Höchststrafe für Marcel H. gefordert Keine strafmildernden Gründe erkennbar

Im Doppelmord-Prozess gegen den 20-jährigen Marcel H. fordert der Staatsanwalt die höchste Strafe, die in Deutschland möglich ist. Für einen so jungen Angeklagten ist das ungewöhnlich. Doch es gibt eigentlich nichts, was zu seinen Gunsten gewertet werden könnte.

Marcel H. aus Herne: Mutmaßlicher Kindermörder in Bochum vor Gericht
16 Bilder

Mutmaßlicher Kindermörder Marcel H. vor Gericht

16 Bilder
Foto: Bernd Thissen/dpa

Nach 24 Verhandlungstagen hat Marcel H. am Donnerstag um 13.25 Uhr das letzte Wort. Den ganzen Prozess über hat er geschwiegen, es gab kein Wort des Bedauerns, keinen Versuch der Entschuldigung, nie ging sein Blick in Richtung der beiden Frauen, die ihm an jedem einzelnen Tag gegenüber saßen. Doch auch diese letzte Gelegenheit nutzt der 20-Jährige nicht. Er schüttelt nur langsam den Kopf.

Die beiden Mütter haben tapfer sämtliche grausamen Details ertragen, die im Prozess vor dem Bochumer Landgericht wieder und wieder beschrieben wurden. Marcel H. hat im März 2017 ihre Söhne in Herne getötet. Auf eine Weise, in der er ihnen "jegliches Menschenrecht aberkannt hat" wie Staatsanwalt Danyal Maibaum an diesem vorletzten Prozesstag in seinem Plädoyer sagt. Über mehrere Monate haben sich alle Beteiligten bemüht, die Taten aufzuklären und die Persönlichkeit des Angeklagten zu verstehen.

Doch am Ende kann es kein Verstehen geben. Der neun Jahre alte Jaden und Christopher W., 22, starben grundlos und "völlig unschuldig". Beide wollten Marcel H. helfen, der sie dann heimtückisch und unter Ausnutzung ihrer Arg- und Wehrlosigkeit mit bis zu fast 70 Messerstichen tötete. Das sind nur zwei von mehreren Mordmerkmalen, die der Staatsanwalt erfüllt sieht. Er beantragt die höchste Strafe, die das deutsche Recht zu bieten hat: Lebenslang mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Das kann bedeuten, dass Marcel H. nie wieder frei kommt.

Der Angeklagte war erst 19 Jahre alt, als er zum Mörder wurde. Sein Anwalt wird später sagen, er habe in mehr als 20 Jahren erst einmal erlebt, dass ein so junger und bisher nicht vorbestrafter Mensch nach dem Erwachsenen- statt dem Jugendstrafrecht verurteilt werden könnte. Staatsanwalt Maibaum hat das beantragt, zwei psychiatrische Gutachterinnen hatten H. im Verfahren als voll schuldfähig eingestuft.

Der Anwalt von Jadens Familie sagt: "Ich habe noch nie erlebt, dass ein so junger Mensch derart verroht ist." Es gebe schlicht keine strafmildernden Gründe. Der Staatsanwalt beschreibt Marcel H. als "manipulativ, sadistisch und empathielos". Kaltherzig habe er nicht nur zwei Menschen getötet, sondern dann auch noch Fotos der Toten verschickt und sie in menschenverachtender Weise verhöhnt. Über seinen Nachbarsjungen Jaden hatte Marcel H. etwa gesagt: "Der hätte an dem Tag ja auch vom Auto überfahren werden können." Maibaum sieht kaum eine Chance, den Angeklagten therapieren zu können.

Die Gutachterinnen hatten ihm eine dissozial-narzisstische Persönlichkeitsstörung attestiert. Marcel H. hatte nie tiefer gehende Bindungen zu Menschen - auch nicht zu seinen Eltern. Die komplette Familie hat sich nach den Taten von ihm abgewandt.

Seine Schwester erzählte dem Gericht, sie habe ihren Bruder ein einziges Mal im Gefängnis besucht - und ihn noch nie so stolz gesehen. Marcel H. genoss die Aufmerksamkeit, die ihm schon während der deutschlandweiten Fahndung im März 2017 sicher war.

Auch dieser Aspekt wurde am vorletzten Prozesstag noch einmal thematisiert. Sein Motiv? Es klingt banal: Er war unzufrieden mit dem eigenen Leben, sah keine Perspektive, nachdem er mit einer Bewerbung bei der Bundeswehr gescheitert war. Erst wollte er sich laut eigener Aussage erhängen, entschied sich dann aber dafür, "etwas Knastwürdiges zu tun."

Und sein Geständnis? Nach dem Mord an Christopher W. stellte er sich in einer Imbissbude in Herne und diktierte in jener Nacht den Ermittlern alle Details seiner Taten präzise in den Block - so hatten sie es beschrieben. "Das war kein Geständnis aus Reue, sondern ein Prahlen mit den Taten", sagt die Anwältin von Christophers Mutter.

Einen Anflug von Bedauern äußerte Marcel H. nur in einem Brief an seine eigene Mutter. "Aber die Reue nehme ich ihm nicht ab", sagt Staatsanwalt Maibaum. Der Brief hatte die Mutter kurz vor der Schlussphase des Verfahrens erreicht, Maibaum geht von reiner Taktik des Angeklagten aus. "Wir haben in diesem Prozess viele Gefühlsregungen erlebt - nur nicht von ihm."

Jadens Mutter legt ihre Hand auf den Arm von Christophers Mutter, als noch einmal die Taten geschildert werden. Christopher W. hatte Marcel H. nichtsahnend Unterschlupf gewährt, nachdem dieser Jaden in einem Keller getötet hatte. Als er am nächsten Morgen im Internet sah, dass sein Kumpel mit Foto von der Polizei gesucht wird und ihn weckte, tötete Marcel H. auch ihn. Seine Mutter weint still, als der Staatsanwalt beschreibt, dass Christopher mit Tränen in den Augen um sein Leben flehte.

"Kannst du mir nicht doch helfen?", soll er Marcel H. gefragt haben, schon schwer verletzt durch viele Messerstiche. Marcel H. schlug ihm nach eigener Aussage einen Deal vor: Wenn Christopher ihm seinen Handy-Code und seine Bank-Geheimzahl gebe, würde er einen Krankenwagen rufen. Doch Marcel H. rief keinen Krankenwagen, als er hatte, was er wollte. Er erdrosselte seinen Kumpel mit einem grünen Karategürtel.

Die Erbarmungslosigkeit des Angeklagten, seine "unfassbare Abgebrühtheit", wie Maibaum sagt, hat in diesem Prozess immer wieder alle Beteiligten fassungslos zurückgelassen. Jadens Mutter reagiert ihrerseits mit dem Wunsch nach Vergeltung. Sie will, dass der Mörder ihres Kindes jetzt endlich bestraft wird. Und zwar "möglichst schwer und möglichst lange".

Das Urteil wird am 31. Januar verkündet.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort