Prozess in Bochum So scheiterte Marcel H. bei der Bundeswehr-Bewerbung

Marcel H. wollte zur Bundeswehr - wurde aber abgelehnt. Beim Prozess im Bochumer Landgericht erzählte nun ein Prüfer, warum er dem 19-Jährigen eine Absage erteilt hat. Der Angeklagte hatte die Ablehnung als Motiv für seinen ersten Mord genannt.

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Mutmaßlicher Kindermörder Marcel H. vor Gericht

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Foto: Bernd Thissen/dpa

Als der Soldat Ronald W. Anfang März das Foto von Marcel H. in der Zeitung sah, sagte er ungläubig zu seiner Frau: "Den hab ich getestet." Vier Wochen vorher hatte der 19-Jährige ihm im Karrierecenter der Bundeswehr in Düsseldorf gegenüber gesessen. Marcel H. hatte sich für eine Unteroffizierslaufbahn im Sanitätsdienst beworben und zwei Tage lang etliche Tests absolviert - er wurde letztlich aber abgelehnt. Die Absage gab er später bei der Polizei als Motiv dafür an, im März seinen neunjährigen Nachbarsjungen Jaden erstochen zu haben. Einen Tag später tötete er den 22 Jahre alten Christopher W. Die Taten hatte er über seinen Anwalt im Prozess zugegeben.

"Emotional sieht das anders aus"

Im Bochumer Landgericht sagt der Oberstleutnant Ronald W. am Donnerstag: "Mit dem Gedanken zu leben, dass meine Entscheidung mit dazu geführt hat, dass zwei Morde passiert sind, ist sicher nicht schön. Auch wenn ich rational weiß, dass ich alles richtig gemacht habe — emotional sieht das anders aus."

Marcel H. scheiterte wegen der vielen Fehlstunden, die er in der Schule hatte. In der neunten Klasse waren es 340, danach in der Berufsschule wieder mehr als 200. Dass er vor dem Wechsel die Mittlere Reife noch geschafft hatte, rechnete ihm der Oberstleutnant in seiner Bewertung positiv an. "Aber es war deutlich, dass er Regeln und Normen nicht einhalten kann - und das verträgt sich nicht mit dem, was wir bei der Bundeswehr unter Verhaltensstabilität verstehen", sagt der 56-Jährige.

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Polizei nimmt Marcel H. in Herne fest

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Foto: dpa, rwe kde

Marcel H. hatte unter anderem den Sporttest zwar überdurchschnittlich gut abgeschlossen, doch schon bei der Auswertung eines Fragebogens, den die Bewerber beantworten mussten, fiel den Prüfern auf, dass der 19-Jährige "sehr gestelzt, mitunter umständlich" antwortete. Auf die Frage zu seinen Ambitionen für die Bewerbung schrieb er: "Um ein vernünftig Mann zu werden." Außerdem wolle er "lebenswichtige Disziplinen wie Ordnung und Disziplin lernen." In den Sanitätsdienst wolle er, weil er während eines Praktikums den "Umgang mit Patienten mögen gelernt hat".

"Er hatte keinen Plan B"

In einem halbstündigen Bewerbungsgespräch habe H. dann "sozial erwünschte Antworten gegeben", wie der Zeuge sagt. Auf die Frage, wie viel Zeit er vor dem Computer verbringe, habe H. gesagt: "Maximal zwei Stunden am Tag." Tatsächlich soll er bis zu 16 Stunden täglich vor seinem PC gesessen haben. Es sei deutlich geworden, dass H. keinen Plan B habe für den Fall, dass er es nicht zur Bundeswehr schaffe. Und die Idee, "nach einer Ausbildung zum Fremdsprachenkorrespondenten als Englisch-Austauschlehrer nach Japan zu gehen", wie H. ihm gesagt habe, sei ihm "hochgegriffen vorgekommen".

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Tötung in Herne: Polizei sucht tagelang nach Marcel H.

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Foto: Christoph Reichwein

Als Hobbys habe H. Bogenschießen und Schwertkampf angegeben. Dass er in dem Fragebogen das "Besuchen von englischen Websites" als soziale Aktivität in seiner Freizeit bezeichnet hatte, empfand der Soldat auch als seltsam. H. habe planlos gewirkt und sei bisher ja offenbar vor allem dadurch aufgefallen, dass er so gut wie gar nicht zur Schule gegangen sei.

"Ein Weltuntergang"

Ronald W. habe dem Bewerber dann deutlich gemacht, "dass es bei der Absage nicht um ihn als Person geht, sondern allein um seine Eignung als Soldat". Marcel H. habe seinen Kopf dann auf den Tisch fallen lassen. "Ich hatte aber nicht den Eindruck, dass die Ablehnung für ihn der Weltuntergang gewesen wäre", sagt W. Er prüfe jedes Jahr bis zu 900 Bewerber. "Da gab es schon Nervenzusammenbrüche und viele Tränen." Marcel H. habe er mit auf den Weg gegeben, dass er wieder zur Schule gehen und die Fachhochschulreife machen solle und "vielleicht klappt es ja dann in zwei Jahren mit der Bewerbung bei uns."

Ein gemeinsamer Freund von Marcel H. und seinem zweiten Opfer Christopher W. erzählt im Prozess, dass er Christopher am Morgen des 7. März eine Nachricht geschickt hat. "Hast du das mit Matse gehört?", stand darin. Der Freund hatte da gerade in der Zeitung gelesen, dass Marcel H. seinen Nachbarsjungen getötet haben soll und nun bundesweit gesucht wird. Was er nicht ahnte: Auch Christopher war bereits tot. Und die Antwort, die auf seine Nachricht kam, schrieb Marcel H.: "Ja, total krank." Kurz zuvor hatte er Christopher mit 68 Messerstichen getötet, war noch mit der Leiche in der Wohnung. Der Chat ging über zwei Tage. Als der Freund ein Treffen vorschlug, um Marcel zu suchen, antwortete der über Christophers Account: "Ich bin momentan leider mit ner Beinverletzung im Bett."

Irgendwann kam keine Antwort mehr. Da hatte Marcel H. die Wohnung seines Opfers in Brand gesteckt und sich in einem Imbiss gestellt. Der Freund schrieb noch an Christopher: "Gibt's dich noch? Chris?"

Der Prozess wird am 18. Oktober fortgesetzt.

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