Statistik des NRW-Innenministeriums Zahl der rechtsextremen Straftaten in NRW steigt

Düsseldorf · In Nordrhein-Westfalen gibt es immer mehr Straftaten, die einen rechtsextremen Hintergrund haben. Das geht aus einer internen Statistik des NRW-Innenministeriums hervor. Als besonders problematisch gilt, dass zunehmend auch Menschen beteiligt sind, die zuvor noch nie polizeilich aufgefallen sind.

 Gewaltbereite rechtsextreme Demonstranten in Köln am 9. Januar 2016.

Gewaltbereite rechtsextreme Demonstranten in Köln am 9. Januar 2016.

Foto: dpa, rwe wst

Demnach gab es in NRW im vergangenen Jahr insgesamt 4700 rechtsmotivierte Straftaten. Die Statistik liegt verschiedenen Medien vor, die Zahlen wurden unserer Redaktion von einem Sprecher des Innenministeriums bestätigt. Dazu gehören sogenannte Propagandadelikte wie Hakenkreuz-Schmierereien oder das Zeigen des Hitlergrußes, aber auch Gewalttaten. Wie die "NRZ" (Bezahlangebot) berichtet, gab es 381 solcher Gewaltdelikte.

Damit steigt die Zahl der rechtsextremen Straftaten in NRW weiter an. Im Vergleich zu 2015 ist der Anstieg mit knapp 260 Taten zwar nicht sehr hoch, 2014 waren es allerdings noch knapp 3300 Straftaten. Damit ist innerhalb von zwei Jahren ein Anstieg von 45 Prozent zu verzeichnen.

Das ist laut Rechtsextremismus-Experte Alexander Häusler zwar Besorgnis erregend, entspricht aber einem bundesweiten Trend. Zudem sei NRW schon seit Jahren ein Schwerpunkt rechtsextremer Straftaten. Häusler forscht an der Arbeitsstelle für Neonazismus und Rechtsextremismus der Hochschule Düsseldorf und sagt: "NRW ist das bevölkerungsreichste Bundesland, das muss bei den absoluten Zahlen immer bedacht werden. Die Tendenz ist aber gefährlich".

Häusler zufolge hängt der Anstieg seit 2014 vor allem mit der Flüchtlingskrise zusammen. "Die Themen Asyl, Flucht und Zuwanderung stehen besonders im Fokus und werden von der rechten Szene erfolgreich instrumentalisiert". Gleichzeitig habe sich seit 2014 ein neues rechtes Akteursfeld entwickelt, angeführt von Bewegungen wie Pegida, der "Identitären Bewegung" und den "Hooligans gegen Salafismus", aber auch von der rechtspopulistischen AfD.

Als besonders problematisch wertet Häusler die Tatsache, dass es immer mehr "anlassbezogene Straftaten" gibt, wie der Forscher sagt. So wurden etwa 75 Prozent der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte von Tätern verübt, die bislang noch nicht polizeilich aufgefallen sind, weder durch Gewalttaten noch als Teil der rechtsextremen Szene. "Diese Häufung ist absolut neu", sagt Häusler — und es seien häufig Menschen, die sich in den letzten zwei Jahren radikalisiert hätten und das vor allem über das Internet.

"Da entsteht, beispielsweise in Hetzblogs, in den sozialen Netzwerken aber auch durch Parteien wie Die Rechte, Pro.NRW und auch die AfD, eine panische Untergangsstimmung", sagt Häusler, "es wird suggeriert: Das deutsche Volk stirbt aus, wenn nicht jetzt sofort etwas passiert." Und das nähmen dann bislang unbescholtene Bürger zum Anlass, Straftaten zu begehen. Dazu passt auch, dass die meisten der Angreifer auf Flüchtlingsunterkünfte in der Umgebung wohnen.

Zugleich seien aber auch die typischen Akteure der rechten Szene in NRW weiter aktiv, darunter Neonazi-Gruppen aus der Musik- und Fußballszene. "Diese bestehende rechte Szene entfaltet dann durch Demonstrationen, aber auch im Internet, in der Flüchtlingskrise für viele Menschen eine besondere Sogwirkung", erklärt Häusler.

