Jürgen Becker und Jacques Tilly Schäl sind immer die anderen

Düsseldorf/Köln · In Köln wohnt rund ein Drittel auf der "falschen" Rheinseite. In Düsseldorf sind es nur rund sieben Prozent. Der Düsseldorfer Karnevalist Jacques Tilly und der Kölner Kabarettist Jürgen Becker erklären, welches Ufer das bessere ist - und warum.

Jürgen Becker und Jacques Tilly: Schäl sind immer die anderen
Foto: Endermann, Andreas (end)

Jürgen Becker: "Castelum Novaesium, das heutige Neuss, war nun mal zuerst da. Auf der Schäl Sick war die Pferdewiese der Römer, ansonsten war dort tote Hose. Aus diesem Grund heißt die einzige bundesweit bekannte Band Düsseldorfs so. Auch im südlichen Colonia galt die Schäl Sick als kulturloses Barbarenland.

Kabarettist Jürgen Becker.

Kabarettist Jürgen Becker.

Foto: NGZ

Während die Römer auf der linken Rheinseite das Christentum samt bunter Fronleichnamsprozession installierten, brachten die Westfalen auf der rechten Seite noch heidnische Tier- und Menschenopfer. Daher rührt historisch das als Musik getarnte barbarische Geschrei der Toten Hosen. Im Übrigen auch der Westfälische Bauernschinken. Da ist damals in Salzkotten ein Bauer vom Kotten runter in die Salzlake gefallen. Jahre später hat man ihn gefunden und probiert mit dem Ergebnis: "Den kann man doch noch essen!"

Heute sind die Kulturen beider Seiten verschmolzen. Der Rheinländer liebt das wohlgesalzene Essen, das freudige Trinken und die farbenfrohen Feste, egal ob Rosenmontagszug, Christopher Street Day oder die Fronleichnamsprozession, Hauptsache "´dr Zoch kütt". Doch die längere heidnische Tradition der Schäl Sick schimmert noch heute durch. In Köln müssen die Mottowagen vom römisch-katholischen Erzbischof abgesegnet werden.

Das wäre bei den antiklerikalen Wagen Jacques Tillys undenkbar. Düsseldorf hat sich das freche, widerborstige antirömische Heidentum bewahrt. Nicht nur Campino, ebenso das dunkle Kaltgetränk unterstreicht das. Ursprünglich aus einer Malzdarre gebraut, haben ihn auch die katholischen Kölner probiert, spuckten ihn aber gleich wieder aus und riefen: "Pfui Deibel!" Da ist dann Diebels draus entstanden. Vielleicht ist das aktuelle Bröckeln der Brücken eine Mahnung der alten germanischen Götter, den Rhein als kulturelle Grenze zu achten und die barbarische Freude an der Unterschiedlichkeit zu feiern. Prost!"

Info Jürgen Becker (54) moderiert im WDR die Sendung "Mitternachtsspitzen". Er lebt mit Frau und Tochter im Kölner Süden.

Jacques Tilly: "Liebe Düsseldorfer, ich muss euch eine folgenschwere Wahrheit verkünden: Düsseldorf hat gar keine "Schäl Sitt".

Zwar mangelt es nicht an Versuchen rechtsrheinisch orientierter Düsseldorfer, mich als gebürtigen Oberkasseler immer wieder damit aufzuziehen: Linksrheinisch, das ist sei doch das falsche, das minderwertige, das makelbehaftete, eben das "schielende" Düsseldorf. Doch solche Frotzeleien machen nur dann Spaß, wenn sie einen realen und greifbaren Hintergrund haben, wenn sie ein Körnchen Wahrheit widerspiegeln. Hier aber wird nur ein nicht übertragbares Kölner Klischee kopiert. Denn der Begriff "Schäl Sick" (in Düsseldorf "Schäl Sitt") geht eindeutig auf das Verhältnis der beiden Kölner Rheinseiten zurück. Schon in der Antike verkörperte dort der Rhein die Trennlinie zwischen Kultur und Barbarei, zwischen zivilisierten Römern und hinterwäldlerischen Germanen. Später siedelten sich im rechtsrheinischen Teil Kölns Industrien an. Die kaufmännisch orientierte, gutbürgerliche Stadtbevölkerung ließ es sich nicht nehmen, die dort lebende Arbeiterschaft als nicht richtig dazugehörig abzuqualifizieren, als "schäl" eben. Selbst die Bläck Fööss halten es für nötig, heute noch in einem Lied über die "Schäl Sick" zu mahnen: "Do levve och Minsche, verjeßt se nit." So ist er halt, der typische Kölner: Alles, was nicht reinrassig Urkölsch ist, wird schräg angesehen. Im Grunde ist für den Kölner der ganze Rest der Welt die Schäl Sick. Er schmort gerne selbstbesoffen im eigenen Saft. Ein klarer Fall von mentalem Inzest.

Der Düsseldorfer Rosenmontagszugwagenbauer Jacques Tilly.

Der Düsseldorfer Rosenmontagszugwagenbauer Jacques Tilly.

Foto: Bretz, Andreas

In Düsseldorf sind die Verhältnisse anders. Düsseldorf war immer offener und internationaler, hatte viel mehr Zu- und Abwanderung sowie wechselnde Herrschaftseliten von außerhalb. Deshalb ist auch ein typisch Kölner Begriff wie "Imi" für Zugereiste in Düsseldorf kaum gebräuchlich. Dazu kommt, dass der linksrheinisch dominierende Stadtteil Oberkassel von Anfang an als gehobene Wohngegend für Betuchte konzipiert war. Der Oberkasseler ist in Düsseldorf kein Außenseiter, im Gegenteil: In ihm verdichtet sich in prototypischer Weise, wie der Düsseldorfer in der nicht immer schmeichelhaften Außenwahrnehmung vielfach beschrieben wird: als neureich, blasiert und elitär. Der Oberkasseler verkörpert sozusagen DEN Düsseldorfer (beziehungsweise DIE Düsseldorferin) in Reinkultur. Das typische Düsseldorf, das ist heute ziemlich linksrheinisch."

Info Jacques Tilly (51) entwirft und baut die Wagen für den Düsseldorfer Rosenmontagszug. Er lebt in Düsseldorf-Oberkassel und hat zwei Kinder mit der Filmemacherin Ricarda Hinz.

(RP)
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