Reptilienmesse in Hamm Giftschlange für 50 Euro abzugeben

In NRW ist der Handel mit gefährlichen oder geschützten Reptilien nicht verboten - anders als in anderen Bundesländern. Das lockt Menschen aus ganz Europa an. Auf einem Parkplatz in Hamm treffen sich zur Reptilienmesse private Züchter und tauschen allerlei giftiges Getier. Ein Besuch.

Das war die "Terraristika" in Hamm
19 Bilder

Das war die "Terraristika" in Hamm

19 Bilder

Marcel hockt auf dem Betonboden und blickt in eine weiße Styroporkiste. Neben ihm kniet eine Frau, blondierte Haare gucken aus ihrer Pudelmütze hervor. Die Wasserstoff-Blondine kritzelt eine Unterschrift auf ein Stück Papier. Marcel reicht ihr einen 50-Euro-Schein, steht auf und schiebt sich ein Päckchen so groß wie eine Pralinenschachtel unter seine Sweatshirt-Jacke. In dem Päckchen befindet sich eine indonesische Kobra, eine Giftschlange, die unter Artenschutz steht und die man in Europa nur mit einem sogenannten Herkunftsnachweis handeln kann.

Solche Geschäfte finden an diesem Tag hunderte statt. Auf dem Parkplatz vor dem "Café del Sol" in Hamm verabreden sich Reptilienfreunde aus ganz Europa, um hauptsächlich Schlangen zu tauschen. Nicht nur aus dem nahen Belgien, Luxemburg und den Niederlanden kommen Besucher, sondern auch aus Spanien. In Sichtweite des "Café del Sol" sind die Zentralhallen, wo an diesem Tag die "Terraristika" stattfindet, Europas größte Reptilienmesse. Das Geschäft läuft immer nach demselben Prinzip: Kofferraum auf, den Deckel öffnen, Ware zeigen (wenn Tier nicht gefährlich), Geld kassieren. Keine fünf Minuten dauert das.

Der Handel mit Reptilien wächst. Vor allem über das Internet können Reptilienfreunde alles kaufen, was sie wollen. Darunter auch Hybridzüchtungen giftiger Schlangen, die so in der Natur gar nicht vorkommen. Nach Deutschland sind laut einer Statistik des Bundesamts für Naturschutz 2014 rund 76.000 artengeschützte Reptilien eingeführt worden. Zahlen für 2015 liegen noch nicht vor. Anders als in anderen Bundesländern sind in NRW Besitz, Handel und Zucht von solchen Tieren nicht verboten und wird es in absehbarer Zukunft auch nicht sein. Wie jetzt bekannt wurde, wird ein Gefahrtiergesetz, das es in 9 von 16 Bundesländern gibt, vor den Landtagswahlen nicht mehr kommen.

In Hamm treffen sich viermal im Jahr Menschen aus ganz Europa, deren Hobby die Reptilien- und Amphibienzucht ist. "Nordrhein-Westfalen hat sich zu einem Zentrum der Haltung exotischer Tiere in Deutschland entwickelt", heißt es in einer Stellungnahme des Landesumweltministeriums. Schon Monate vorher verabreden sich Züchter und Tierhalter im Internet für diesen Termin, um frisch geschlüpfte oder wenige Wochen alte Tiere zu verkaufen. Ein Teil triftt sich dann auf dem Parkplatz des Cafés.

Dort hält sich fast jeder ein Handy ans Ohr. Wo und wann man sich trifft, wird häufig kurzfristig entschieden. Und es sind hauptsächlich Männer, die eine Leidenschaft für Haustiere zu haben scheinen, die nicht zum Kuscheln sind. Kerle in Flecktarnhosen und schwarzen Bomberjacken oder mit tätowierten Oberarmen in T-Shirts tragen weiße Styroporboxen vor sich her. Ihnen kann die Kälte nichts anhaben, ihren Tieren aber schon. Die Kisten schützen die wechselwarmen Tiere vor dem Auskühlen.

Marcel trägt einen Undercut, die Haare hat er sich hoch gegelt. Im rechten Ohr blinkt ein Borussia-Mönchengladbach-Piercing. Zu Hause, erzählt er, hält er 38 Schlangen in 28 Terrarien. 180 Euro Strom zahlt Marcel im Monat extra, weil seine Terrarien so viel Energie verbrauchen. Er halte seine Schlangen artgerecht. "Alle meine Tiere werden vom Veterinäramt untersucht." Mit seinen Giftschlangen treibe er keinen Schindluder. "Ich hole die auch nicht aus dem Terrarium. Ich sehe sie mir nur an", sagt Marcel. Für den Fall, dass er doch mal gebissen wird, ist er Mitglied im "Verein der Gifttierhalter Europas". Der versorgt seine Mitglieder mit dem nötigen Antiserum. 150 Euro kostet das im Jahr. Das ist wenig im Vergleich zu tausenden Euro, die ein Gegengift kosten kann.

Die indonesische Kobra hat er von einer Slowakin gekauft. "Solche Geschäfte mit Giftschlangen sind auf dem Messegelände nicht erlaubt", sagt Marcel. Anders sieht es auf dem Platz vor dem Café aus - zumindest fehlen dort offenbar die Kontrollen.

Linus kommt aus Kiel und fährt zweimal im Jahr nach Hamm zur Reptilienmesse. Er ist verheiratet und hat eine kleine Tochter. Schon seit er ein kleiner Junge ist, interessiert er sich für Schlangen. "Ich bin auf dem Land aufgewachsen", erzählt er. "Ich habe früher immer Blindschleichen und Ringelnattern mit nach Hause gebracht." Linus‘ Frau musste sich erst an das Hobby ihres Mannes gewöhnen. Jetzt hat sie aber nichts mehr dagegen, sagt er.

