde gestartet. Ist es jetzt mehr?

Zöpel NRW ist ein effektiver und leistungsfähiger Staat geworden. Hier ist Großbritannien als Gründerin des Landes das gelungen, was es im Nahen Osten mit Staatsbildungen für Araber nicht geschafft hat.

Warum war Nordrhein-Westfalen gleich zu Beginn der wirtschaftsstärkste Raum der Bundesrepublik?

Zöpel Kohle und Stahl waren zwingend erforderlich am Anfang des Wiederaufbaus Deutschlands. Davon hat Nordrhein-Westfalen überproportional profitiert. Es wurde zum wirtschaftlichen Herz der Bundesrepublik. Wer genauer hinschaute, hat aber schon damals erkannt, dass die große Zeit der Montanindustrie vorüber war. Im Grunde wurde Nordrhein-Westfalen auf einer Wirtschaftsstruktur aufgebaut, die schon seit den 30er Jahren, so wie in den USA, überholt war. Die Zukunft galt schon damals der Konsumgüterindustrie und den neuen produktiven Technologien.

Hätte man gegensteuern können?

Zöpel Theoretisch ja, politisch nicht.

Warum nicht?

Zöpel Die Landesregierung hatte keine Zuständigkeit für die Montanindustrie, sie unterlag der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der Montanunion. Die Unternehmen in Ruhr hatten wegen der Montanmarktaufsicht in Brüssel keine Möglichkeit zu diversifizieren. Die Struktur der Ruhr-Wirtschaft wurde konsequent konserviert. Das ist der Grund, warum Nordrhein-Westfalen zurückgefallen ist, obwohl sich das Land außerhalb der Ruhr gut entwickelte.

Immerhin hat NRW in den 60er und 70er Jahren die meisten Universitäten in Deutschland gegründet.

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Foto: Land NRW/Stadt Düsseldorf

Zöpel Das war in der Tat eine sozialökonomische Revolution, die das Land auch in Zukunft ökonomisch entscheidend prägen wird. Die Bildungspolitik in den 50er Jahren war restaurativ. Es sollte nur der studieren, für den es innerhalb einer bürgerlichen Welt auch einen Arbeitsplatz gab - in der Verwaltung, in der Forschung, in der Schule, in den freien Berufen. Das reichte aber nicht für eine sich modern weiterentwickelnde Gesellschaft. In NRW haben die Veränderung zwei Männer bewirkt: In der Spätphase der CDU-Regierungen der Kultusminister und Professor Paul Mikat und für die sozialliberale Koalition Wissenschaftsminister Johannes Rau, der in einem Jahr fünf Universitäten gründete - Paderborn, Siegen, Wuppertal, Essen, Duisburg. Übrigens hatte Rau kein Abitur.

Geschichte wird von Menschen gemacht. Wer waren die großen Persönlichkeiten der Landesgeschichte?

Zöpel Nordrhein-Westfalen ist das Land der Bundespräsidenten: Heinrich Lübke, Gustav Heinemann, Walter Scheel und Johannes Rau kamen aus NRW. Einer der bedeutendsten Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, kam aus Köln. Von den Ministerpräsidenten würde ich Karl Arnold, den ersten gewählten Regierungschef, Heinz Kühn, und natürlich Johannes Rau nennen. Kühn ist leider etwas vergessen. Dabei hat er in NRW die sozialliberale Koalition für den Bund vorgemacht. Dann hat er die erste Entwicklungsstrategie für die Ruhr auf den Weg gebracht. Rau und seine Minister konnten das fortsetzen.

Der Wandel ist ihnen aber nicht ganz gelungen. NRW liegt hinter Bayern, Hessen und Baden-Württemberg.

Zöpel Rau gab Nordrhein-Westfalen eine Identität. "Wir in NRW" lautete die Formel. Er hat sie glaubwürdig und zivilisiert gelebt. Dass Nordrhein-Westfalen heute ein in sich gefestigtes Bundesland ist, verdanken wir ihm. Die überlebte montanindustrielle Struktur in Ruhr hat er noch übernehmen müssen. Ihm war aber längst klar, dass dort nicht auf Dauer Kohle gefördert werden konnte. Aber das Ende verkünden konnte Rau mit Rücksicht auf die Industriegewerkschaften nicht. Das ist das Verdienst seines Nachfolgers Jürgen Rüttgers, der wegen seiner kurzen Regierungszeit von einer Legislaturperiode unterschätzt wird.

Wagen Sie einen Ausblick. Wird es NRW je schaffen, wieder die Nummer eins in Deutschland zu sein?

Zöpel Wenn ich ehrlich bin, sehe ich das zunächst nicht. Es fehlen in NRW noch immer außeruniversitäre Forschungsinstitute. Unternehmensneugründungen für die hochproduktive Wirtschaftsstruktur der Wissenschaftsökonomie brauchen Zeit. Dass jetzt Nullwachstum herrscht, ist Folge der Energiewende. Die kam aber nicht von Hannelore Kraft, sondern Merkel missachtete die strukturellen Wirkungen. Ohne die montanindustriellen Hypotheken der Ruhr könnte sich das Land sicher mit Bayern und Baden-Württemberg messen.

Martin Kessler führte das Gespräch.

(RP)
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