Kreis Paderborn Säure-Angriff: Entstelltes Opfer verzeiht Täter

Paderborn · Die Frau überlebte, doch sie wird ein Leben lang entstellt bleiben: Ein lebensgefährlicher Säure-Angriff wird ab heute vor dem Landgericht Paderborn verhandelt. Das Opfer verdeckte die Narben im Gerichtssaal mit einer Maske.

Ex-Freundin mit Säure überschüttet: Prozess in Paderborn
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Ex-Freundin mit Säure überschüttet: Prozess in Paderborn

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Die Narben in ihrem Gesicht werden durch eine Maske verborgen, doch das Trauma ihrer Seele kann sie nicht verdecken.Immer wieder weint die 39 Jahre alte Frau während ihrer Aussage beim Säureangriff-Prozess im westfälischen Paderborn, immer wieder bricht ihre Stimme weg. Sie überlebte einen Angriff mit ätzender Schwefelsäure - ihr Gesicht ist für immer entstellt.

Aus Eifersucht soll er seiner Ex-Freundin Schwefelsäure über den Kopf geschüttet haben - nun muss sich ein 39-Jähriger vor dem Landgericht Paderborn wegen versuchten Mordes verantworten. Die ebenfalls 39 Jahre alte Frau überlebte den Angriff im September 2014 nur dank eines schnellen Notfalleinsatzes, bleibt aber lebenslang im Gesicht entstellt.

Umso erstaunlicher ist die Haltung der 39-Jährigen zu ihrem Ex-Freund auf der Anklagebank: "Ich hasse ihn nicht", sagt sie über den Mann. Die Liste ihrer Verletzungen ist lang: Die Säure fraß sich in das Gewebe ihrer rechten Gesichtsseite, das Augenlid musste operativ wieder hergestellt werden, Teile der Ohrmuschel fehlen, an Stellen ihres Kopfes wachsen keine Haare mehr. So schilderte es ihr behandelnder Arzt. In zahlreichen Operationen wurde Haut verpflanzt, weitere Eingriffe werden folgen. Noch muss eine Art Strumpfmaske das empfindliche Narbengewebe schützen und wie ein Korsett in Form halten. Nur mit Glück trugen ihre Atemwege und die Augen keine schlimmen Schäden davon. "Sie ist entstellt, und das wird sie auch bleiben", so die Prognose des Mediziners.

Um Fassung ringend, schildert die 39-Jährige das Erlebte: Wie sie immer häufiger stritten - nur ein halbes Jahr waren sie ein Paar. Er habe ihr vorgeworfen, fremdzugehen. Einmal schlug er sie so, dass sie ein Schädelhirntrauma davontrug. Er rastete aus, als sie mit einem Kumpel zum Joggen verabredet war. "Er hatte wieder getrunken", sagt die 39-Jährige.

Von einem Alkoholproblem bei dem Angeklagten ist die Rede. Sie will, dass er sich helfen lässt, droht mit Trennung, macht aber nicht ernst. Bis er schließlich - wohl mit reichlich Cognac intus - vor ihrem Haus steht.

"Betrügst du mich?", soll er gefragt haben. "Spinnst du?", war ihre Gegenfrage. Sie sieht das Glas, fühlt die Gefahr. "Und schon hatte ich die Säure im Gesicht", erinnert sie sich. Sie schrie vor Schmerz, schleppte sich ins Haus. Im Badezimmer ihrer Nachbarn kollabierte sie, wurde dann in eine Klinik geflogen.

Der Angeklagte hat im Prozess bislang keine Angaben gemacht. Bei einem Gutachter hatte er den Angriff zugegeben. Zugleich stritt er ab, die Attacke geplant zu haben.

"Sie ist ein Mensch, der findet, dass jeder eine zweite Chance verdient", sagte der Anwalt der Geschädigten. Deshalb hatte sie sich überhaupt auf eine Beziehung mit dem bereits wegen versuchten Totschlags Verurteilten eingelassen. Auch als er betrunken handgreiflich wurde, bekam er weitere Chancen.

Wieder Vergebung, trotz allem, auch jetzt: "Ich habe ihm verziehen", sagt die 39-Jährige den Richtern in ihrer Vernehmung.

Der mutmaßliche Täter ist mehrfach vorbestraft und war nach der Attacke geflüchtet. Einen Tag später wurde er auf einem Autobahnparkplatz in Bayern festgenommen.

Im Gespräch mit einem psychologischen Gutachter hatte der Mann zuvor eingeräumt, dass es in der etwa halbjährigen Beziehung zuletzt zu Streit und handgreiflichen Eifersuchtsszenen gekommen sei. Er habe sich ursprünglich selbst als Liebesbeweis an der Hand verätzen wollen, wie er dem Psychologen sagte. Doch dann sei es zum Streit gekommen, er habe sich nicht ernst genommen gefühlt und die Säure in ihre Richtung geschüttet, zitierte der Sachverständige aus seinem Gutachten. Der Mann ist mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen versuchten Totschlags. Auch damals verletzte er eine Partnerin schwer.

(dpa)
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