Nach den Anschlägen in Paris Wie sich NRW gegen einen Terrorangriff wappnet

Düsseldorf · Als Reaktion auf den Pariser Terroranschlag hat NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) die rund 200 Spezialeinsatzkräfte der NRW-Polizei sensibilisiert und den Objektschutz für französische Einrichtungen wie Konsulate in NRW verstärkt.

Die Ausrüstung des SEK.

Die Ausrüstung des SEK.

Foto: RPO/Martin Ferl

"Der Minister hat sich der Einsatzfähigkeit der SEK-Beamten versichert", sagte ein Sprecher unserer Redaktion. Eine formale Alarmbereitschaft sei nicht ausgerufen worden, "weil es keine Hinweise auf Anschlagsziele in NRW gibt", so der Sprecher. Am Vormittag nahm Jäger an einer Telefonkonferenz mit Amtskollegen aus sämtlichen Bundesländern sowie dem Bundesinnenministerium teil. Die Konferenz soll am späten Nachmittag fortgesetzt werden.

Die Bundespolizei hat die Grenzkontrollen verschärft. Züge, die aus Frankreich kommen und nach Frankreich fahren, werden nach möglichen Terroristen durchsucht. Auch an den Flughäfen soll erhöhte Alarmbereitschaft herrschen. "Wir haben die ohnehin schon starken Kontrollen noch einmal erhöht", sagte ein Bundespolizist unserer Redaktion. In keinem anderen Bundesland (außer Berlin) ist das Risiko für einen terroristischen Anschlag so hoch wie in Nordrhein-Westfalen. Mindestens dreimal ist das Land in jüngster Vergangenheit an einem verheerenden Bombenanschlag vorbeigeschrammt. In Bonn am Hauptbahnhof scheiterte im Dezember 2012 zuletzt ein Anschlag nur wegen eines Konstruktionsfehlers des Sprengsatzes. In keinem anderen Bundesland leben mehr Islamisten als in NRW. Die Rheinschiene gilt als Hochburg des Salafismus in Deutschland. Die meisten Islamisten leben in Bonn. Die Sicherheitsbehörden führen eine Liste mit rund 200 dort gemeldeten Männern, von denen eine potenzielle Gefährdung ausgeht.

NRW verfügt über rund 200 SEK-Beamte. Die Elitepolizisten sind für die Bekämpfung von bewaffneten Schwerkriminellen und Terroristen ausgebildet und verteilen sich in NRW auf sechs Standorte: Köln, Düsseldorf, Dortmund, Essen, Mnster und Bielefeld. An jedem Standort gibt es drei SEK-Einheiten. Arnold Plickert, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) meint, dass die Spezialeinsatzkräfte in NRW noch immer unzureichend für die Abwehr von terroristischen Anschlägen ausgerüstet sind. "Derzeit haben wir landesweit nur etwa 40 Schutzwesten der höchsten Schutzklasse IV, die wir brauchen, um die Spezialeinsatzkräfte auch gegen Schnellfeuergewehre schützen zu können, wie die Terroristen sie in Paris benutzt haben", so Plickert gegenüber unserer Redaktion. In einem vertraulichen Brandbrief hatten die Kommandoführer sämtlicher 18 Spezialeinsatzkommandos (SEK) in NRW ihre Vorgesetzten schon im Januar auf den unzureichenden Schutz der Elitetruppen aufmerksam gemacht.

Anlass für den Brandbrief war das erste Pariser Attentat dieses Jahres, bei dem am 7. Januar in Paris zwei maskierte Terroristen mit Sturmgewehren bewaffnet in die Redaktion der Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" stürmten und zwölf Menschen erschossen. Auch bei der zweiten Pariser Anschlagsserie vom vergangenen Freitag nutzten die Terroristen derartige Schusswaffen. Das NRW-Innenministerium betont, man habe sich damals mit den SEK-Leitern besprochen. Die Weiterentwicklung der Ausrüstung sei auf den Weg gebracht worden. "Es ist unser Ziel, die Ausrüstung der SEK permanent verbessern. Dazu gehört die persönliche Ausstattung wie Schutzwesten und Helme", heißt es im Innenministerium, "Wir wollen den bestmöglichen Schutz für die Polizisten in den Spezialeinheiten."

