Vom Kinderzimmer fast ins All Junge filmt Aachen aus der Stratosphäre

Aachen · Man nehme einen pfiffigen Jungen mit einer spannenden Idee, einen Wetterballon mit einer GoPro und ein bisschen Glück: Heraus kommen fantastische Aufnahmen aus der Stratosphäre. Einmal von Aachen bis fast ins All und zurück.

Der heute 14 Jahre alte Marvin Stahlmann aus Aachen hatte einen Traum: Einmal die Welt und seine Heimatstadt aus der Stratosphäre sehen. Mit einem Wetterballon ließ er eine Kamera fast bis ins All auf eine Höhe von über 39 Kilometer steigen — und filmte dabei alles. Die übliche Flughöhe bei Passagier-Flugzeugen beträgt übrigens rund 10 Kilometer.

Der Weltraum und die Erde darin übten auf Marvin schon früh eine Faszination aus. Alles begann mit dem Film "Apollo 13". "Das klingt vielleicht philosophisch, aber man nimmt die Welt einfach viel zu groß und zu wichtig wahr. Wenn man dann Filme sieht, in denen klar wird, wie klein wir eigentlich sind, dann beschäftigt einen das schon", sagt Marvin. So richtig gefesselt war er von der Materie, als er bei einem Schüleraustausch in Washington mit seiner Gastfamilie ein Space-Museum besucht hat: "Das war echt unglaublich."

Ein Flug in die Stratosphäre
9 Bilder

Ein Flug in die Stratosphäre

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Foto: Anne Orthen

Nachdem er auf Youtube ein Video gesehen hatte, in dem jemand die Erde aus der Stratosphäre filmte, war für ihn klar: "Das will ich auch machen!" Sein Vater, Michael Stahlmann, unterstützte den Sohn bei seinem Vorhaben. "Der ist nämlich selber totaler Weltraumfan", sagt Marvin. Das war im Mai 2015. Bis zum eigentlichen "Flug" in Richtung All sollte es aber ein langer und schwieriger Weg werden. <u>Ein Video von den fantastischen Aufnahmen sehen Sie bereits hier</u>.

Ohne offizielle Genehmigung ging nämlich leider gar nichts. Der erste Weg ging für Marvin und seine Familie also zur Bezirksregierung nach Düsseldorf. "Die haben uns aber direkt eine Absage erteilt", erinnert sich Marvin. Dann schaltete die Familie jedoch das Verkehrsministerium ein. "Über ein Jahr lang hat es gedauert, aber dann war alles geregelt." Das sollte jedoch nicht die einzige Hürde bleiben, um an die spektakulären Aufnahmen zu kommen.

Ein mit Helium gefüllter Wetterballon, wie sie eigentlich von Meteorologen verwendet werden, um Messgeräte zu transportieren, wurde mit einem Fallschirm, einer kleinen Box aus Styropor und einer GoPro präpariert. Außerdem ganz wichtig: Ein GPS-Tracker, um das Paket nach dem Flug auch wiederzufinden. Auch ein zusätzliches Batterie-Pack durfte nicht fehlen: "Bei Temperaturen unter 60 Grad geht die Batterie der Kamera nämlich ganz schnell leer", sagt Marvin.

Am 14. Mai 2016 war es dann endlich so weit. Um Punkt 10 Uhr ließ der damals 13-Jährige den Ballon in Simmerath bei Aachen in die Luft steigen. "Wir mussten uns dabei ganz genau an die Uhrzeit und den Ort halten, da die von der Flugsicherung so vorgegeben wurde", sagt Marvin. Flugzeuge, die in diesem Zeitraum die Flugbahn des Wetterballon queren könnten, wurden vorab über Marvins Vorhaben informiert. Mit einer Geschwindigkeit von sechs Metern pro Sekunde stieg der Ballon dann in die Luft. Nach 30 Minuten hatte das Fluggerät bereits die Wolkenschicht durchbrochen und stieg auf über 39 Kilometer in die Stratosphäre. Dort platzte wie geplant der Wetterballon, der sich auf über 12 Meter Durchmesser ausgebreitet hatte.

Dank des angebrachten Fallschirms sank die Sonde mit der GoPro sanft wieder in Richtung Erde. Doch von diesem reibungslosen Ablauf bekamen Marvin und seine Familie auf der Erde nichts mit. "Es war wirklich unfassbar spannend, ob das alles geklappt hat", sagt Marvin. Und dann die vorläufige Erlösung: Plötzlich meldete sich das GPS Gerät. Nach weit über drei Stunden Flugzeit. Mit einem Computerprogramm konnte Marvin zuvor die ungefähre Flugbahn und somit auch den Landeplatz des Fluggeräts berechnen. "Wegen der unterschiedlichen Höhenwinde kam der Sender aber dann 60 Kilometer weiter weg als berechnet an." Also ging es für die ganze Familie nach Lahnstein an der Rheinschleife, knapp 120 Kilometer von Aachen entfernt. Doch nach der anfänglichen Euphorie folgte schnell die Ernüchterung: Das GPS-Gerät sendete zwar ein Signal, aber von der Sonde war weit und breit nichts zu sehen. "Sie musste irgendwo zwischen den Bäumen hängen", erinnert sich Marvin.

Nach intensiver Suche mitten im Wald wollte die Familie schon fast aufgeben, als der Förster des Waldes Hilfe bei der Suche vesprach. Die Dunkelheit machte allen aber einen Strich durch die Rechnung. "Meine Mutter und ich nahmen uns ein Hotel und wollten am nächsten Tag weiter suchen", sagt Marvin. Doch auch einen Tag später war weder vom Wetterballon noch vom Fallschirm etwas zu sehen. Dann kam Marvins Vater auf eine Idee: Mit Hilfe einer Drohne könnte man über die Baumwipfel fliegen und so das begehrte Objekt ausfindig machen. Doch woher schnell an eine Drohne kommen? "Mein Vater organisierte dann alles von zu Hause aus, er war quasi unser 'Mission Control-Center', sagt Marvin. Und tatsächlich: Ein Bekannter stellte sich und seine Drohne für die Mission zur Verfügung. Drei Tage nach dem Abflug des Ballons konnte die Sonde dann tatsächlich in einer Baumkrone entdeckt werden. "Der nette Förster kletterte dann auf den Baum und holte alles hinunter", sagt Marvin.

So schienen alle Hürden überwunden zu sein. Doch eine Frage, und damit wohl die wichtigste, blieb offen: Hat die Kamera den Flug auch tatsächlich aufgenommen? "Als wir dann das Material gesichtet haben, war das ein unglaublich toller Moment", sagt Marvin. "Alles war drauf, vom Start bis zur Stratosphäre und wieder zurück." Insgesamt speicherte das Gerät 4,5 Stunden Filmmaterial.

Nach dem erfolgreichen Projekt kündigten Mitschüler und auch sein Mathe- und Physiklehrer großes Interesse an einem weiteren Wetterballon-Start an. "Dafür wäre es dann aber toll, wenn man Sponsoren hätte", sagt Marvin. Ausrüstung, Versicherung und Material gingen nämlich ganz schön ins Geld.

Ob Marvin nach dem Ausflug in die Stratosphäre irgendwann mal Astronaut werden will? "Da bin ich eher realistisch, die Wahrscheinlichkeit, dass das klappt, ist doch sehr gering", sagt der junge Aachener. Einen ersten offiziellen Termin hat Marvin aber noch vor sich: Er ist als Newcomer zur Verleihung "Menschen 2016" in Aachen eingeladen. Auf seinem eigenen Youtube-Kanal will Marvin auch in Zukunft Videos zu spannenden Themen veröffentlichen.

(skr)
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