Immer weniger Metzger in NRW Die fetten Jahre sind vorbei

Düsseldorf · In kaum einem Bundesland ist die Metzgerdichte so gering wie in NRW: Vier von fünf Fleischereien haben seit Ende der 60er Jahre dichtgemacht. Auf den Spuren eines sterbenden Handwerks.

Inge Gerlach macht gerade Rührei. Die Metzgerei Gerlach verkauft nicht nur Wurst und Fleisch im Kempener Hagelkreuz, sondern hat auch einen Partyservice. Der, erzählt Metzger Klaus Gerlach, sei besonders in den 80er und 90er Jahren gut gelaufen. Und das sei auch wichtig, denn in Zeiten, in denen immer weniger Fleisch gegessen werde, könne ein Metzger von der Wurst allein nicht mehr leben.

Die Gerlachs beliefern deshalb noch eine Schule in der Nachbarschaft - und einen Puff. Und dahin soll gleich das Rührei gehen.

Die Blütezeit des Fleischerhandwerks ist vorbei. Die Deutschen essen immer weniger Fleisch, und im Gegensatz zu den Bäckern haben die Metzger die neue Esskultur - schnell und auf die Hand - einfach zu lange verpasst. Im Westen sieht die Fleischer-Landschaft besonders karg aus. Gibt es bald gar keine Metzger mehr?

Die Zahl der Fleischerbetriebe in Nordrhein-Westfalen ist laut Handwerkskammer Düsseldorf zwischen 1967 und 2016 von ehemals 9893 Betrieben auf 1829 Betriebe geschrumpft. Und in den übrigen Bundesländern sieht es leider nicht besser aus. "Der Rückgang der Filialen ist drastisch", sagt Gero Jentzsch vom Fleischerverband Deutschland. Metzger Gerlach nennt seinen Beruf ein "aussterbendes Handwerk". Aber woran liegt das genau?

An Ideen mangelt es Gerlach jedenfalls nicht: Vor einigen Jahren hat er sein "Metzger-Sushi" erfunden. Stefan Raab inspirierte ihn zu der Kombination, als er im Radio mal Schweinemett so bezeichnete. Gerlach bietet seitdem kleine Fleischhäppchen als "Metzger-Sushi" an.

Der 56-Jährige ist einer dieser Fleischertypen, wie er sich und seinen Berufsstand gerne beschreibt: kernig, ehrlich, leidenschaftlicher Fleischesser. "Die Metzger stehen zu ihren Produkten", sagt er. "Ich würde niemals etwas verkaufen, was ich nicht auch meinen Kindern zu Essen geben würde."

Den Betrieb gibt es seit 1954. Vater Kurt Gerlach eröffnete den Laden, verstarb früh und vererbte ihn seinem Sohn. "Mich hat nie jemand gefragt, ob ich Metzger werden möchte", erzählt Klaus Gerlach rückblickend. Das sei selbstverständlich gewesen. Aber er sei es gerne geworden.

Nun sucht Gerlach nach einem Nachfolger für sein Geschäft. "Wir werden so schnell niemanden finden", sagt er. Von seinen drei Söhnen hat keiner Interesse. Und der Vater mag es seinen Jungs auch nicht übel nehmen. Der Beruf sei immer anspruchsvoller geworden, lange Arbeitszeiten, auch am Wochenende, ständig auf Abruf sein - und dann sind da auch noch die vielen Vorschriften. "Die Bürokratie macht mich fertig", sagt er.

Auch Metzger Jakob Kohnen aus Tönisvorst musste zwei Jahre nach einem Nachfolger suchen. Nun hat den Betrieb ein Fleischer aus dem bayrischen Oberstdorf übernommen. "Wir haben Nachwuchsmangel", sagt Kohnen. Es sei auch nicht jeder Bewerber für seinen Betrieb geeignet gewesen. "Es muss einfach passen", sagt der 61-Jährige.

Nicht nur billiges Fleisch und Wurst im Supermarkt habe den Metzgern den Garaus gemacht, sagt Christian Deppe vom Fleischerverband NRW. Auch die Einkaufsgewohnheiten hätten sich verändert. Heute seien es die Kunden gewohnt, alles an einem Ort zu besorgen. Die wenigsten würden sich die Mühe machen, noch ins Fachgeschäft zu gehen. Hinzu komme der Personalmangel.

Dabei schneidet Nordrhein-Westfalen, was die relative Anzahl der Einkaufsmöglichkeiten für Fleisch angeht, im Ländervergleich besonders schlecht ab. In NRW gab es 2015 laut Statistik des Deutschen Fleischerverbands 1823 Betriebe und 968 Filialen. Im NRW-Schnitt kommen so auf 100.000 Einwohner etwa 16 Läden. Das ist vor allem im Ländervergleich ziemlich wenig.

Zusammen mit den Stadtstaaten und Schleswig-Holstein landet das bevölkerungsreichste Bundesland ganz hinten. Zum Vergleich: In Thüringen haben 100.000 Einwohner mit 46 Geschäften fast dreimal so viele Einkaufsmöglichkeiten für Fleisch. In Bayern sind es 43, in Sachsen 38 und in Baden-Württemberg immerhin noch doppelt so viele wie in NRW. Der Westen fällt damit auch deutlich unter Bundesschnitt, der bei 27 Verkaufsstellen liegt.

