Hunderttausende Überstunden NRW-Gefängnispersonal arbeitet am Limit

Düsseldorf · Die Justizvollzugsbeamten in NRW haben fast eine halbe Million Überstunden angehäuft. Das geht aus einem internen Bericht hervor.

Johanna Franken* (Name und Alter geändert) kann sich kaum noch daran erinnern, mal richtig abgeschaltet zu haben. Das müsse Jahre her sein, sagt die 43-jährige Justizvollzugsbeamtin, die in einem größeren Gefängnis in Nordrhein-Westfalen arbeitet. Zwar liege ihr letzter Urlaub erst ein halbes Jahr zurück - aber das seien nur zehn Tage gewesen. Ihr Jahresurlaub. "Da kann man nicht runterkommen", sagt sie. "Dabei bräuchte ich eigentlich dringend eine längere Pause von dem Alltag hinter Gittern."

Mehr Urlaub am Stück sei aber bei der derzeitigen Personalsituation in ihrem Gefängnis nur schwierig zu bekommen. Dabei hätte sie Anspruch darauf. "Ich habe viele Überstunden und Urlaubstage angehäuft", betont sie.

Vielen ihrer Kollegen im Land geht es genauso. Sie gehen zwar gerne zur Arbeit, was sich auch an einem niedrigen Krankenstand der JVA-Bediensteten ablesen lässt. Aber sie arbeiten oftmals am Limit. Die rund 5700 JVA-Bediensteten in NRW schieben einen gewaltigen Berg von rund 436.320 Überstunden vor sich her. "Daran sieht man, was für eine Arbeit viele meiner Kollegen leisten", sagt Peter Brock, Landesvorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten. Er weiß aber, dass es schwer bis unmöglich sein wird, diesen Berg abzubauen.

Und der Arbeitsalltag hinter Gittern wird für die JVA-Bediensteten offenbar auch immer schwieriger. Die Gewaltbereitschaft der Häftlinge nehme zu, der Ton werde rauer, heißt es. In vielen Haftanstalten herrsche unter den Insassen eine gefährliche Gemengelage. Türkische und deutsch-russische Banden stritten sich darum, wer das Sagen hat. Hinzu käme die wachsende Zahl von Nordafrikanern. Mit ihnen nimmt auch die Gewalt zu - auch gegen JVA-Bedienstete. "Denen ist es egal, ob sie im Gefängnis sind oder nicht. Die machen einfach weiter ihr Ding", sagt ein Insider. Er nennt ein Beispiel aus dem Gefängnisalltag. "Der Zellennachbar eines Nordafrikaners hat einen Fernseher, weil dieser sich zum Beispiel gut benommen hat. Der Nordafrikaner versteht das aber nicht und rastet dann aus, weil er auch einen will, aber keinen bekommt. Er wird handgreiflich", sagt der szenekundige Beamte.

Johanna Franken kennt diese Situationen. "Besonders Insassen aus Algerien und Marokko haben keinen Respekt vor Frauen. Die lachen uns aus, wenn wir was sagen", berichtet sie. "Wir stehen den ganzen Tag unter Strom, müssen immer die Umgebung im Auge behalten", sagt sie. "Es kann ja immer was passieren."

Bei den gewalttätigen Insassen handelt es sich meist um junge Männer bis 35 - in der Regel mit Migrationshintergrund. Der Anteil der Gefangenen mit ausländischer Staatsangehörigkeit an der Gesamtbelegung der Justizvollzugsanstalten beträgt in NRW rund 28 Prozent. Das Justizministerium spricht von einem überproportional hohen Anteil.

Während man bei der NRW-Justiz davon ausgeht, dass sich die Gefangenenzahlen nicht erhöhen werden, ist man in Bayern da anderer Meinung. "Dafür sprechen markante Faktoren wie etwa die konsequente Bekämpfung der Schleuserkriminalität, die spezifischen logistischen Herausforderungen bei der Inhaftierung von Salafismus- und Terrorismusverdächtigen und das Ziel, Gemeinschaftsunterbringungen sukzessive durch Einzelunterkünfte zu ersetzen", sagte Oberregierungsrätin Ulrike Roider vom Bayerisches Staatsministerium der Justiz. Der Bund der Strafvollzugsbediensteten teilt diese Einschätzung. In einem Positionspapier heißt es: "In überproportionalem Umfang kommen mit dem Flüchtlingsstrom Menschen in dem besonders kriminalitätsanfälligen Alter zwischen 20 und 40 zu uns. Dies lässt erwarten, dass sich die Gefangenenzahlen gerade in diesem Segment spürbar erhöhen werden."

Daneben bereiten auch Islamisten zunehmend Sorgen. In den Gefängnissen treffen sie ungehindert auf viele junge Männer, die ihnen zuhören und empfänglich sind für die Hassbotschaften.

Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass der Bonner Islamist Marco, dem derzeit wegen eines misslungenen Bombenanschlags am Bonner Hauptbahnhof am Düsseldorfer Oberlandesgericht der Prozess gemacht wird, hinter Gittern offenbar Personen rekrutierte. Mit denen, so sagte es ein Mithäftling von ihm vor Gericht aus, wollte er nach der Haftentlassung draußen Anschläge verüben. "Diese Personengruppe wird den Vollzug vor große Herausforderungen stellen und den Haftplatzbedarf beeinflussen", sagte Brock.

Rechtsanspruch auf Einzelzelle kann nicht erfüllt werden

Rechtlich gesehen hat jeder Insasse in NRW ein Anrecht auf eine Einzelzelle. Doch der Gefängnisalltag sieht anders aus. "Es gibt zu wenige Einzelhaftplätze", sagte Brock. Deshalb liegen viele in Gemeinschaftsräumen.

Doch die Verteilung auf die Zimmer ist schwierig. Raucher sollten möglichst nicht mit Nichtrauchern zusammengelegt werden, Linksextremisten nicht mit Rechtsradikalen, Christen nicht mit Moslems, Türken nicht mit Kurden und Deutsch-Russen und so weiter. "Beachtet man das nicht, hauen sich die Insassen die Köpfe ein", so ein Insider.

Johanna Franken nimmt ihre Arbeit fast immer mit nach Hause. "Man kann nicht einfach die JVA verlassen und dann alles hinter sich lassen", sagt die 43-Jährige. "Das beschäftigt einen weiter."

(csh)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort