Serie: Unser Rhein (Folge 20) Aus der Fährstube den Fluss im Blick

Kleve · Am 20. Dezember 1967 beherbergte das Rheinhotel Dresen nur einen einzigen Gast, obwohl sich eine Heerschar illustrer Besucher in Rees aufhielt. Zur Einweihung der neuen Rheinbrücke wohnte Bundespräsident Heinrich Lübke in dem Traditionshaus, das aus Sicherheitsgründen keine weiteren Zimmer vermieten durfte. Auch die Kellerfenster waren versiegelt, über dem Eingang wehte die Nationalflagge mit Bundesadler.

 Zur Einweihung der neuen Reeser Rheinbrücke wohnte Bundespräsident Heinrich Lübke 1967 im Rheinhotel Dresen.

Zur Einweihung der neuen Reeser Rheinbrücke wohnte Bundespräsident Heinrich Lübke 1967 im Rheinhotel Dresen.

Foto: Stephan Kaluza/Rheinprojekt-Edition

Während der Bauarbeiten war im November 1966 ein 95 Meter langes Stück der Schrägseilbrücke eingestürzt. Verletzt wurde niemand, aber die Einweihung verzögerte sich und fiel jetzt mitten in den Winter. "Lübkes Mitarbeiter riefen morgens noch beim Wetteramt an, das Minuswerte voraussagte, weshalb der Präsident eine Pelzmütze mit Ohrenklappen trug", erinnert sich Magda Dresen. Die 77-Jährige leitet bis heute das Rheinhotel, das seit 1919 im Familienbesitz ist.

 Die bekannte Fährstube wurde vor einem Jahr wieder mit Leben gefüllt.

Die bekannte Fährstube wurde vor einem Jahr wieder mit Leben gefüllt.

Foto: van Offern

"Das Grundstück direkt am Rhein kostete nach dem Ersten Weltkrieg 65 000 Reichsmark, das Inventar 5000", zitiert Magda Dresen aus dem Originalvertrag. Die Käuferin war die Gastwirtstochter und Friseurwitwe Wilhelmina Dresen. 1935 ging das Hotel in den Besitz von Heinrich und Fine Dresen über. Die Zerstörung des Gebäudes im Zweiten Weltkrieg und Heinrich Dresens Tod im Jahr 1946 zwangen den Betrieb zu einer längeren Pause.

Doch Sohn Auwi Dresen, benannt nach dem Hohenzollernprinzen August Wilhelm von Preußen, zugleich aber auch nach seinen Großeltern August und Wilhelmina, absolvierte eine Ausbildung im Bahnhofshotel Dinslaken. So konnte er mit seiner Mutter Fine exakt zu Weihnachten 1956 das Rheinhotel wiedereröffnen. Kein halbes Jahr später heiratete er Magda Pumpe aus Wesel-Flüren. Jahrzehnte prägte das Paar das gesellschaftliche Leben in Rees wie kein anderes.

Die legendäre Fährstube, ein runder Anbau mit Blick auf den Schicksalsstrom und seine schweren Schiffe, hieß im Volksmund "das kleine Rathaus". In dem urigen Schankraum trafen sich die Reeser Politiker nach ihren Sitzungen, um bei Bier und Korn die eigentlichen Entscheidungen zu treffen, auch Generationen von Bürgermeistern und Stadtdirektoren fragten Auwi Dresen stets nach seiner Meinung.

"Er hatte nie ein politisches Amt, aber einfach ein Gefühl für das authentische Stimmungsbild in der Stadt", sagt der ehemalige Reeser Bürgermeister Dr. Bruno Ketteler. Auch sein Nachfolger Christoph Gerwers wählte 2009 bewusst die Fährstube, um den Wählern sein Programm zu präsentieren - und zog bald darauf als neuer Bürgermeister ins "große Rathaus", das gleich gegenüber vom Rheinhotel steht.

Seit Auwi Dresens Tod im Jahr 2003 blieb die Fährstube meist geschlossen und öffnete nur noch auf Anfrage oder für private Familienfeiern. Der neue Pächter Ludger Rösen konzentrierte sich auf sein Hauptgeschäft, das Rheincafé. Doch unlängst kehrte wieder Leben in die Fährstube ein. Der Reeser Nachtwächter Heinz Wellmann bietet in seiner zweiten Rolle als "Hein vom Rhein" Flusstouren in Kombination mit einem niederrheinischen Fischmenü an.

Zum Nachtisch gibt es Herrencreme und viele "Weißt Du noch?"-Anekdoten aus Auwi Dresens Leben. So zahlte der ehemalige Major des Reeser Bürgerschützenvereins einmal alle Strafzettel, die eine Politesse feiernden Schützenbrüdern fürs Falschparken verpasst hatte. Als 1971 noch Geld für eine neue Orgel der Pfarrkirche St. Mariä Himmelfahrt fehlte, ließ Auwi Dresen sich bei einer Spendenaktion eine Glatze schneiden. Wer zahlte, durfte in der Fährstube den Rasierer über Auwis Haupt gleiten lassen. "So kamen über 1000 Mark zusammen", erinnert sich Magda Dresen, die eifrig mitrasierte. "Danach trug Auwi erstmals wieder eine Kochmütze, damit ahnungslose Gäste nicht laufen gingen."

An der Hotelfassade, gleich hinter der Bronzeskulptur des Rhinkiekers, erinnert eine Wetterstation an den beliebten Hotelier. Das Schild "Auwis Wetter" neben dem Barometer spielt auf die Frage vieler Hotelgäste an: "Wie wird denn heute das Wetter?" Dresen antwortete stets: "Heiter bis wolkig." "So war halt Auwi", sagt Magda Dresen. "Er hatte nicht immer Recht, aber immer die besten Argumente."

(RP)
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