Linus steht vor dem Eingang der Messe und wartet auf den Einlass. Am Morgen standen sich die Besucher hier noch die Beine in den Bauch, so groß war der Andrang. Wenige Stunden später kommt man ohne langes Anstehen rein. Linus interessiert sich vor allem für Königspythons. Liebhaber nennen sie einfach "Köpys", das klingt so wie die Biersorte. Pythons sind ungiftige Würgeschlangen, die mehrere Meter lang werden können, wie "Kaa" aus dem Disney-Klassiker "Das Dschungelbuch".

Der junge Familienvater hat auf dem Parkplatz eine Albino-Königspython gekauft. Diese Schlangen sind Nachzüchtungen, die solange gekreuzt wurden, bis die Schuppen statt eines bräunlichen Musters ein weiß-gelbes Muster haben. Das gilt als schick und ist teuer. Linus braucht ein neues Männchen für seine eigene Zucht. Stolz zeigt er Handy-Bilder von der Paarung zweier Königspythons. Weil mittlerweile fast jeder Schlangenhalter auch selbst züchtet, gehen die Preise in den Keller. Für manch einen privaten "Köpy"-Händler wird sich die Anfahrt nach Hamm nicht mehr lohnen, mault ein Betroffener aus Luxemburg.

Der neueste Schrei sind neue Schuppenmuster. Als Linus es in die Halle geschafft hat, schaut er sich an einem Stand eine "Ultramel" an. Das Tier liegt eingeringelt in seiner Box auf Katzenstreu. Das Schuppenmuster erinnert farblich an Honig oder Karamel. 4000 Euro kostet das Tier, eine der teuersten Züchtungen auf der Messe.

Drinnen in der Halle ist es warm und feucht. So, wie es Terrarientiere mögen. Für Menschen ist so ein Klima eher anstrengend. Während auf dem Parkplatz private Züchter ihre Tiere feilbieten, stehen drinnen die Gewerblichen. Die meisten bieten Jungtiere zum Verkauf an. Deswegen sehen selbst die Würgeschlangen, die im ausgewachsenen Zustand mehrere Meter lang werden, in den Plastikboxen mit transparenten Deckeln winzig aus.

Anders als auf dem Parkplatz gelten für Giftschlangen drinnen besondere Sicherheitsvorkehrungen. Sie werden in einem gesonderten Raum zum Verkauf angeboten. Vor dem Eingang steht eine Rettungssanitäterin und fragt jeden Besucher, der in den Raum mit den Giftschlangen will, ob er über 18 Jahre alt sei. Im Raum treffen sich die harten Kerle. Einer ist dabei, der ein eisernes Kreuz auf dem Handrücken tätowiert und ein durchgerissenes Ohrläppchen hat. Einer der Händler verkauft Klapperschlangen aus Afrika und Nordamerika. Er findet die Tiere "wunderschön". Auf den Plastikboxen ist ein kleines Totenkopf-Zeichen aufgedruckt.

"Der Handel mit illegal eingeführten Tieren ist strengstens untersagt", schreibt Messe-Betreiber Frank Izaber in einer Begleitbroschüre, die jeder Besucher am Eingang in die Hand gedrückt bekommt. Wem ein "schwarzes Schaf" auffalle, solle sich an die Ordner wenden, empfehlen die Organisatoren. Die Messe ist sauber, das sagt das NRW-Umweltministerium auf Anfrage unserer Redaktion. Problematisch sei das, was im Internet gehandelt werde und der Handel, der sich im Umfeld der Messe abspielt. Darüber haben das Ordnungsamt und die Veterinäre keine Kontrolle.

Das weiß auch Uwe Ringelhahn, Leiter des "Terra-Zoos" in Rheinberg. Er arbeitet seit Jahren mit den Behörden als Sachverständiger zusammen und war schon mehrfach in Hamm. Selbst wenn die Ordnungsbehörden berechtige Zweifel an den Herkunftsnachweisen artengeschützter Tiere haben, sind sie oft machtlos. "So ein Herkunftsnachweis ist eine einfache Bescheinigung eines Züchters. Die kann man sich ganz leicht selbst schreiben", sagt Ringelhahn. Wenn das Ordnungsamt Herkunftsnachweise etwa aus der Slowakei überprüfen möchte, ist es auf die Zusammenarbeit mit den dortigen Behörden und Tierärzten angewiesen. "Es ist sehr schwierig zu überprüfen, ob die Angaben auch stimmen." Wenn sie das nicht tun, ist das zunächst nur eine Ordnungswidrigkeit.

Zurück auf dem Parkplatz vor dem "Café del Sol". Das schottische Ehepaar David und Christine trägt gerade eine Styroporkiste zum Auto. In der Box befinden sich mehrere Chamäleons, eine Bartagame und eine Scaleless-Kornnatter für 400 Euro. Die Kornnatter hat keine Schuppen mehr. Auch so ein Mode-Gag, der auf der Messe gehandelt wird. Die Schlange kann man im Terrarium nur auf Papier halten, weil die Haut sehr leicht reißen kann. Sie fühlt sich an, als wenn man über straffgespannte Seide streichelt.

David hält in drei Zimmern seines Hauses 700 Tiere, erzählt er. Die Zimmer werden nicht mehr gebraucht, seit die Kinder erwachsen sind. Er und Christine kommen jedes Jahr mit der Fähre aus Großbritannien rüber. Sie haben selbst einmal in Deutschland gelebt. Jetzt wollen sie weiter zum Weihnachtsmarkt nach Paderborn. Den wichtigsten Einkauf haben sie für heute erledigt.

(heif)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort