Prozess gegen BVB-Attentäter "Ich wollte die Bombe so sicher wie möglich machen"

Dortmund · Erstmals schildert der Angeklagte im Prozess wegen des Anschlags auf die Mannschaft des BVB seine Version. Er habe niemanden verletzen wollen, beteuert er. Doch die Richter haben große Zweifel an seiner Darstellung.

Wie kann es sein, dass jemand eine Bombe mit Stahlstiften baut, diese explodieren lässt, wenn gerade der vollbesetzte Mannschaftsbus von Borussia Dortmund (BVB) vorbeifährt, und hinterher aussagt, er habe der Mannschaft nur einen Schrecken einjagen - aber niemanden verletzen wollen? Genau das behauptet Sergej W. am Montag vor dem Dortmunder Landgericht. Erstmals äußert er sich im Prozess selbst.

Um diesen Widerspruch dreht sich das gesamte Verfahren gegen den 28-jährigen Sergej W.. Seit Dezember 2017 muss er sich wegen 28-fachen versuchten Mordes vor dem Dortmunder Landgericht verantworten. Ihm wird vorgeworfen, am 11. April 2017 drei Sprengsätze in der Nähe des Mannschaftshotels L‘Arrivée gezündet zu haben - aus Habgier, sagt Oberstaatsanwalt Carsten Dombart. Sergej W. hatte auf den Kursverlust der BVB-Aktie infolge eines Anschlags gewettet und hätte - so steht es in der Anklage - bis zu einer halben Million Euro Gewinn machen können. Zu Beginn des Prozesses im Dezember hatte W.s Anwalt Carl Heydenreich anstelle seines Mandanten die Tat eingeräumt und erklärt, dieser habe aber niemanden verletzen, sondern nur erschrecken wollen.

Das klingt absurd angesichts der Tatwaffe: drei Sprengsätze gespickt mit bis zu 16 Zentimeter langen Stahlstiften. Einer der Stahlstifte durchschlug eine Scheibe des BVB-Mannschaftsbusses und blieb in der Kopfstütze eines Sitzes stecken. Ein weiterer Metallbolzen verletzte den damaligen BVB-Spieler Marc Bartra am Handgelenk. Ein anderer Metallbolzen durchschlug das Wohnzimmerfenster einer Anwohnerin und hinterließ in der Wohnzimmerwand eine große Macke. Das hatte eine 55-jährige Nachbarin des Mannschaftshotels vor Gericht ausgesagt.

"Die Anleger sollten Panik kriegen"

Der Angeklagte erklärt am Montag, dass er Metallbolzen verwendet habe, weil sie weniger gefährlich als Kugeln oder Nägel seien - und offenbart damit die teils widersprüchliche Logik eines Täters, der seine Tat zwar akribisch vorbereitet und geplant hat, darüber hinaus aber keinerlei Vorstellung über die möglichen schrecklichen Folgen entwickelt hat. Und so wiederholt er an diesem Tag immer wieder, er habe das Attentat nur vortäuschen wollen. "Ich habe versucht, die Sprengvorrichtungen so sicher wie möglich zu gestalten."

Der Vorsitzende Richter Peter Windgätter möchte wissen, warum Sergej W. überhaupt Metallbolzen in die Sprengsätze einbaute und nicht alleine auf die Wucht der Detonation setzte. Er erklärt das damit, dass er das Attentat so genau wie möglich wie ein IS-Attentat inszenieren wollte. "Ich wollte, dass sich die Stifte auf der Straße verteilen, damit man sie schnell entdeckt", sagt W.. "Ich wollte eine große Medienwirkung erzielen, die Anleger sollten Panik kriegen."

Nach dem Attentat in Paris im November 2015 habe er die Idee zu dem Anschlag gehabt. Damals hatten IS-Terroristen unter anderem das Stade de France und den Pariser Nachtclub Bataclan attackiert. An diesem Abend fand ein Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und Frankreich statt. 130 Menschen starben, mehr als 630 wurden verletzt. Damals hatte W. festgestellt, dass es infolge des Attentats zu Kursschwankungen an den Börsen kam.