Immerhin: Besser sehe es bei der Wirtschaftskraft der verbleibenden Betriebe aus, sagt Gero Jentzsch vom Deutschen Fleischerverband. "In NRW gibt es viele leistungsfähige Betriebe." Dass der Westen in der Statistik so weit hinten lande, habe auch etwas mit der urbanen Struktur des Landes zu tun. "In den Großstädten gibt es weniger Betriebe", heißt es beim Fleischerverband. Laut Handwerkskammer Düsseldorf gab es im Jahr 2015 in der Landeshauptstadt gerade mal 37 Metzgerbetriebe, in Essen 29, in Krefeld 14, in Wuppertal 13 und in Remscheid 9.

Der Vorzug ist: Von der Schrumpfung profitieren die Geschäfte, die überlebt haben. In Kempen gibt es heute noch insgesamt drei Metzger, erzählt Gerlach. Über mangelnde Kundschaft könne er sich nicht beschweren. "Löppt", sagt der Kempener. "Die Kunden stehen manchmal morgens schon Schlange vorm Geschäft." Der Trend zurück zur Regionalität und zurück zum Handwerk bringe Aufschwung für die wenigen Betriebe, die es noch gibt. Nun müsse er jemanden finden, der den Laden übernehmen und auf dem Erfolg aufbauen wolle.

Und diesen Trend müssten die Metzger in NRW auch verstärkt nutzen, sagt Christian Deppe vom Fleischerverband NRW. Denn in Sachen Marketing hätten die deutschen Fleischer noch einiges nachzuholen. "Das sind Handwerker - herauszustellen, dass man tolle Sachen macht, fällt manchem Metzger schwer", sagt er. "Viele Kunden glauben gar nicht, dass direkt hinter der Theke die Wurstküche ist, dass alles vor Ort produziert wird."

Dieses Handwerk müssten die deutschen Fleischer stärker sichtbar machen. "Eine gläserne Manufaktur - zeigen, wo die Ware herkommt, den Kunden live miterleben lassen, wie die Wurst entsteht", sagt Deppe. Das könne die Metzger aus der Krise führen.

In Berlin gibt es einen Metzger, der genau das macht. Der Berliner Betrieb "Kumpel & Keule" ist zum Paradebeispiel für die Zukunft des Metzgerhandwerks geworden. Die neuen Metzger sprechen die Hedonisten unter den Essern an, die Genießer, die gerne ein gutes Stück Fleisch essen und ein Foto davon auf Instagram posten.

Moderner Industrie-Charme trifft auf die Rückbesinnung zum traditionellen Handwerk. "Kumpel & Keule" verkauft seine Produkte in einer Markthalle in Kreuzberg. Das Bild, das sie vom Fleischerhandwerk vermitteln wollen ist anders. An den kühlen weißen Retro-Kacheln kleben Fotos von einem Idyll: Freie, glückliche Schweine, die unter schattigen Bäumen grasen. Dass sie nun tot am Haken hängen, sieht so gesehen gleich viel netter aus.

"Fleisch und Wurst sind zur Ramschware verkommen", schreiben die Berliner Metzger auf ihrer Internetseite, die, und auch das ist Teil des Konzepts, nicht weniger professionell daher kommt wie der Auftritt einer erstklassigen Werbeagentur. Große Bilder, schlichtes Design.

Und dieses Bild vermarktet das Team auch erfolgreich in den Sozialen Medien. Der Account von "Kumpel & Keule" hat knapp 4000 Follower auf Instagram. Ihre Fotos zeigen Ware und Handwerk. Lammkoteletts mit Rosmarinzweigen und Koblauchzehen dekoriert. "#Lamm in da house - schön trocken gereift von der Weide aus #Hohenlohe", nennen die Kumpel das Werk. Like.

"Was auf den Bauernhöfen passiert, bleibt im Verborgenen. Die Hand, die die Wurst oder den Schinken hergestellt hat, bleibt für uns unsichtbar", beklagen die Fleischer auf ihrer Seite. "Was übrig bleibt, ist nur noch irgendwas. Ein Stück Fleisch ohne Herkunft und Geschichte." Das wollen die Newcomer-Metzger anders machen - und haben damit Erfolg.

Doch das Metzger-Sterben geht weiter. Christian Deppe vom Fleischerverband NRW weiß: "Der Schrumpfungsprozess ist noch nicht abgeschlossen." Retten könnten die Metzger nur die Verbraucher. "Leute, geht zum Metzger, die haben so viel zu bieten."

 Im Laden von Metzger Klaus Gerlach in Kempen.

Im Laden von Metzger Klaus Gerlach in Kempen.

Foto: Lisa Kreuzmann

Auch Klaus Gerlach hofft, dass es seiner Zunft eines Tages wieder besser gehen wird. "Wir lieben, was wir tun, und essen unsere Produkte selbst sehr gerne", sagt er. Ob das zum Erfolg führt, entscheiden die Fleischesser.

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