Serie Unser Rhein Bei Hochwasser gibt's für die Kühe Stubenarrest

Düsseldorf · Auf dem Bergmeister-Hof in Himmelgeist richtet sich der Tagesablauf nach den Stallzeiten, nach Saat, Ernte, Wetter - und nach dem Rhein.

 Jan-Philipp Bergmeister hat gerade seine Ausbildung zum Landwirt erfolgreich abgeschlossen und eine zweijährige Weiterbildung zum Agrarbetriebswirt angehängt.

Jan-Philipp Bergmeister hat gerade seine Ausbildung zum Landwirt erfolgreich abgeschlossen und eine zweijährige Weiterbildung zum Agrarbetriebswirt angehängt.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Morgens um 5.45 Uhr stehen Edda, Regina, Reni, Meica, Mary und 60 weitere Artgenossinnen Schlange. Scheinbar tiefenentspannt geben sie kaum einen Mucks von sich, warten geduldig, bis Karl-Peter Bergmeister sie nach und nach an die acht Melkplätze seines Himmelgeister Hofes anschließt. "Hopp, hopp", macht der Landwirt einigen Trödlerinnen Beine. Ruck, zuck spritzt er die Euter der Kühe mit einem Schlauch ab, reinigt die Zitzen, stimuliert sie kurz mit der Hand, um den Milchfluss in Gang zu bringen, legt das Melkgeschirr an - und wie auf Kommando fließt die Milch durch Schläuche in einen großen Edelstahltank, wo sie sofort auf vier Grad gekühlt wird. Rund zehn Minuten dauert das pro Kuh. Danach gibt's noch ein bisschen Bodylotion für die "Damen". Zack, zack, taucht Bergmeister die Zitzen in einen Becher mit einer Mischung aus Milchsäure und Glyzerin: "Das wirkt pflegend und keimtötend." Und dann sind die nächsten acht Kühe an der Reihe. Wer fertig ist, muss erst mal wieder warten. Gut, dass sie die erste Fütterung schon hinter sich haben.

Etwa eineinhalb Stunden dauert ein Melkdurchgang (der sich abends wiederholt). Dann kommt Idas großer Auftritt. Laut bellend treibt die Appenzeller Sennenhündin die Herde der Holstein-Friesen Schwarzbunt vor sich her auf die Weide. Dort haben sie viele Schatten spendende Bäume und einen grandiosen Rheinblick. Mitten im Naturschutzgebiet.

 60 Hektar groß ist das Gelände der Familie Bergmeister, die in großer Nähe zum Rhein Landwirtschaft betreibt.

60 Hektar groß ist das Gelände der Familie Bergmeister, die in großer Nähe zum Rhein Landwirtschaft betreibt.

Foto: Andreas Endermann

Die Bergmeisters leben schon in der vierten Generation mit dem Fluss, der sich regelmäßig auch von seiner tückischen Seite zeigt. "Der Himmelgeister Rheinbogen war immer offen, deshalb drängt das Hochwasser hier zuerst rein", sagt Karl-Peter Bergmeister. Wenn das "planmäßig" zwischen November und Ende März kommt, kann es dem Vieh nichts anhaben, denn das überwintert in dieser Zeit ohnehin im Stall. Im letzten Jahr aber sei auch im Mai und Juni Land unter gewesen. Also gab's für Kühe und Kälber unerwartet Stubenarrest.

Ganz schlimme Zeiten erlebte der Hof beim großen Hochwasser 1999, als auch die Ställe überflutet waren. Da wurde das Vieh vorübergehend sogar bei einem befreundeten Kollegen in Neviges untergebracht. "Auf den Deich, den man den Himmelgeistern vor 20 Jahren versprochen hat, warten wir immer noch", klagt der 56-Jährige.

Wenn sich das Wasser zurückgezogen hat, ist erst mal Aufräumen angesagt, weil die Wiesen mit dicken Baumstämmen und einem Teppich aus Unrat bedeckt sind. Zum Glück sei der Fluss inzwischen wieder relativ sauber, sagt der Hofhalter. So bestehe für das Vieh keine Gefahr, mit dem Gras Schadstoffe aufzunehmen. Umgekehrt trage die regelmäßige Überflutung aber auch nicht dazu bei, dass das Gras besonders saftig werde. "Wir sind hier nicht am Nil", frotzelt Sohn Jan-Philipp Bergmeister.