Es klingt merkwürdig, dass jemand ein Attentat als Inspiration für seine eigene Tat nennt, viele Monate später einen Sprengstoffanschlag plant und dabei niemanden verletzen will. Zu der Behauptung passt auch nicht, dass W. einen vierten Sprengsatz gebaut haben will, um ihn zu testen - das habe er aber nicht mehr getan, weil keine Zeit dazu blieb. Später habe er den Sprengsatz vernichtet. Auch da haken die Richter nach. Damit habe er doch ausprobieren können, ob alles so funktioniert, wie er es sich vorgestellt habe. Doch statt Sprengkraft und Reichweite der Splitter zu testen, verließ sich Sergej W. auf YouTube-Videos zum Bombenbau und sein technisches Wissen. "Das ist ja nur ganz normale Physik. Das wird schon klappen, hab ich gedacht", sagt er, und in diesem Satz wird seine makabere Logik wieder offenbar. Das Gericht muss W. nachweisen, dass er vorsätzlich handelte. Das ist entscheidend für das spätere Strafmaß.

Umfangreiches technisches Wissen

Ausführlich beschreibt W., wie er die Bomben gebaut hat - und offenbart dabei ein umfangreiches technisches Wissen. Unermüdlich erklärt er jedes noch so kleine Detail seiner Konstruktion. Weil er mit starkem russischen Akzent spricht, müssen die Richter häufiger nachfragen. W. erzählt, dass er die Sprengsätze während seiner Spätschichten etwa eine Woche vor der Tat gebaut habe. Zu diesem Zeitpunkt arbeitet W. als Elektroniker in einem Biomasse-Heizkraftwerk in Tübingen, verdient zwischen 3500 bis 3700 Euro brutto im Monat.

Auf dem Betriebsgelände sei er nachts allein gewesen. Dort habe er den Sprengstoff aus Wasserstoffperoxid hergestellt. Diesen habe er in Tunneln unter dem Betriebsgelände versteckt. Ebenfalls nachts habe er die Metallbolzen mit einem Winkelschneider hergestellt. Das gesamte Bombenmaterial habe er in einem Raum in einem leerstehenden Lüftungsschacht gelagert. Den Raum habe er nur mit Schutzanzug, Gummihandschuhen und Atemmaske betreten, um keine DNA-Spuren an der Bombe zu hinterlassen.

Vom 7. bis 9. März 2017 sei er in Dortmund gewesen, um den Tatort auszukundschaften. Damals habe er am Tatort mit Attrappen geübt.

Einen Monat später kehrte er zurück nach Dortmund, einen Tag vor dem Anschlag. In der Nacht vom 9. auf den 10. April stellte er in einem Wald nahe des Tatortes ein Zelt auf - als Ablenkungsmanöver. Die Ermittler sollten denken, dass dort die Attentäter übernachtet hätten, und nicht die Gäste des Hotels verdächtigen. Um es wie ein IS-Attentat aussehen zu lassen, habe er sogar Lebensmittel in Belgien gekauft und zum Zelt gebracht, damit eine Spur nach Belgien und eine mögliche Verbindung zu Attentaten in Brüssel weist. Den Zeltplatz steckte er später per Fernzünder in Brand.

Angeblich fiel die Entscheidung kurzfristig

Gegen 19.16 Uhr am Abend des 11. April zündete er schließlich die drei Sprengvorrichtungen - zu diesem Zeitpunkt hatte die Börse aber schon geschlossen. Warum er den Anschlag nicht früher am Tag verübt habe, will der Vorsitzende Richter wissen. Ursprünglich habe er die Bomben früher zünden wollen. Doch er habe gezweifelt, ob er die Tat wirklich begehen wolle. "Als ich ins Hotel eingecheckt habe, wusste ich überhaupt nicht, ob ich das machen würde", sagt W.. Die Entscheidung sei relativ kurzfristig gefallen. Warum, will er erstmal nicht sagen.

Überhaupt will W. nichts zu persönlichen Gründen sagen, weder warum er die Tat geplant hat, noch was er mit dem gewonnenen Geld machen wollte. Darüber hat er zwar mit dem psychiatrischen Gutachter gesprochen, aber in der öffentlichen Verhandlung will er es nicht wiederholen.

So bleiben wesentliche Fragen an diesem Verhandlungstag unbeantwortet. W. sagt nichts dazu, wie er sich die Sprengkraft seiner Bomben vorgestellt hat, wie er sich unmittelbar nach der Tat gefühlt hat und wie hoch genau seine Gewinnerwartung war. Welchen Wert die Richter den Argumenten des Angeklagten beimessen, wird sich in den kommenden Prozesstagen zeigen. Für 19. März 2018 sind der ehemalige Dortmunder Trainer Thomas Tuchel und einige Profis des BVB geladen.

(heif)
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