Rheinliebe Bodenständig mit rheinischen Delikatessen

Ratingen · Der Rhein, das milde Klima und die katholische Kirche haben die regionale Küche geprägt. Den Pfiff liefert rheinische Entspanntheit.

Rheinliebe: Bodenständig mit rheinischen Delikatessen
Foto: Volker Lannert

Vieles kann, nichts muss. In der rheinischen Küche gilt dasselbe entspannte Laissez-faire wie im Umgang der Menschen miteinander. Auch kulinarisch kann im Rheinland jeder nach seiner Fasson selig werden. Ob er sich bei Himmel un Ääd im Paradies wähnt oder ihm bei dem Gedanken an Sauerbraten das Wasser im Munde zusammenläuft.

Rheinliebe: Bodenständig mit rheinischen Delikatessen
Foto: Radowski

Wie bei anderen Regionalküchen geht es um den Ausdruck Kultur und Identität. Sprache, Bräuche und eben das Essen prägen das Heimatgefühl, erinnern an den Alltag und die Feste der Kindheit. Der köstliche Geruch aus Omas Küche zählt für viele Menschen zu den schönsten Erinnerungen. Essen ist eben mehr als die Aufnahme von lebensnotwendigen Vitaminen und Nährstoffen, vielmehr "ein zentraler Bestandteil unserer Kultur", heißt es im Vorwort zum "Lexikon der rheinischen Küche" von Berthold Heizmann. "Was wir essen, wann, wie zubereitet, in welcher Gesellschaft - das verrät viel über die jeweiligen kulturellen Strukturen einer Gesellschaft."

Als überwiegend katholisch geprägte Region setzt das Rheinland auch in der Küche auf den Jahresverlauf anhand der kirchlichen Feiertage. Fleisch stand allenfalls an Sonn- und Feiertagen auf dem Speiseplan. Auch weil es in der einfachen ländlichen Küche ein Luxusgut war. Die Kartoffel hingegen brachte es in Kesselskuchen, Rievkooche und zahlreichen anderen Gerichten zu großem Ruhm. Sogar einen Wochentag widmeten die Rheinländer der Knolle: Zum "Ädäppelsdach" ernannten sie den Freitag, weil dann die Kartoffel als Fastenspeise auf den Tisch kam. Ähnlich wie die Schwaben, die in ihren freitäglichen Maultaschen, liebevoll "Herrgottsbscheiserle" genannt, unter der Nudelhülle die Fleischfüllung verbargen, soll auch im Rheinland das eine oder andere Stück Speck oder Wurst in die Kartoffelgerichte gemogelt worden sein.

Bei dieser Wesensverwandtschaft wundert es dann auch nicht mehr, dass sich mit Michael Hofmann ausgerechnet ein Mann aus dem Allgäu der Pflege der rheinischen Küche verschrieben hat. Der 52-jährige Küchenchef steht im Bonner Gasthaus "Stiefel" am Herd. Und zählt neben den heimischen Kässpätzle den Sauerbraten zu seinen Lieblingsgerichten. "Bei uns gibt es Rind", sagt er und nimmt damit die wichtigste Glaubensfrage gleich vorweg. Darüber hat er seine Gäste mit Messer und Gabel abstimmen lassen.

"Zwischendurch hatten wir Sauerbraten vom Pferd auf der Karte", erzählt er. Aber da sei vielen der Appetit vergangen. Um 50 Prozent sei der Umsatz mit dem meistgewählten Gericht damals eingebrochen. Seitdem macht Hofmann keine Experimente mehr. Jedenfalls nicht mit Sauerbraten.

Dafür bietet er einheimischen wie ausländischen Gästen mit seinen "Rheinischen Tapas" gleich einen ganzen Durchmarsch durch die deftige kalte Küche des Rheinlands passend zu einem frisch gezapften Kölsch an: Frikadellchen, Mett, Halver Hahn und - für die Mutigen - gebratene Flönz mit Apfelkompott. Dass der Halve Hahn rein gar nichts mit Geflügel zu tun hat, sondern zumindest in Bonn und Köln ein Röggelchen mit mittelaltem Holländer, Zwiebeln und - bei Bedarf - einem Klecks Senf ist, weiß beinahe jedes Kind, aber längst nicht jeder Tourist.