Die Tiere auf dem Himmelgeister Hof stammen alle aus eigener Zucht. Die Gefahr, sich beim Zukauf Krankheiten einzuhandeln, sei zu groß, erläutert der 22-Jährige, der gerade seine Ausbildung zum Landwirt erfolgreich abgeschlossen hat und eine zweijährige Weiterbildung zum Agrarbetriebswirt anhängt. Stärken und Schwächen der weiblichen Tiere werden bei der künstlichen Besamung durch den entsprechend ausgesuchten Partner ausgeglichen. 70 bis 80 Kälber kommen pro Jahr auf dem Hof zur Welt, 18 bis 20 weibliche Tiere werden zur eigenen Nachzucht behalten, die übrigen an andere Züchter verkauft. Die männlichen Tiere gehen im Alter von zwei Wochen an Mastbetriebe. Durchschnittlich vier Jahre lebt ein Kalb, bis es in den Schlachthof wandert, Kühe sechs bis sieben Jahre.

Rund 10 000 Liter Milch gebe jede seiner Kühe im Jahr. Karl-Peter Bergmeister: "Das liegt über dem Landesdurchschnitt." Brutto 38 Cent pro Liter bekommt er dafür bei seiner Genossenschaft. Einen Cent mehr als üblich, weil der Himmelgeister Hof sich im Rahmen des Nachhaltigkeitsprogrammes Landliebe besonders strengen Qualitätsauflagen unterwirft. Dazu gehöre unter anderem der Verzicht auf gentechnisch verändertes Futter. "Wir sind lückenlos überwacht", betont der 56-Jährige. Gras und Mais stammen aus eigenem Anbau, lediglich das Kraftfutter wird zugekauft. Und als besonderes Leckerli gibt's für liebe Vieh Treber, also Braureste, aus der Brauerei Schumacher.

Wer die Milch aus Himmelgeist nicht im Handel kaufen will, bekommt sie auch ab Hof. "Weil sie unbehandelt ist, rahmt sie schön auf und man kann die Sahne abschöpfen", weiß Heike Bergmeister. Die 51-Jährige mit dem praktischen Kurzhaarschnitt und dem herzlichen Auftreten hilft ihrem Mann auf dem Hof und führt Regie über den fünfköpfigen Haushalt. Dessen Ablauf richtet sich nach den Stallzeiten, nach Ernte und Saat sowie dem Wetter. Morgens um 5.30 Uhr, vor dem Melken, gibt's in der Küche einen Kaffee im Vorbeigehen. Wenn die Tiere auf der Weide sind, steht das Frühstück parat. Thema an diesem Morgen ist das gerade bestandene Abitur des jüngsten Sohnes Julian. Betriebswirtschaftslehre oder Agrarwissenschaft möchte er studieren. Schwester Anne-Wiebke hat bereits ihren Bachelor in Betriebswirtschaftslehre und macht jetzt ihren Master. Dass beide auch auf dem Hof mit anpacken, ist selbstverständlich.

Für Jan-Philipp, den Ältesten, ist schon lange klar, dass er den Betrieb, auf dem eine 60 Hektar große Fläche bewirtschaftet wird, einmal übernehmen möchte. Er brennt für den Beruf, das ist ihm deutlich anzumerken. Realistisch sieht er aber auch das Problem, dass der Hof, der neben der Milchwirtschaft Getreideanbau betreibt, auf Dauer zwei Familien nicht ernähren kann. Ideen, das zu ändern, hat der Junior schon. "Vielleicht kann man zusätzlich in die Direktvermarktung gehen, Käse, Quark und Joghurt ab Hof verkaufen." Dafür brauche man aber die richtige Frau an seiner Seite, sagt er. Seine Zukünftige müsse nicht aus der Landwirtschaft kommen, sondern könne ruhig einem anderen Beruf nachgehen. Eines aber wäre schon wichtig: "Sie muss dahinterstehen, dass ich vielleicht mehr und zu anderen Zeiten arbeite als andere Männer." Und schön wäre es, wenn sie die Buchhaltung übernehmen könnte.

Angst vor Konflikten mit dem Vater hat Jan-Philipp nicht: "Wenn er sieht, dass ich mir über etwas Gedanken gemacht habe, ist er sehr aufgeschlossen." Und eines betont der Junior gleich mehrfach: "Ich werde zu nichts gezwungen." Vater Karl-Peter kann sich natürlich keinen besseren Nachfolger wünschen. "Ich habe nie gedacht, dass das mal jemand weitermachen wird", sagt er. Übers Altenteil will er noch nicht nachdenken, aber eines ist für ihn sicher: "Ich könnte nicht ohne den Fluss leben."

(RP)
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