Dortmund sucht Gasteltern für Flüchtlinge "Sie werden nicht in die Mama-Papa-Rolle schlüpfen müssen"

Dortmund · Will ich einen minderjährigen Flüchtling in meiner Familie aufnehmen? Diese Frage hat rund 100 Dortmunder beschäftigt, die zu einer Info-Veranstaltung des Jugendamtes gekommen sind. Die Stadt sucht Gastfamilien für junge Flüchtlinge, die sich ohne Begleitung nach Deutschland durchgeschlagen haben.

Dieser 16-jährige Flüchtling aus Eritrea ist in Nürnberg in einer Wohngruppe für unbegleitete Flüchtlinge untergekommen. In Dortmund sucht die Stadt nun Gastfamilien für diese Flüchtlinge.

Dieser 16-jährige Flüchtling aus Eritrea ist in Nürnberg in einer Wohngruppe für unbegleitete Flüchtlinge untergekommen. In Dortmund sucht die Stadt nun Gastfamilien für diese Flüchtlinge.

Foto: dpa

Der Hilferuf aus dem Rathaus habe "pädagogische Gründe — und auch Platzgründe", sagt Alexander Ewers, der Leiter des Kinderpflegedienstes, am Dienstagabend in einem Bürgerhaus in der Innenstadt. Denn der Ansturm der Flüchtlinge auf Dortmund und auf die Plätze in den Heimen ist riesig.

Derzeit kommen bis zu 100 minderjährige Flüchtlinge in der Woche und werden in Obhut genommen, wie die Jugenddezernentin Daniela Schneckenburger erläutert. Im vergangenen Jahr seien es dagegen pro Monat nur etwa 50 Schutzsuchende gewesen. NRW-weit wurden im August rund 5000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge betreut, Ende 2014 waren es nach Zahlen des Familienministeriums etwa 3000. Für Deutschland rechnen Experten in diesem Jahr damit, dass sich die Zahl im Vergleich zu 2014 auf bis zu 30.000 verdreifacht.

Die Fragen der potenziellen Gasteltern sind vielfältig: Kann ich mit dem Kind ins Ausland reisen? Sind die Jugendlichen krankenversichert? Was passiert, wenn der Gast meinen 2000 Euro teuren Fernseher kaputt macht? Der Leiter der Amtsvormundschaft, Markus Schillack, geht geduldig auf jede Wortmeldung ein. Zum Thema Urlaub heißt es dann etwa: "Mit Kind können Sie voraussichtlich nur im Inland verreisen."

Die meisten minderjährigen Flüchtlinge ohne Begleitung kommen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan, es sind Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren. "Das sind junge muslimische Männer, aber keine Extremisten, keine Salafisten. Darum sind die doch von dort abgehauen", beruhigt Schillack.

Künftige Gasteltern müssen zunächst bestimmte Formalien erfüllen — wie Pflegeeltern auch. Dazu zählen das polizeiliche Führungszeugnis und ein Attest vom Arzt, dass gesundheitlich nichts dagegen spricht. Für die Flüchtlinge ist es dem Jugendamt wichtig, dass sie ein eigenes Zimmer haben und dass eine Basis-Verständigung zumindest auf Englisch oder Französisch möglich ist. Aber Schillack betont: "Wichtig ist vor allem, dass die Chemie zwischen Ihnen stimmt. Sonst macht das alles keinen Sinn, das ist ja keine Hotelbuchung." Die Gasteltern bekommen spezielle Schulungen, bevor ein Schützling einzieht, und werden auch danach vom Jugendamt betreut.

Flüchtlingskinder stellten besondere Herausforderungen an die Betreuung, erklärt Till Döring vom Landschaftsverband Rheinland in Köln, der Jugendämter berät. Zwar seien auch deutsche Pflegekinder teils traumatisiert — aber dies habe andere Ursachen als Flucht, Vertreibung und Krieg.

"Sie werden nicht in die Mama-Papa-Rolle schlüpfen müssen", sagt Schillack. Wenn ein junger Flüchtling allein die Reise von Syrien geschafft habe, dann könne er auch ohne Hilfe mit dem Bus von einem Dortmunder Stadtteil in den nächsten fahren. Es gehe mehr darum, die Selbstständigkeit zu fördern und den Jugendlichen bei ihrem Einstieg in Deutschland zu helfen.

Nach der Veranstaltung ist sich Erika Müller noch unsicher, ob sie der Aufgabe gewachsen ist. Aber sie sagt auch: "Wenn eines meiner Kinder irgendwo wäre, wie schön wäre es, es wäre dann jemand da." Patricia Barthelt ist mit ihrer fünf Monate alten Tochter Pipa gekommen. Barthelt ist so gut wie entschlossen, einen minderjährigen Flüchtling aufzunehmen. "Die aktuelle Situation bewegt mich sehr."

"Jeder kann mit anpacken", sagt auch eine 56-jährige Geschäftsfrau. Seitdem die eigenen Kinder flügge sind, sei Platz im Haus. Ein Hindernis sei derzeit noch der Karibik-Urlaub, der für das Frühjahr gebucht sei. "Aber das ist ja ein Luxusproblem. Das lässt sich lösen", sagt ihr 60-jähriger Ehemann. Das Pflegegeld, das Gastfamilien bekommen, sei ihnen egal. Laut Jugendamt sind dies für einen Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren derzeit rund 930 Euro im Monat.

Liebe Leserinnen und Leser,
Ihre Meinung zu RP Online ist uns wichtig. Anders als sonst bei uns üblich gibt es allerdings an dieser Stelle keine Möglichkeit, Kommentare zu hinterlassen. Zu unserer Berichterstattung über die Flüchtlingskrise haben wir zuletzt derart viele beleidigende und zum Teil aggressive Einsendungen bekommen, dass eine konstruktive Diskussion kaum noch möglich ist. Wir haben die Kommentar-Funktion bei diesen Themen daher vorübergehend abgeschaltet. Selbstverständlich können Sie uns trotzdem Ihre Meinung sagen — per Facebook oder per E-Mail.

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort