Schulstart in NRW Jeder zehnte neue Lehrer ist ein Quereinsteiger

Düsseldorf · Wenn am Mittwoch in NRW die Schule wieder beginnt, steht so mancher Pädagoge zum ersten Mal vor einer Klasse. Die meisten Seiteneinsteiger unterrichten bisher an Berufskollegs, doch das könnte sich bald ändern. Eltern- und Lehrervertreter verfolgen die Entwicklung mit gemischten Gefühlen.

 Am Mittwoch geht in NRW die Schule wieder los.

Am Mittwoch geht in NRW die Schule wieder los.

Foto: Shutterstock/Anna Nahabed

An Nordrhein-Westfalens Schulen unterrichten immer mehr Quereinsteiger. Beinahe jeder zehnte (9,8 Prozent) der insgesamt 5563 Lehrer, die für das heute beginnende Schuljahr 2017/18 eingestellt wurden, war in dem Beruf vorher nicht tätig. 2013 lag diese Quote noch bei knapp drei Prozent. Das geht aus Zahlen des NRW-Schulministeriums hervor, die unserer Redaktion vorliegen.

Die neue Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hat sich zum Ziel gesetzt, verstärkt auf Seiteneinsteiger zurückzugreifen, um den Lehrermangel an den Schulen zu mildern. "Wenn, wie in diesem Schuljahr, viele Stellen nicht besetzt werden können, müssen wir dafür möglichst schnell Lösungen finden", sagte Gebauer. Unbesetzte Stellen führten ansonsten dazu, dass Unterricht ausfalle. Für das neue Schuljahr wurden insgesamt 543 Quereinsteiger eingestellt. Zum Vergleich: Die Gesamtzahl der Lehrerstellen in NRW liegt bei über 150.000.

Kunst, Musik und Sport

Die Lage ist schwierig: Bisher konnte gerade einmal die Hälfte aller offenen Lehrerstellen in NRW besetzt werden. Besonders betroffen sind Grundschulen, aber auch Förderschulen und Berufskollegs. Um Abhilfe zu schaffen, hatte Gebauer für arbeitslose Gymnasiallehrer einen befristeten Einsatz an Grundschulen ins Gespräch gebracht. An Grundschulen kommen Seiteneinsteiger laut Schulministerium bisher nur in den Fächern Kunst, Musik und Sport zum Einsatz. Künftig soll ihnen aber auch das Fach Englisch offenstehen.

Lehrer und Eltern sehen den vermehrten Einsatz von Quereinsteigern mit gemischten Gefühlen. "Gerade mit Blick auf die Grundschulen betrachte ich die wachsende Zahl von Seiteneinsteigern mit Sorge", sagte Udo Beckmann, NRW-Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung. "Es muss sichergestellt sein, dass die angehenden Lehrer der Sache wirklich gewachsen sind", forderte Regine Schwarzhoff, Vorsitzende des Elternvereins NRW. Noch sei zu wenig darüber bekannt, wie sie im Unterricht mit jüngeren Kindern zurechtkämen. Unverständnis äußerte sie darüber, dass so viele Stellen nicht zu besetzen sind: "Man müsste eigentlich wissen, wie viele Lehrer in Pension gehen und wie groß der Bedarf in etwa ist." Für die bisherigen Landesregierungen habe aber offenbar Sparen im Vordergrund gestanden.

Stellen können schnell besetzt werden

Für Quereinsteiger spricht aus Sicht der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vor allem, dass Stellen schnell besetzt werden können. So gebe es Schulen, die zurzeit fünf oder sechs Lehrerstellen ausgeschrieben haben, aber keine einzige Bewerbung erhalten. "Die Qualität des Unterrichts darf aber durch die Seiteneinstiege nicht auf der Strecke bleiben", mahnte die stellvertretende GEW-Vorsitzende in NRW, Maike Finnern. Kritisch bewertete sie, dass die Seiteneinsteiger nach einer allgemeinen Einführungswoche zum Teil vom ersten Tag an allein vor der Klasse stehen, manchmal ohne jegliche pädagogische Erfahrung.

So erging es auch Benjamin A. Nach seinem Magister-Studium unterrichtete er als 28-Jähriger von einem Tag auf den anderen an einem Gymnasium in der Nähe von Königswinter eine zehnte Klasse in Politik. Schlechte Erinnerungen hat er daran nicht: "Ich hatte gleich ein ganz entspanntes Verhältnis zu den Schülern. Es hat auch Vorteile, wenn man nicht den Oberstudienrat heraushängen lässt."

Universitäts- oder Fachhochschulabschluss erforderlich

Auch Karin B. fand sich schnell zurecht, obwohl sie zuvor 13 Jahre lang als Sachbearbeiterin in einer französischen Firma gearbeitet hatte. Heute unterrichtet die 58-Jährige schon seit acht Jahren Spanisch an einem Berufskolleg in Düsseldorf. Nur einmal, da habe sie die Klasse nicht in den Griff bekommen: Es war Altweiber, die Schüler hatten schon morgens getrunken und tanzten in der Klasse Polonaise.

Wer an einem Seiteneinstieg interessiert ist, muss sich in NRW auf eine offene Stelle bewerben. Voraussetzung für den Wechsel ist in der Regel ein Universitäts- oder Fachhochschulabschluss. Jene, die aufgrund ihres Studiums an der Uni für zwei Schulfächer infrage kommen, absolvieren neben dem Unterricht eine dem Referendariat vergleichbare zweijährige Ausbildung und legen eine Staatsprüfung ab. Danach sind sie den anderen Lehrern gleichgestellt. Eine lediglich einjährige pädagogische Ausbildung erhalten hingegen Seiteneinsteiger, die nur für ein Unterrichtsfach qualifiziert sind. Diese Gruppe verdient laut GEW auch weniger.

(RP)
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