Zehn Jahre nach Orkan "Kyrill" Bis heute sind die Spuren des Sturms sichtbar

Düsseldorf · Zehn Jahre nach dem verheerenden Orkan "Kyrill" haben sich die Wälder in NRW noch immer nicht vollständig erholt. Sie sind aber dank neuer Laubbäume für Wetterextreme besser aufgestellt. Wiederholen könnte sich ein solcher Schaden dennoch.

Orkan Kyrill: Bis heute sind Spuren des Sturmtiefs von 2007 sichtbar
Foto: Foto: dpa/ Grafik: Anna Zörner

Es sind Bilder, die sich eingeprägt haben - monströse Schneisen durch die Wälder des Sauerlands, als hätten riesige Bagger die Bäume niedergewalzt. Der Übeltäter hieß jedoch "Kyrill" und war ein Orkan, der in der Nacht vom 18. auf den 19. Januar 2007 über Europa wütete. Mehr als 25 Millionen Bäume, das entspricht 15,7 Millionen Festmetern, wurden in NRW entwurzelt oder umgeknickt, die meisten davon im Sieger- und Sauerland.

Bundesweit zerstörte der Sturm 37 Millionen Festmeter Holz. Für tausende Waldbauern war dies eine verheerende Katastrophe, weil in einer Nacht die Arbeit von Jahrzehnten zerstört wurde. "Wir denken in unserer Branche ja nicht in Fünf-Jahres-Schritten, sondern in Generationen", sagt Larissa Schulz-Trieglaff von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldeigentümer. Bis heute sind die Spuren des Sturms sichtbar - und werden es wohl noch lange sein.

Zwischen 20 Zentimetern und einem Meter, je nach Art, wächst ein Baum pro Jahr. Bis er erntereif ist, können leicht 50 bis 80 Jahre vergehen. Ein Großteil der Fichten, die "Kyrill" zerstörte, stammten noch aus der Nachkriegsaufforstung, erzählt Schulz-Trieglaff - dies verdeutlicht in etwa die Dimensionen, in denen man beim Wald denken muss.

"Ein geschlossenes Waldbild ist noch nicht zu sehen"

Die gute Nachricht ist, dass zehn Jahre nach dem Sturm auf fast 98 Prozent der betroffenen Flächen wieder Bäume wachsen. "Allerdings sieht es dort bislang eher parkähnlich aus, ein geschlossenes Waldbild ist noch nicht zu sehen", sagt Stefan Befeld vom Landesbetrieb Wald und Holz.

Nach Kyrill: Waldschäden im Bergischen
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Nach Kyrill: Waldschäden im Bergischen

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Foto: Nico Hertgen

Verändert hat sich auch die Struktur der neuen Wälder. Statt der früheren Fichten-Monokulturen wurde der Anteil der Laubbäume deutlich hochgefahren, von sieben Prozent auf 47 Prozent. Der Sturm habe Schwachstellen aufgezeigt, sagt Befeld, und meint damit vor allem die Fichte. Einen Baum, der schnurgerade wächst und das auch noch relativ schnell, der gutes Bauholz liefert und dessen Astwerk sich leicht maschinell verarbeiten lässt. Mit der Fichte lässt sich als Waldbauer gut arbeiten und leben. Nur ist sie eben nicht für alle Böden geeignet, weil sie nicht tief wurzelt. Genau das wurde ihr bei "Kyrill" zum Verhängnis.

"Ein Ziel bei der Aufforstung war es, den Klimawandel und extreme Wetterereignisse zu berücksichtigen", sagt Befeld. Vergleichbar sei das mit einer Vermögensanlage, bei der man auch nicht alles auf eine Aktie setze, sondern die Anlagen streue, um das Risiko zu minimieren. Übertragen auf den Wald heißt das: Eine breite Palette von Baumarten soll das Überleben sichern, möglichst auch noch in 100 Jahren. Dabei gilt es aber auch zu bedenken, dass sich der Insekten- oder Pilzbefall verändern kann. Wie genau, ist oft schwer zu sagen. Ziel sei es laut Befeld, einen ökologisch hochwertigen Wirtschaftswald aufzubauen, in dem sich auch die Bäume gut miteinander vertragen.

Laubhölzer wie beispielsweise Buche und Eiche ersetzen jetzt die Fichten, dazu kommen aus Nordamerika eingeführte Nadelhölzer wie die Douglasie oder die Weißtanne aus dem süddeutschen Raum. Die Vorteile dieser Bäume: Sie wurzeln tiefer, stehen stabiler und liefern hochwertiges Holz. Denn ohne Nadelhölzer bekommt die Forstwirtschaft Probleme. Zwar suchen Sägewerke nach Vermarktungsmöglichkeiten von Laubholz. Geld aber verdienen sie derzeit mit Nadelholz. "De facto benötigt die Wirtschaft rund 80 bis 90 Prozent Nadelholz", sagt Lars Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Säge- und Holzindustrie.

Die Fichte hat daher bei vielen Waldbauern nicht komplett ausgedient. Muss sie auch nicht, sagt Befeld. Das sei letztlich eine Frage des Standorts und die Fichte für bestimmte Böden auch geeignet. Der Landesbetrieb hat alle Flächen danach klassifiziert, welche Baumarten dort ideal sind. "Letztlich ist es aber den Waldbesitzern überlassen, ob sie danach handeln", sagt Befeld. "Sie tragen das Risiko."

Orkan schlug eine Schneise der Verwüstung
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Orkan schlug eine Schneise der Verwüstung

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Foto: Kempner Martin

Für den Naturschutzbund (Nabu) Deutschland ist der Anteil naturferner Nadelwälder jedoch nach wie vor zu hoch. Naturnahe Laubmischwälder, die derzeit gerade mal auf gut einem Drittel der bundesweiten Waldfläche vorkommen, seien in der Vergangenheit kaum von den großen Stürmen betroffen gewesen. Deshalb müsse ihre Entwicklung vorangetrieben werden. "Das sollte eine prioritäre Aufgabe der Forstwirtschaft sein", erklärte Nabu-Präsident Olaf Tschimpke.

Eine Garantie dafür, dass ein ähnlich starker Orkan wie "Kyrill" nicht wieder vergleichbare Verwüstungen nach sie zieht, gibt es jedoch nicht. Zwar hätten die neuen Mischwälder einem Sturm mehr entgegenzusetzen, sagt Befeld. "Aber letztlich kommt es auf den Zeitpunkt und die Rahmenbedingungen an." Bei "Kyrill" hatte es vorher lange geregnet, die Böden waren durchnässt, die Bäume standen also nicht so stabil. Befeld: "Wenn wieder alles so unglücklich zusammentrifft, kann ein schwerer Sturm sicher auch horrende Schäden verursachen."

(isr)
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