Patient an Uniklinik Münster Tödliches Gift kann ihm nichts anhaben

Münster · Rizin gilt als eines der tödlichsten Gifte der Welt. An der Uniklinik in Münster ist ein Mann Patient, der wohl als einer von drei Menschen weltweit dagegen immun ist. Für die Forschung ist der seltene Fall ein Glücksgriff.

 Thorsten Marquardt (r.), Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, im Labor mit dem 20-jährigen Jakob (Name geändert).

Thorsten Marquardt (r.), Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, im Labor mit dem 20-jährigen Jakob (Name geändert).

Foto: dpa, gki

Ein paar Milligramm Rizin - mehr braucht es nicht, um binnen Stunden den stärksten Sportler zu töten. Jakob* dagegen würde eine Attacke mit dem Gift überstehen. Aufgrund eines genetisch bedingten Stoffwechsel-Defekts ist der 20-Jährige dagegen immun - als einer von drei Menschen weltweit, die bekannt sind. "Für die Forschung ist Jakob ein Glücksgriff", sagt Thorsten Marquardt, der am Uniklinikum Münster den Bereich Angeborene Stoffwechselerkrankungen leitet. Auch dank ihm versteht man den Aufnahmemechanismus des Gifts besser. "Wenn man die Mechanismen kennt, kann man Gegengifte entwickeln", erklärt Marquardt.

Rizin gilt als eines der tödlichsten Gifte der Welt. Im Kriegswaffenkontrollgesetz ist es als Kriegswaffe gelistet. "Rizin ist immer wieder Thema, wenn es um bioterroristische Angriffe geht", sagt Marquardt. Rizin kam etwa zum Einsatz, als 1978 der bulgarische Dissident Georgi Markow in London von einem Mann mit einem mit Rizin präparierten Regenschirm vergiftet wurde. Markow starb wenige Tage später. Im April 2013 war Rizin in den Schlagzeilen, weil das FBI einen mit dem Gift versehenen Brief an Obama abfing.

Rizin ist ein Protein aus den Samen des Wunderbaums. Mitunter ist bereits die Dosis weniger Samenkörner tödlich. "Symptome einer Vergiftung sind etwa Erbrechen, Durchfall, Kreislauf- und Nierenversagen", erläutert der Toxikologe Markus Christmann von der Universitätsmedizin Mainz. Bislang gibt es laut Christmann kein Gegengift.

Jakob kam 1997 mit 770 Gramm deutlich zu früh auf die Welt. "Mit ihm war immer was", erinnert sich seine Mutter. In seinen ersten beiden Lebensjahren hatte Jakob häufig hohes Fieber. Ein junger Arzt auf der Station sei dann auf die richtige Spur gekommen. "Er biss sich daran fest, dass Jakob viel zu viele weiße Blutkörperchen hat", erzählt Marquardt.

Über Umwege kam der Arzt darauf, dass Jakob aufgrund eines genetischen Defekts keine Fucose produzieren kann - das ist ein Zucker, den jeder Mensch im Körper hat. "Es gibt nur zwei weitere Menschen auf der Welt, von denen bekannt ist, dass sie den gleichen Defekt haben", sagt Marquardt. Weil man den Gendefekt nun kannte, konnten die Ärzte eine Therapie entwickeln: Heute führen sie dem jungen Mann Fucose künstlich zu.

Menschen mit seltenen Erkrankungen laufen oft von einem Arzt zum anderen. Eine Erkrankung gilt laut dem Nationalen Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE) dann als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen betroffen sind. Schätzungsweise gibt es circa vier Millionen Menschen in Deutschland, die an einer seltenen Erkrankung leiden - allein in NRW sind laut Gesundheitsministerium NRW etwa 900.000 Menschen betroffen.

Seit 2010 arbeitet das NAMSE daran, ein koordiniertes Handeln zu erreichen. Bundesweit gebe es derzeit 28 Zentren, erklärt Christine Mundlos von der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (Achse). Bislang fehle es an einem Zertifizierungsverfahren - die Kliniken können sich selbst Fachzentrum nennen.

Dass Jakob gegen Rizin immun ist, kam erst später heraus. "Wissenschaftler der Universität Wien haben an der Entschlüsselung des Wirkmechanismus gearbeitet", erzählt Marquardt. Sie hatten den Verdacht, dass durch zwei Gene des Menschen Rizin tödlich wirkt, eines davon ist bei Jakob defekt. Sie forderten deshalb eine Hautprobe an. "So haben wir über Jakobs seltene Erkrankung noch neue wissenschaftliche Erkenntnisse bekommen", sagt Marquardt.

*Name geändert

(mro/dpa)
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