Dortmunder erlebte Terror in Istanbul "Ich will mit dem Täter reden"

Emre Arslan aus Dortmund hat den Terroranschlag auf den Istanbuler Nachtclub "Reina" in der Neujahrsnacht überlebt. Jetzt kämpft er mit den Folgen.

 Emre Arslan aus Dortmund überlebte in der Nacht zum 1. Januar 2017 den Terroranschlag im "Reina"-Nachtclub in Istanbul. Der 25-Jährige leidet stark unter den psychischen Folgen des Anschlags — seinen Bäckerbetrieb kann er nicht fortführen.

Emre Arslan aus Dortmund überlebte in der Nacht zum 1. Januar 2017 den Terroranschlag im "Reina"-Nachtclub in Istanbul. Der 25-Jährige leidet stark unter den psychischen Folgen des Anschlags — seinen Bäckerbetrieb kann er nicht fortführen.

Foto: Menne

Begraben unter Leichen, die ihn vor den Schüssen aus der Kalaschnikow eines Terroristen schützten, überlebte der 25-jährige Emre Arslan aus der Dortmunder Nordstadt in der Nacht zum 1. Januar 2017 den Anschlag im "Reina"-Nachtclub in Istanbul. Im Interview spricht der 25-Jährige über den Versuch, nach dieser Reise in den Alltag zurückzukehren, und über einen besonderen Wunsch.

Herr Arslan, die Ereignisse im Reina-Nachtclub hat uns ihr Vater am 5. Januar geschildert. Wie geht es Ihnen heute?

Emre Arslan Wegen der Schlafstörungen stehe ich manchmal acht Mal in der Nacht auf. Ich bin nicht mehr in der Lage, meinen Betrieb fortzuführen und werde die Bäckerei wohl verkaufen müssen. Ich muss erst einmal Ruhe haben, denn ich habe bis jetzt noch nicht kapiert, dass ich wieder hier bin. Es ist wohl normal, in so einem Trauma zu sein. Der Psychologe sagt: Das geht wieder weg. Mann kann also wohl irgendwie damit leben, aber das dauert. Irgendwann wird wieder alles gut sein.

Arslan Ja, da konnte ich erste Gedanken aus dem Kopf lassen. Aber das Gefühl, jetzt wieder zuhause in Dortmund zu sein und dass mir nichts passiert ist, es ist immer noch wie ein Traum. Ganz normal rauszugehen, so wie früher, das wird wohl noch dauern. Ich habe immer Hintergedanken und fühle mich unsicher. So ein Terroranschlag kann ja überall passieren und nicht nur in einer Diskothek. Ständig kommen die Bilder wieder hoch. Häufig höre ich auch die Geräusche während des Anschlags in der Diskothek und nehme auch die Schmauchgerüche wahr, die beim Leerschießen der Magazine entstanden sind.

Welche Folgen haben die Ereignisse für das Familienleben?

Arslan Die gesamte Familie ist in Therapie. Wenn ich an Wochenenden um 23 Uhr unterwegs bin, rufen meine Eltern an und fragen, ob es mir gut geht. Bin ich um ein Uhr nachts noch nicht zurück, melden sie sich wieder — sie fragen sich dann, was mit ihrem Jungen los ist. Ich lasse sie es nicht merken, wenn ich wieder die Geräusche höre oder die Gerüche von dieser Knarre rieche. Ich bin leise und will das alles nicht zeigen. Meinen Eltern gehen sonst kaputt daran. Mein Vater ist ja auch krank.

Die Momente nach dem Anschlag: An was erinnern Sie sich?

Arslan Ich lag unter diesen Leichen, die auf mich fielen, nachdem ich mich auf den Boden geworfen hatte, und habe nach vielen Minuten kaum noch Luft bekommen. Als dann die Gefahr vorüber war und die Notausgangtür geöffnet wurde, bin ich raus — und sofort von der Polizei umgehauen worden. Die haben mich für einen Terroristen gehalten, Waffen auf mich gerichtet, mit Handschellen gefesselt und wollten wissen, wie viele Leute von mir da noch drin seien. Ich habe gesagt, dass ich raus musste, weil ich keine Luft mehr bekommen habe und dass da meine beiden Freunde noch drin sind. Dann hat man mich vier Stunden lang in einer Zelle eingeschlossen. Als ich wieder raus durfte, habe ich nach meinen Freunden gefragt. Man hat mir gesagt, dass man mir nicht helfen könne und dass ich jetzt gehen sollte. Die Polizisten waren unhöflich, nicht kooperativ und haben nicht geholfen.

Sie sind seit über vier Wochen zurück in Dortmund. Erhalten Sie wirksame Hilfe?

Arslan Zunächst einmal: Meine beiden Freunde sind angeschossen worden. Um mich geht es also eigentlich gar nicht. Erst als ich im Krankenhaus in Istanbul gehört habe, dass es ihnen gut geht, war mir klar, dass ich das alles nun vergessen muss. Ich hatte inzwischen drei Gespräche im Krisenzentrum in Hörde. Das war anfangs schwierig, aber es tut auch gut. Und dann war da Ingo Moldenhauer vom Weißen Ring. Der war sofort zur Stelle, hat sich um uns alle gekümmert, wusste, wo und welche Anträge zu stellen sind — ein sehr netter Mann, der uns sehr geholfen hat. Die einzig wirksame Hilfe kam in den ersten Tagen vom Weißen Ring. Dafür bin ich dieser Organisation sehr dankbar.

Wie haben ihre Freunde in Dortmund reagiert?

Arslan Sie rufen immer an und fragen, ob ich mit raus komme. Aber ich schaffe das nicht. Ist schon merkwürdig: Früher habe ich sie alle angerufen und gesagt, was wir zusammen machen. Jetzt rufen sie an.

Als der Tatverdächtige Mitte Januar festgenommen wurde: Was haben Sie da gedacht?

Arslan Ich war froh.

Wie geht es jetzt weiter?

Arslan Wir werden eine Nebenklage einreichen und dafür einen Rechtsanwalt in der Türkei eine Vollmacht erteilen. Eigentlich möchte ich nie wieder in die Türkei. Für den Prozess werde ich wohl dorthin müssen.

Wenn Sie dem Mann, der für den Anschlag mit 39 Toten verantwortlich ist, begegnen dürften: Was würden Sie ihm sagen?

Arslan Mein größter Wunsch ist es, diesen Mann einmal mit ihm in einer Zelle zu sitzen.

Und dann?

Arslan Würde ich ihn fragen, warum er für 200.000 Dollar vom IS so viele Menschen getötet und verletzt hat. Er hat ja selbst Kinder.

Diese Interview ist zuerst in den Ruhr Nachrichten erschienen.

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