NRW Schlechte Noten fürs Schulessen

NRW · Bei Untersuchungen der Schulverpflegung sind schockierende Mängel aufgetreten: Schlechte Qualität, mangelhafte Hygiene, fettreiche Kost. Fachleute und Eltern fordern deshalb verbindliche Qualitätsstandards und regelmäßige Kontrollen. Doch die Landesregierung blockt ab.

 Weil den Schülern das Essen des Caterers nicht schmeckte, hat Mutter Margha Barthel-Förster (M.)an der Sophie-Scholl-Gesamtschule in Remscheid einen Mensa-Verein gegründet. David (vorne) ist zufrieden.

Weil den Schülern das Essen des Caterers nicht schmeckte, hat Mutter Margha Barthel-Förster (M.)an der Sophie-Scholl-Gesamtschule in Remscheid einen Mensa-Verein gegründet. David (vorne) ist zufrieden.

Foto: Hertgen

Die schlimmste Szene, die Volker Peinelt erlebt hat, war ein Koch, der den Finger in den Suppentopf steckte, kurz umrührte und ein knappes "heiß genug" von sich gab. "Es waren weder Spülmittel noch Putzzeug in der Küche", erzählt er. "Und das kann man der Schule nicht mal vorwerfen, woher soll sie sich auch mit den Hygienevorschriften auskennen?"

Peinelt ist Professor im Fachbereich Oecotrophologie an der Hochschule Niederrhein. Seit Jahren befasst er sich mit der Verpflegungssituation an Schulen in NRW und hat ein Zertifizierungsprogramm entwickelt, bei dem Schulen und Produzenten freiwillig die Qualität ihres Essens und ihr Verpflegungskonzept prüfen lassen können. Am 30.September stellt er dem Verbraucher- und Schulministerium seinen aktuellen Bericht vor. Die Lage, so viel kann er jetzt schon sagen, sei an vielen Schulen "schlecht bis katastrophal".

Mit der Einführung der Offenen Ganztagsschulen und der Schulzeitverkürzung sahen sich viele Schulen gezwungen, eine Übermittag-Verpflegung anzubieten. Doch verbindliche Qualitätsstandards gibt es bisher nicht - und so behilft sich jede Schule auf ihre Weise: mit Essen von der Kantine des nahegelegenen Altenheims, mit einer Großküche für mehrere Schulen oder einer Cateringfirma. Hauptkriterium ist dabei stets: Günstig soll es sein. "Die Kommunen müssen wirtschaftlich denken und die Zuschüsse möglichst gering halten", sagt Martin Lehrer, Sprecher des Städte- und Gemeindebundes in NRW. "Die Haushaltslage lässt nichts anderes zu." Damit der Preis pro Essen bei durchschnittlich 2,50 Euro liegen kann, müssen die Gemeinden hohe Zuschüsse zahlen.

"Für diesen Preis kann man keine gute Qualität liefern", sagt Peinelt. Um einen Auftrag zu erhalten, müsse der Caterer ein günstiges Angebot machen, also auf billige Lebensmittel wie Frikadellen und fette Wurst zurückgreifen, statt mageres Fleisch zu verwenden, von Bioprodukten ganz zu schweigen. "Die Speisepläne sind oft unter aller Kritik, und auch die Hygiene ist meist höchst bedenklich." Er habe sogar schon Fäkalkeime in Schulküchen gefunden, weil sich Mitarbeiter die Hände nicht gründlich desinfizierten. "Das fettreiche Essen führt zu Gewichtsproblemen bei Kindern, und die minderwertige Qualität kann sogar Lebensmittelinfektionen auslösen." Außerdem werde das Essen nicht angenommen.

An der Sophie-Scholl-Gesamtschule in Remscheid war genau das der Fall. "Das Essen des Caterers musste bei uns lange warm gehalten werden und schmeckte deshalb mittags fad", erzählt Schulleiterin Brigitte Borgstedt. Es wurden kaum noch Essen verkauft - bis die Eltern die Initiative ergriffen und einen Mensa-Verein gründeten, der sich seitdem um das Essen kümmert. "Man kann das jedoch nicht an jeder Schule von den Eltern verlangen", sagt Borgstedt. Die Landeselternschaft der Gymnasien sieht das ähnlich: "Man darf diese Aufgabe nicht auf die Eltern abwälzen", sagt Barbara Kols-Teichmann. "Wir brauchen Qualitätsstandards."

Solche Qualitätsstandards zu den wichtigen Aspekten wie Vollwertigkeit, Hygiene und umweltbewusste Ansätze bei der Schulverpflegung hat Peinelt bereits vor drei Jahren gemeinsam mit der Verbraucherzentrale NRW entwickelt. "Hersteller und Schulen, die unser Gütesiegel erhalten möchten, müssen diese Standards erfüllen", sagt er. Doch die Resonanz auf das Angebot ist mäßig. "Viele Schulen fürchten die Kontrolle und ahnen, dass sie das Siegel nicht erhalten." Peinelt tritt deshalb für eine flächendeckende Professionalisierung der Schulverpflegung mit Cateringbetrieben ein. Im Kern sieht sein Konzept eine Großküche pro Stadt oder Stadtbezirk vor, die alle Schulen beliefert. Es gibt regelmäßige Kontrollen, kindgerechte Speisepläne und frisches Essen. "Unterm Strich wäre ein professionelles System günstiger für die Kommunen - und das bei besserer Qualität." Andere Länder wie Japan seien bei der Schulverpflegung deutlich besser.

Das Schulministerium sieht sich beim Thema Schulverpflegung jedoch außen vor: "Träger der Schulen sind die Kommunen, und die entscheiden über das Schulessen", heißt es knapp. Da könne man nicht "reinregieren". Für die Landtagsabgeordnete Sigrid Beer (Grüne), die ebenfalls für einheitliche Standards plädiert, sind das "Ausflüchte": "Das Ministerium hat Angst, dass Kosten auf das Land zurollen, weil es die Umsetzbarkeit der Standards gewährleisten müsste." Die Regierung müsste dafür einfach nur entsprechende Rahmenverträge mit den Kommunen schließen. Doch die Kommunen wollen das nicht: "Bei der schwachen Finanzkraft vieler Städte machen es weitere Standards nur noch komplizierter, den Haushalt zu managen", sagt Martin Lehrer. Es würde sich von allein ein gutes System einpendeln.

Peinelt hält das für unwahrscheinlich. "Wie soll sich die Lage bessern, wenn niemand die Schulleiter schult?" Es gebe nichts, was aus fachlicher Sicht gegen sein Konzept spreche. "Aber die Ernährung unserer Kinder hat für die Politik anscheinend keine hohe Priorität."

(RP)
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