Nachfrage nach freien Abwehrmitteln steigt Polizei: "Pfefferspray bietet Frauen keine Sicherheit"

Düsseldorf · Die Nachfrage nach Pfefferspray ist derzeit so groß, dass es bereits Lieferengpässe gibt. Nach den Vorfällen in Köln herrscht Unsicherheit unter den Bürgern. Experten der Polizei warnen davor, sich mit solchen freien Abwehrmitteln zu bewaffnen. Denn das könnte im wahrsten Sinne des Wortes nach hinten losgehen.

 Pfefferspray wie dieses ist vielerorts ausverkauft.

Pfefferspray wie dieses ist vielerorts ausverkauft.

Foto: Matzerath, Ralph (rm-)

"Ausverkauft" — mit diesem Hinweisschild sind derzeit in den Geschäften viele Regale versehen, in denen normalerweise Pfefferspray stehen würde. Schon Ende vergangenen Jahres war das frei verkäufliche Abwehrmittel vielerorts ausverkauft, weil sich Hausbesitzer und Frauen in der dunklen Jahreszeit vor Übergriffen schützen wollten. Nach den Vorfällen in Köln gibt es jetzt sogar Lieferengpässe bei einigen Herstellern. Die Polizei beobachtet diese Entwicklung kritisch — und rät davon ab, sich selbst zu bewaffnen.

Der Besitz von Pfefferspray und anderen freiverkäuflichen Abwehrmitteln bringt gleich mehrere Probleme mit sich, erklärt Wolfgang Zacheja, Jugendschutzbeauftragter im Kommissariat Kriminalprävention der Essener Polizei. "Man kann sich strafbar machen, wenn die Dosen kein Prüfzeichen haben, denn dann sind sie in Deutschland nicht zugelassen", sagt er. Im Moment sind laut Roland Zobel vom Verband Deutscher Büchsenmacher und Waffenfachhändler (VDB) auch Spraydosen mit unzureichender Beschriftung im Umlauf. "Pfefferspray darf in der Regel nur gegen Tiere verwendet werden. Daher enthält es einen entsprechenden Hinweis." Ihn erreichten aber Meldungen, dass man derzeit auch Spray ohne Hinweis kaufen könne. "Die sind hier illegal. Wer solch eine Dose in seinem Besitz hat, verstößt gegen das Waffengesetz", so Zobel. Es drohen Geldbußen und damit einhergehend eventuell auch Vorstrafen.

Arnold Plickert, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in NRW, hält die Tendenz zur zunehmenden Bewaffnung für bedenklich: "Das ist der falsche Weg", sagt er. "Mehr Waffen bedeuten auch ein größeres Risiko, dass etwas passiert." Das sieht Zacheja genauso. "Wir hatten in Essen auch schon die Situation, dass das Opfer eine Waffe gezogen hat und die Sache dann genau gegenteilig ausgegangen ist", sagt er. Eine zunächst harmlose Situation, in der gerempelt und beleidigt wird, könne so schnell eskalieren. "Wenn einer eine Waffe zieht, bekommt das Ganze eine andere Qualität. Das ist also kein Schutz."

In Köln bei den Vorfällen in der Silvesternacht etwa hätte der Einsatz von Pfefferspray zur Verletzung Unbeteiligter oder einer Panik führen können, sagt Zacheja: "Vielleicht wären die Täter auch noch aggressiver geworden." Auch eine Schreckschusspistole, die ebenfalls ohne Waffenschein frei erhältlich ist, sei gefährlich. Man stelle sich vor, so der Jugendschutzbeauftragte, die Polizei werde zu einer Auseinandersetzung gerufen und sähe die Pistole, die einer scharfen Waffe zum Verwechseln ähnlich sieht. "Das ist ein trügerisches Sicherheitsgefühl", sagt Wolfgang Zacheja.

Wer in eine Gefahrensituation gerät, müsse versuchen, aus dieser möglichst schnell wieder herauszukommen. "Den Angreifer wegstoßen und sehen, dass man da wegkommt — das ist nicht feige", sagt Zacheja. Auch lautes Schreien — etwa: "Der packt mich an" — könne helfen. "Man muss die Öffentlichkeit dazunehmen, dabei nicht in Panik geraten und etwas Dummes tun", sagt der Polizeibeamte.

Der VDB rät als Alternative zu Pfefferspray und Schreckschusspistole zu Schrillalarm und Hochfrequenztaschenlampe. Beide sollen den Angreifer irritieren und nach Möglichkeit jemanden auf die Situation aufmerksam machen. Doch auch das bietet keine ausreichende Sicherheit, meint Zacheja: "Beim Schrillalarm ist fraglich, ob jemand reagiert. Und bei der Taschenlampe hatten wir schon die Situation, dass eine Frau sie einsetzen wollte, aber die Batterien leer waren." Zudem sei zu bedenken: Sowohl Pfefferspray als auch Schrillalarm befinden sich meist in der Handtasche oder dem Rucksack. Der Angreifer wartet aber nicht, bis sein Opfer es darin gefunden hat.

Diese trügerische Sicherheit könne dazu führen, dass sich Menschen in Situationen bringen und an Orte gehen, an die sie sich ohne Abwehrmittel wie Pfefferspray nicht wagen würden. Statt nachts durch dunkle Gassen zu gehen, weil man sich mit Pfefferspray in der Tasche sicher fühlt, solle man sich überlegen, ob es nicht besser wäre einen Umweg zu gehen, rät Zacheja.

Dass man in einer Notsituation unfreiwillig zum Täter werden kann, musste ein 76-Jähriger aus Mönchengladbach am eigenen Leib erfahren. Nach einem Fußballspiel waren er und seine Frau auf dem Heimweg, als sie von drei Männern angepöbelt wurden. Als seine Frau geschubst wurde und dabei stürzte, griff der Rentner zum Pfefferspray. Einige Wochen später erreicht ihn die Nachricht, dass er wegen Körperverletzung angeklagt sei. Der 76-Jährige wird wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 2000 Euro verurteilt. Begründung: Der Gladbacher habe nicht in Notwehr gehandelt.

In Deutschland darf man sich nicht uneingeschränkt gegen einen Angreifer wehren. "Ich darf mich zwar verteidigen, aber nur, um aus einer Situation herauszukommen", erklärt Ingo Meinhard, Geschäftsführer des VDB. Was Pfefferspray ausrichten kann, erklärt Gerd Geerling, Leiter der Augenklinik an der Uniklinik Düsseldorf: Wird das Spray nahe dem Auge versprüht, kann es zu einer Verätzung kommen. "Sowohl die weiße Lederhaut als auch die Hornhaut des Auges sind mit einer Zellschicht überzogen. Insbesondere die Hornhaut hat keine Blutgefäße, da wir sonst nichts sehen könnten." Wird Pfefferspray ins Auge gesprüht, kann es zu Durchblutungsstörungen und einer Schädigung von Stammzellen kommen. Die Folge: Es wächst blutgefäßhaltiges Gewebe über die Hornhaut, das zu einer Trübung oder gar zur Erblindung führen kann. "Selbst mit einer Hornhauttransplantation ist das schwer zu behandeln", sagt Geerling.

(jnar)
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