Grippe, Geldnot, Einsamkeit Warum einige Menschen in NRW den Notruf wählen

Düsseldorf · 600 mal klingelt in Duisburg innerhalb von 24 Stunden das Notruf-Telefon. Manchmal nur, weil ein paar Eiszapfen an der Dachrinne hängen oder die Heizung stinkt. "Missbrauch ist bei uns an der Tagesordnung", sagt ein Sprecher. Wer ruft da an? Und welche Probleme haben die Leute? Wir haben uns umgehört.

Lustige Polizeimeldungen aus NRW
Infos

Kuriose und lustige Polizeimeldungen aus NRW

Infos
Foto: dpa/-

Die Notrufnummer der Feuerwehr kennt jedes Kind. Die 112 kann Leben retten. "Wir nehmen daher jeden Notruf ernst", sagt Jörg Preußen, Sprecher der Feuerwehr Oberhausen. Das betonen mit Nachdruck auch seine Kollegen aus Duisburg oder Mönchengladbach.

Im Alltag haben sie es jedoch oft mit Fehlalarm zu tun, weil Menschen die Lage falsch einschätzen oder weil sie sich selbst nicht zu helfen wissen. Manchmal aber auch, weil Leute es lustig finden, einfach die Nummer auszuprobieren und sich dann schnell entschuldigen: "Oh, verwählt!" Manchmal auch nur, weil sie ein Ventil benötigen und den Diensthabenden in der Leitstelle dann grundlos mit Beschimpfungen überziehen.

In einigen Fällen wird es aber auch kriminell. "Dann geht ein Einsatz raus und stellt fest: Da ist absolut nichts dahinter", sagt Michael Haupt, Sprecher der Feuerwehr Duisburg. Auch in Oberhausen oder Mönchengladbach kennt man das Problem, ebenso wie in Heiligenhaus. Ein Anrufer aus einer Telefonzelle berichtete im Juli von Feuerschein und dichtem Rauch in der ersten Etage eines Einfamilienhauses. Die Einsatzstelle veranlasste den sofortigen Rettungseinsatz, setzte eine ganze Maschinerie mit mehr als 20 Einsatzkräften und acht Fahrzeugen in Bewegung. Dann stellte sich heraus: Alles nur ein schlechter Scherz.

Erste Hilfe - so retten Sie Leben
6 Bilder

Erste Hilfe - so retten Sie Leben

6 Bilder
Foto: Kilian Treß

Genaue Statistiken zur Zahl solcher Fehlalarme liegen nicht vor. Gefühlt sind gut die Hälfte der Anrufe überflüssig. Bei der Feuerwehr können sie einem sofort eine Reihe an abstrusen Beispielen aus der Vergangenheit aufzählen.

  • Fast täglich rufen Leute an, weil sie die Nummer der notdiensthabenden Apotheke in Erfahrung bringen wollen
  • Ein Fall aus Mönchengladbach. Ein Anrufer alarmierte die Feuerwehr unter der 112, weil sein Schlüssel in den Gulli gefallen war.
  • Duisburg: Eiszapfen hängen an der Dachrinne.
  • Mönchengladbach: Die Heizung macht komische Geräusche
  • Duisburg: Ein Anrufer hat sich beim Kartoffelschälen in den Finger geschnitten.
  • Oberhausen: Ein Mann ruft den Notdienst und klagt über Atemnot. Erst als die Einsatzkräfte anrücken, verrät er, dass er seit mehreren Tagen mit schwerer Grippe im Bett liegt.
  • Mönchengladbach: Kein Geld mehr fürs Taxi
  • Duisburg: Ein Klassiker: Der vermeintliche Brand entpuppt sich als gemütliches Kaminfeuer. Ähnlich verhält es sich mit der Abluft aus dem Trockner, die als Rauch ins Freie tritt.
  • Überall bekannt sind die Anrufe wegen der Bewusstlosen: Weil die Menschen sich nicht trauen, selber nachzuprüfen, warum da einer am helllichten Tag auf dem Boden liegt, rufen sie den Notdienst. Meistens schläft der Notfall einfach. Der Rettungsdienst wird dann sogar noch von Nachbarn attackiert, weil die Sirene die Nachtruhe stört.

Die Fälle zeigen, wie fließend die Grenzen zwischen Kleinigkeiten und echter Gefahr verlaufen können. "Das kann man auf keinen Fall pauschalieren", sagt Haupt. Die Rauchsäule auf der Straße, das gelbe Flackern hinterm Fenster, das kann eben beides bedeuten. Auch deswegen wollen die Sprecher der Feuerwehr auf keinen Fall den Eindruck erwecken, man wolle davon abhalten, die 112 zu wählen. Dass dabei so oft blinder Alarm geschlagen wird, gehört dann einfach genauso zum Beruf wie die unvermeidliche Quote an "Witzbolden", die den Notruf missbrauchen.

Fakt aber ist: Die Zahl der Rettungseinsätze steigt kontinuierlich. 50.000 waren es in Duisburg im Jahr 2000. 76.000 im Jahr 2014. Das hängt zum Teil mit der Demografie zusammen und der wachsenden Anzahl an alten Menschen. Zum Teil aber wohl auch mit Vereinsamungstendenzen der Gesellschaft. "Wer kennt heute noch seinen Nachbarn?", fragt Feuerwehrsprecher Preußner.

Symptomatisch dafür ist die wachsende Zahl der Anrufe zu Weihnachten. Dann hat die Leitstelle einsame Menschen in der Leitung, ohne Angehörige, ohne Freunde.

(pst)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort