Prozess um gepanschte Medikamente Hauptzeuge belastet Bottroper Apotheker

Im Prozess gegen einen Apotheker aus Bottrop, der massenhaft Krebsmedikamente gepanscht haben soll, hat am Donnerstag ein ehemaliger Mitarbeiter ausgesagt. Martin Porwoll war derjenige, der die Ungereimtheiten in der Apotheke aufdeckte und der Polizei meldete.

Apotheker aus Bottrop wegen Krebs-Mitteln vor Gericht
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Apotheker aus Bottrop wegen Krebs-Mitteln vor Gericht

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Foto: dpa, ve fgj

Der 15. und wohl entscheidende Verhandlungstag im Prozess gegen den mutmaßlichen Pansch-Apotheker von Bottrop beginnt mit dem Hinweis des Richters, dass alle vom Angeklagten gemachten Fotos zu verpixeln seien. Nachsichtiges Lächeln von den mehr als 30 Plätzen im größten Saal des Landgerichts Essen für die Nebenkläger und ihre Anwälte. "Ach Gott", tönt es spöttisch halblaut aus dem Zuschauerraum. Eine Viertelstunde dauert es noch, bis geklärt ist, wer anwesend ist, und die Termine der geplanten Zeugenbefragungen genannt sind. Um 9.46 Uhr dann ruft eine Saaldienerin Martin Porwoll in den Zeugenstand, den ehemaligen kaufmännischen Leiter der Apotheke, der zum Whistleblower wurde. Der 46-Jährige hat die Anzeige gestellt, die Ende 2016 zur Razzia in der Apotheke führte und zur Untersuchungshaft für den Angeklagten, die bis heute andauert.

Porwoll spricht klar und strukturiert, zwei Stunden lang, die ersten zwanzig Minuten davon ohne eine einzige Pause. Nur seine nervösen Finger verraten, dass er sich der Verantwortung voll bewusst ist, die auf ihm lastet. Knapp, aber deutlich gibt er Auskunft über sein Verhältnis zum Angeklagten ("Wir kennen uns seit den Siebzigerjahren, waren auf demselben Gymnasium und haben uns nie aus den Augen verloren"). Ende 2014 hatte Porwoll eine Vollzeitstelle im Betrieb seines Bekannten angetreten, als eine Art Mädchen für alles: die Personalplanung gehörte ebenso zu seinen Aufgaben wie die komplette EDV, er überwachte die täglichen Geldflüsse, schrieb Reden - "und wenn der Aufzug kaputt war, hab ich mich auch darum gekümmert".

Herausfordernd sei die Arbeit gewesen, groß die Ambitionen des Apothekers, der immer weiter expandierte und nebenbei eine komplette Häuserzeile kaufte, abriss und auf dem Grundstück in bester Innenstadtlage ein Ärztehaus bauen ließ. Aber er sei auch gut dafür entlohnt worden, sagt Porwoll ohne zu zögern: "98.500 Euro brutto". Wie es grundsätzlich um die Finanzen seines Vorgesetzten bestellt gewesen sei, habe er nicht gewusst. Die eigentliche Buchhaltung sei ihm komplett verborgen geblieben.

Nachforschungen habe er erst angestellt, als mehrere Faktoren zusammenkamen: Hartnäckige Gerüchte über große Missstände im Reinraumlabor, wo der Apotheker oft höchstpersönlich die Krebsmedikamente (Zytostatika) individuell anmischte. Vermehrte Kündigungen. Und schließlich der Krebstod seines eigenen Vaters. "Die Kollegen rieten einander, dass man Verwandte besser nicht mit Medikamenten aus unserer Apotheke versorgt. Aber dazu ist es ohnehin nicht gekommen. Zwischen der Diagnose und dem Tod meines Vaters lagen nur sechs Wochen."

Im Februar 2016 begann Porwoll zu untersuchen, ob sich die Mengen der eingekauften und bei den Krankenkassen abgerechneten Wirkstoffe unterschieden. "Ich hatte gehofft, dass ich dabei gar keine Diskrepanz finde oder höchstens eine kleine, gut erklärbare." Stattdessen entdeckte er bei der Untersuchung von nacheinander vier unterschiedlichen Wirkstoffen, dass die Apotheke teilweise dreimal so viel Wirkstoff bei den Krankenkassen abrechnete, wie sie je eingekauft hatte. So Porwolls detailliert dokumentierte Vorwürfe stimmen, die auch die Grundlage der Anklageschrift bilden, hat der Apotheker systematisch Krebsmedikamente unterdosiert, um sich an den teils extrem hohen Preisunterschieden zu bereichern.

Dass er auch ohne die vorgeschriebene Schutzkleidung oder teils sogar mit seinem Hund im Reinraumlabor gearbeitet haben soll, fällt angesichts dieses Vorwurfs kaum noch ins Gewicht, obwohl auch minimale Verunreinigungen für Krebskranke tödlich sein können. Um den wirtschaftlichen Schaden für die Kassen in Höhe von offenbar rund 56 Millionen Euro geht es im Kern ohnehin nicht. Sondern um Körperverletzung, womöglich in Tausenden oder gar Zehntausenden Fällen, von denen aber nur 27 zur Anklage kommen, der Einfachheit halber. Für die Nebenkläger steht indes fest, dass der Apotheker ein Mörder sei, ein Massenmörder. Der Angeklagte selbst trägt nichts dazu bei, diesen Vorwurf zu zerstreuen. Seit seiner Festnahme bei der Razzia in seiner Apotheke am 28. November 2016 schweigt er beharrlich.

Wenige Tage nach der Razzia sei ihm die fristlose Kündigung überreicht worden, sagt Porwoll. Im Raum seien dabei neben dem Vater des Apothekers auch ein Anwalt sowie der Steuerberater gewesen. Damals sei neben vielen Vorwürfen, zu denen er auf anwaltlichen Rat geschwiegen habe, auch der Satz gefallen: "Das hätte man doch auch anders regeln können." Gemeint gewesen sei damit eine Rückübertragung der Apotheke vom Angeklagten auf dessen Mutter, die den Betrieb bereits zwischen 1985 und 2001 geführt hatte.

Dazu ist es zwischenzeitlich tatsächlich gekommen: Seit 13 Monaten sitzt der Angeklagte in Untersuchungshaft, seitdem wird die Apotheke wieder von seiner Mutter geführt - mit der offiziellen Begründung, dass es keine Sippenhaft gebe. Ob die Mutter des Angeklagten von den Missständen wusste und falls ja, in welchem Ausmaß, ist allerdings strittig. Porwoll zufolge war sie auch nach der offiziellen Betriebsübergabe intensiv in den täglichen Geschäftsbetrieb eingebunden.

Mit dem Verlauf des Prozesstags waren die Nebenkläger einigermaßen, aber nicht voll zufrieden. "Der große Wurf war das nicht. Wir hatten uns schon mehr erhofft, etwas mehr Wumms", erklärte die Sprecherin der mutmaßlichen Opfer, Heike Benedetti. "Aber vielleicht war unsere Erwartungshaltung auch unrealistisch groß. Auf Martin Porwoll lastet so viel Verantwortung und damit Druck - in seine Lage kann sich niemand hineinversetzen." Den Verteidigern habe Porwoll aber keine Munition geliefert, betonte sie. "Die haben nach wie vor nichts in der Hand."

Dieser Meinung schloss sich in einem seltenen Emotionsausbruch auch der Vorsitzende Richter Johannes Hidding an. Kurz vor Schluss hatten die vier Verteidiger des Angeklagten geklagt, sie hätten noch keinen Einblick in Prozessakten von 2005 erhalten. Damals war Porwoll wegen Betrugs verurteilt worden - woraus er selbst aber auch kein Geheimnis macht. Im Gespräch mit unserer Redaktion etwa hatte Porwoll dieses unrühmliche Kapitel seiner Biografie von sich aus angesprochen. "Wenn das alles ist, was Sie vorzubringen haben...", sagte deshalb der Richter fast mitleidig an die Adresse der Verteidiger, "dann ist das wenig". Es waren mit die letzten Worte dieses Tages - und definitiv die, die am meisten nachhallen.

(tojo)
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