Die Richtung stimmt, aber das Tempo offenbar nicht. Obwohl das Problem der unzureichenden SEK-Ausrüstung also seit fast einem Jahr bekannt ist, rechnet Plickert erst Anfang Dezember mit einer Vollausstattung aller rund 200 Spezialeinsatzkräfte in NRW mit solchen Schutzwesten. "Grund für die lange Verzögerung ist, dass solche Beschaffungen europaweit ausgeschrieben werden müssen." Plickert hält diese Verzögerung für vermeidbar und gefährlich: "Offen gesagt: Wenn es um die Sicherheit unserer Polizeibeamten geht, sind mir europaweite Ausschreibungen egal. Ich erwarte, dass dann derjenige Anbieter sofort den Zuschlag bekommt, der dieses sicherheitsrelevante Material am schnellsten liefern kann."

Die Schutzwesten sind auch nicht das einzige Problem der SEK-Truppen. Die Kommandoführer drängen in ihrem Brandbrief auf ein acht Punkte umfassendes "Sofortmaßnahmenpaket", um die Handelungsfähigkeit der 18 SEK in NRW wieder herzustellen. Unter anderem fordern sie den sofortigen Ersatz ihrer Weichkern-Munition durch Hartkern-Geschosse, weil die derzeitige Munition im Einsatz gegen Täter, die ebenfalls kugelsichere Westen tragen, nicht ausreiche. Insider klagen zudem, dass auch das gepanzertes Fahrzeug, das den Elitepolizisten im Kampf gegen schwerbewaffnete Terroristen zur Verfügung steht, nur bedingt einsetzbar ist: Der Motor des Fahrzeuges ist unzureichend gegen Beschuss abgeschirmt. Damit könnte das Fahrzeug im Einsatz unter Beschuss manövrierunfähig u werden.

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Der Polizeiexperte der CDU im Landtag, Gregor Golland, sagt: "Die Sicherheitsbehörden in NRW sind nicht ausreichend vorbereitet. Es gibt bei den Spezialeinheiten Ausrüstungsmängel." Außerdem fehle es der Polizei "massiv an Personal". Die Polizeiexpertin der Grünen im Landtag, Monika Düker, widerspricht: "NRW stockt seit Jahren den Personalbestand bei der Polizei auf. Mit 1892 neuen Polizeianwärtern stellen wir in diesem Jahr so viele wie seit Jahrzehnten nicht ein und können so eine umfangre3iche Polizeipräsenz gewährleisten", so Düker. Trotzdem könne es "aber auch bei uns keine absolute Sicherheit geben", so Düker.

Erkenntnissen des Verfassungsschutzes zufolge schnellte die Zahl der gewaltbereiten Salafisten in NRW in den vergangenen Jahren dramatisch nach oben. Waren es Ende 2013 noch rund 1500 Islamisten, die als gefährlich eingestuft wurden, sind es mittlerweile rund 2000 — Tendenz steigend.

Trotz umfangreicher Bemühungen wie Prävention, Razzien, Observationen und Verboten bekommen die Sicherheitsbehörden das Problem nicht in den Griff. Gefahr geht vor allem von den Kriegsheimkehrern aus, die für den Islamischen Staat (IS) in Syrien gekämpft haben. Die Sicherheitsbehörden bezeichnen diese Rückkehrer als verroht. "Sie waren im Krieg. Sind an Waffen erprobt. Sie können auch hier Anschläge verüben", sagte ein Antiterrorfahnder unserer Redaktion. Nach den Anschlägen im Januar in Paris hatten die NRW-Sicherheitsbehörden alle verdächtigen Islamisten im Land überprüft - das dürfte auch jetzt der Fall sein.

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Tatort Paris – die blutige Spur des Terrors

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Foto: afp, le

Die Bundesanwaltschaft hatte erst vor Kurzen wieder einen deutschen Syrien-Rückkehrer, den 25 Jahre alten Nils D., angeklagt, der aus Dinslaken stammt. Die Behörde wirft dem 25-jährigen Mitgliedschaft in der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) vor. Er soll in Syrien auch in einer Spezialeinheit zur Festnahme von Deserteuren aus den Reihen des IS gearbeitet haben.

Nils D. war im Januar im Zuge der Überprüfungen der Islamisten in NRW in Dinslaken festgenommen worden. Er soll dem IS in Syrien seit Oktober 2013 für etwas mehr als ein Jahr angehört haben. Dort sei er auch in die Verwaltung von IS-Gefängnissen eingebunden gewesen, teilte die Behörde am Mittwoch mit. Beim Verhör eines Gefangenen habe er als Dolmetscher fungiert.

Die Ermittler versuchen, möglichst jede Ausreise eines Islamisten nach Syrien zu verhindern. Doch die rechtlichen Hürden für ein solches Verbot liegen hoch, so dass nicht jede Ausreise verhindert werden kann. Ähnlich sieht die Gesetzeslage bei der Rückreise der Dschihadisten nach Deutschland aus. "

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