Ex-Spieler Ginter sagt im BVB-Prozess aus "Ich wollte nicht aufgeben, was mir eigentlich Spaß macht"

Ex-BVB-Profi Matthias Ginter saß während des Bombenanschlags im April 2017 im Mannschaftsbus. 2015 hat er bereits die Terroranschläge in Paris miterlebt. Deswegen hat er überlegt, mit dem Profifußball aufzuhören, erzählt er am Mittwoch als Zeuge vor Gericht.

Anschlag auf BVB-Bus - Matthias Ginter sagt als Zeuge aus
8 Bilder

Anschlag auf BVB-Bus - Matthias Ginter sagt als Zeuge aus

8 Bilder

Große Auftritte sind Fußballer normalerweise nur auf dem Fußballplatz gewöhnt. Die Scheinwerfer, die Kameras und Journalisten. Aber am Mittwoch ist der Gerichtssaal des Dortmunder Landgerichts der Ort, an dem dutzende Journalisten auf Matthias Ginter warten. Kameras begleiten ihn bis in den Saal. Das Interesse ist groß. Die Öffentlichkeit möchte wissen, was Ginter über den Abend des Anschlags auf die Mannschaft von Borussia Dortmund sagt. Ginter ist einer, der auch mal Tacheles redet, auch abseits des Fußballplatzes. Der jüngst mit seiner Meinung auffiel, dass Profifußballer zu viel verdienen.

Dass Ginter auch ein Jahr nach dem Anschlag noch betroffen ist, zeigen die Tränen, die er im Gerichtssaal vergießt, als er über das Erlebte spricht. Dass Ginter im Gerichtssaal geweint hat, verbreitet sich schnell im Internet und in den sozialen Medien.

Zuvor hat Ginter dem Angeklagten Sergej W. ins Gesicht gesehen. Als dieser hereingeführt wird, blickt er über die Schulter nach hinten. Viele andere vor ihm wendeten da den Blick ab.

Der Vorsitzende Richter Peter Windgätter will bei dem ganzen Spektakel möglichst sachlich bleiben: "Ach so, dann haben wir heute als Zeugen Herrn Ginter", sagt er und klingt fast überrascht, dass der ehemalige BVB-Profi, nun bei der anderen Borussia tätig, und Nationalspieler vor ihm sitzt. "Ich brauche Ihnen natürlich nicht erklären, warum wir hier verhandeln", sagt Windgätter.

Erklären muss er das in der Tat nicht. Ginter war einer der Lizenzspieler, die im Mannschaftsbus saßen, dem der Anschlag galt. Auf der Anklagebank sitzt der 28-jährige Sergej W., der Deutsch-Russe ist wegen 28-fachen versuchten Mordes angeklagt. Sein Motiv: W. soll in Folge des Anschlags auf fallende Aktienkurse des Vereins gewettet haben, um damit mehrere tausend Euro Gewinn zu machen. W. bestreitet die Tötungsabsicht.

Er soll drei Sprengsätze an der Hecke entlang der Straße vor dem Mannschaftshotel L'Arrivée angebracht haben. Diese detonierten, kurz nachdem der Bus die Einfahrt des Hotels auf dem Weg zu Stadion verlassen hatte. Der BVB stand an diesem Tag im Champions-League-Viertelfinale gegen AS Monaco. Durch einen umherfliegenden Stahlstift wurde Ginters Teamkollege Marc Bartra am Handgelenk verletzt. Auch er hat bereits als Zeuge im Prozess ausgesagt.

Dortmund: BVB-Spieler als Zeugen im Gerichtssaal
8 Bilder

BVB-Spieler sagen im Prozess um Bombenanschlag aus

8 Bilder
Foto: Bernd Thissen/dpa

Ginter berichtet, wie er vor der Abfahrt des Mannschaftsbusses noch kurz mit Bartra gesprochen hat. Er soll an diesem Tag auf der Position des rechten Außenverteidigers spielen. Bartra kennt Ginters Gegenpart, den Linksaußen-Stürmer der AS Monaco. "Marc gab mir Tipps", erzählt Ginter. Dann sei man in den Bus gestiegen, habe sich auf den Platz gesetzt. Kurz nach der Abfahrt dann der laute Knall, Scherben, Splitter, Nebel und Gestank. Das alles habe er wahrgenommen. Das ist der Moment, in dem Ginter die Stimme bricht. Durchs Mikrofon kann der ganze Gerichtssaal die Schluchzer hören. Er hat den Kopf gesenkt und kann nicht weitersprechen. Die Männer in ihren Roben vor ihm und neben ihm gucken betroffen. Sein Anwalt hat nicht mal ein Taschentuch parat. Der Vorsitzende Richter schlägt vor, eine Pause zu machen. Aber da redet Ginter schon weiter.