Laut Jörg Rademacher, Sprecher des NRW-Innenministeriums, ist der Anstieg in 2016 besonders auf ein Ereignis zurückzuführen: die Demonstration der fremdenfeindlichen "Pegida"-Bewegung am 9. Januar in Köln. Rademacher zufolge wurden alleine dort 209 Straftaten verzeichnet — das entspricht fast 80 Prozent des Gesamtanstiegs.

Zudem begründet diese Zahl auch die Tatsache, dass es in Köln im vergangenen Jahr so viele rechtsextreme Straftaten wie in keiner anderen Stadt in NRW gab, insgesamt 455 (2015 waren es noch 291). Von einer Hauptstadt des Rechtsextremismus zu sprechen, weist Rademacher aber zurück. "Es ist immer schwierig, solche Taten an Städten festzumachen", erklärt er, "da lokale Ereignisse wie Demonstrationen schon zu einem Anstieg der Anzeigen beitragen können".

Rechtsextremismus-Forscher Häusler sagt hingegen, es gebe durchaus regional verfestigte rechte Szenen, beispielsweise in Dortmund, wo unter anderem Neonazi-Kameradschaften und die Partei Die Rechte besonders aktiv seien. Auch den Anstieg der rechtsextremen Straftaten in Duisburg (von 175 auf 332 Straftaten von 2015 bis 2016) und den gleichzeitigen Rückgang in Düsseldorf (von 258 auf 182) erklärt Häusler mit einem lokalen Phänomen: "Die Pegida-Bewegung versucht, Duisburg als Aufmarschort zu etablieren und entfernt sich aus Düsseldorf, dadurch steigt dann auch die Zahl der Straftaten". So seien in zwei Jahren in Duisburg mehr als 100 Demonstrationen von Pegida registriert worden.

Besonders besorgniserregend ist die Statistik im Hinblick auf die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. 484 solcher Taten zählte das Ministerium im vergangenen Jahr. "Es ist beschämend, wenn Menschen, die alles verloren haben, mit Nazi-Methoden bedroht und verängstigt werden", sagt Sprecher Rademacher dazu.

Gleichzeitig betont er, dass die Behörden von Polizei bis Staatsschutz die rechtsextreme Gefahr sehr ernst nehmen würden. Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass Rechtsextremisten eine Vielzahl von politisch motivierten Straftaten begingen. "Bei den Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte beispielsweise wurden im Jahr 2016 180 Verdächtige in NRW ermittelt und unser Ziel ist es, alle Täter zu fassen".

Insgesamt erweist sich NRW damit im Vergleich zu anderen Bundesländern erneut als eine Hochburg der rechtsextremen Szene und der rechtsmotivierten Straftaten. Das sei ohne Frage problematisch, aber nichts grundsätzlich Neues, sagt Alexander Häusler. Wie Ministeriumssprecher Rademacher erklärt, ist deshalb der Kampf gegen den Rechtsextremismus seit Jahren einer der Schwerpunkte der Behördenarbeit in NRW, "von der Polizei bis zum Staatsschutz". Als beispielhaft hebt Rademacher zudem die Arbeit der Polizei in Dortmund hervor, die auf die rechte Gefahr in der Stadt beispielsweise mit Sonderkommissionen und massiver Präsenz reagiere.

Erst kürzlich waren in einer Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung rechtsextreme Tendenzen vor allem in Ostdeutschland festgemacht worden. Gemessen an der Bevölkerungsdichte werden in den ostdeutschen Bundesländern, etwa in Sachsen und Thüringen, deutlich mehr rechtsextreme Straf- und Gewalttaten verübt als in Westdeutschland.

Außerdem verdichten sich die Hinweise auf ein Rechtsextremismus-Problem in der Bundeswehr. Nach der Festnahme des mutmaßlichen rechtsextremistischen Bundeswehrsoldaten Franco A., der sich als Flüchtling ausgegeben hatte und einen Anschlag geplant haben soll, war eine umfassende Untersuchung der Kasernen angeordnet worden. Dabei wurden unter anderem Devotionalien der Wehrmacht gefunden.

(kess)
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