Auch zahlreiche Fluss- und Meeresspezialitäten, die über den und im Rhein in die Gegend kamen und kommen, spielen für Freunde der rheinischen Küche eine große Rolle: Lachs und Aal sicherten den Rheinfischern lange Jahre das Auskommen. Die heutigen Delikatessen waren wegen ihrer leichten Verfügbarkeit billig zu haben. Verschoben haben sich auch die Regeln in Bezug auf die begehrten Miesmuscheln, die mit Zwiebeln, Möhren und Lauch in Weißwein köcheln: Während sie früher in den Monaten verpönt waren, die kein "R" im Namen führen, können sie heute bedenkenlos das ganze Jahr verzehrt werden, weil die geschlossene Kühlkette sie unverdorben lässt.

Neben dem Einfluss der benachbarten Regionalküchen, dem prägenden Einfluss des Rheins als Transportweg und Nahrungsmittellieferant spielt auch das milde Klima im Rheinland für Küche und Keller eine Rolle: Mit grünen Wirsingpflanzen in der Vorweihnachtszeit sorgte der Advents- oder Maikohl in der Bonner Bucht für Abwechslung auf dem Speiseplan.

"Es war eine Arme-Leute-Küche, die für viele mit Erinnerungen an Not und Elend im und nach dem Krieg verbunden war", sagt Dagmar Hänel, Co-Autorin des Lexikons der rheinischen Küche. Eine Erfahrung, die manche Zutaten auf ewig verleidete: "Für meine Großmutter weckte die Steckrübe immer die Erinnerung an eine traumatische Lebensphase, dieses Gemüse kam bei ihr ebenso wenig auf den Tisch wie Brennnesselspinat oder Graupen", erzählt eine Rheinländerin.

Das Gegenstück zur Entbehrung und zugleich den verfrühten Lohn für das damals anschließende Adventsfasten bildete die Martinsgans. Der Genuss des edlen Vogels geht auf die zu Sankt Martin fälligen Naturalienzahlungen ans Gesinde zurück. Ein Fest, zu dem auch Schmalzgebäck gehörte. Und wo die teure Gans unerschwinglich war, füllte der Kesselskuchen selig machend den Magen - und erhielt zum Dank immer neue Kosenamen: Ob Schemmes, Puttes, Dielsknall oder Düppekuchen, es handelt sich immer um einen dickeren weitläufigen Verwandten des Rievkoochens. Aber wer will da schon kleinlich sein? Der Rheinländer gewiss nicht.

Etwas weiter den Rhein hinunter, im Kreis Kleve, hat die regionale Küche wieder ihre eigenen Spezialitäten. Im Restaurant "Alt Derp - Haus Stassen", das Metzgermeister Karl-Heinz Hornbergs und seine Frau Michaela seit mehr als 20 Jahren in Kevelaer betreiben, bieten sie typisch niederrheinische Küche an. Darunter Pannas, der Sud von Blut- oder Leberwurst angedickt mit Buchweizenmehl. "Man lässt es kalt werden und brät es dann in der Pfanne" sagt Hornbergs. Dazu serviert er einen sommerlichen Salat mit Rübenkraut-Dressing (Krüt) sowie Bratkartoffeln und geräucherten Speck. In Anlehnung an die früher am Niederrhein übliche Sitte, bei Hochzeiten Suppe und Tafelspitz mit Remoulade zu servieren, gibt es in Kevelaer Tafelspitz vom niederrheinischen Weiderind im Kupfertopf gegart, dazu Suppengemüse.

Eine weitere Spezialität vom Niederrhein ist das "Dry Aged Beef", sagt Hornbergs. Während das Fleisch früher einfach zum Trocknen aufgehängt wurde, kommt es heute in die Reifekammer.

(RP)
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