"Marc hat geschrien. Ich habe das Blut an seinem Arm gesehen. Er schrie, dass er Hilfe braucht. Dann wurde er ohnmächtig", sagt Ginter. Der Bus sei weiter gefahren. Er habe nicht gewusst, ob es das schon gewesen sei.

Ginter hat als Nationalspieler die Terroranschläge in Paris am 13. November 2015 miterlebt. Damals spielte Deutschland gegen Frankreich. "Ich habe das gut verarbeitet", erzählt er am Mittwoch. Aber natürlich habe das bei seiner Reaktion auf den Anschlag gegen den BVB eine Rolle gespielt. "Das ist wie ein Lotto-Gewinn. Zweimal einen Anschlag zu erleben, ist so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto. Eigentlich ziemlich unrealistisch."

Oberstaatsanwalt Carsten Dombart will später wissen, ob Ginter daran gedacht habe, mit dem Fußball aufzuhören. "Ja, ich habe darüber nachgedacht, mit dem Profisport aufzuhören. Ich habe mich gefragt, ob es das wert ist, sich immer wieder diesem Risiko auszusetzen. Aber hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Und ich wollte nicht aufgeben, was mir eigentlich Spaß macht."

Ginters Reaktion zeigt, dass er ein junger Mann ist, der einfach Fußball spielen möchte. Und dass es als Betroffener keinen Unterschied macht, ob man einen islamistischen Terroranschlag erlebt oder einen Bombenanschlag aus Habgier - verübt von einem Mann, der wegen Depressionen in Behandlung war und bereits versucht haben soll, sich umzubringen, wie die Ex-Freundin des Angeklagten später erzählt.

Nach der Saison wechselte Ginter zu Borussia Mönchengladbach. Das habe aber sportliche Gründe gehabt, sagt er am Mittwoch. In Gladbach wollte er als Innenverteidiger zum Führungsspieler werden, beim BVB spielte er immer auf wechselnden Positionen.

Bereits zwei Stunden nach dem Anschlag sei er seiner Erinnerung nach informiert worden, dass das Champions-League-Viertelfinale am nächsten Tag nachgeholt werden sollte. "Und wie fanden Sie das?", will der Vorsitzende Richter wissen. "Nicht gut", sagt Ginter. Am 12. April sei ein Training angesetzt gewesen. Davor hätte die Vereinsleitung, darunter Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc, mit der Mannschaft gesprochen. Ginter schildert, wie sich die Mannschaft schließlich dazu durchgerungen habe anzutreten. Da sei auf der einen Seite der Schock über den Anschlag gewesen. Andererseits sei es immerhin ein Champions-League-Viertelfinale gewesen. Eigentlich ein tolles Erlebnis für einen Fußballer.

Die Spieler hätten sich mehrheitlich für eine Absage des Spiels ausgesprochen. "Wir als Mannschaft haben gesagt: Wir wollen, dass das Spiel komplett abgesagt wird, oder wir müssen das irgendwie durchziehen", sagte Ginter. Wäre die Mannschaft nicht angetreten, wäre das Spiel mit 3:0 für Monaco gewertet worden. "Ich glaube, dass keiner dazu in der Lage war, seine beste Leistung abzurufen. Das Spiel so schnell anzusetzen, war Unsinn."

Nach dem Spiel gegen die AS Monaco am 12. April, das die Mannschaft 2:3 verlor, hätten viele Spieler in der Kabine geweint - vor Erleichterung. "Wir waren am Boden zerstört", sagt Ginter. "Ich war froh, dass das Spiel vorbei war und wir nach Hause konnten." Wieder kommen ihm die Tränen. Richter Windgätter entlässt den Zeugen. Ginter wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel, bevor er aufsteht und den Saal verlässt.

(heif)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort