Unwetter in Düsseldorf Die Nacht, in der mein Keller unter Wasser stand

Düsseldorf · Und plötzlich trifft es einen selbst. In der Nacht zu Donnerstag hat unsere Redakteurin die Angst kennengelernt, alles zu verlieren, was sie besitzt. Wie fühlt es sich an, wenn das Wasser immer höher steigt?

Unwetter in Düsseldorf: A46 gesperrt
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Juni 2016: Unwetter trifft Düsseldorf

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Angst vor Gewitter habe ich nicht, noch nie gehabt. Deshalb bleibe ich gelassen, als sich am Mittwochabend gegen halb acht der Himmel öffnet. Erst, als ich eilige Schritte und Stimmen im Flur höre, schaue ich nach.

Keine Minute später ist meine Gelassenheit dahin. Auf den ersten beiden Stufen der Kellertreppe steht schon eine braune, stinkende Brühe. Von irgendwo aus dem Keller ist ein Rauschen zu hören. Das braune Wasser gurgelt, und ich kann dabei zusehen, wie es sich Zentimeter für Zentimeter die Stufen hocharbeitet. Eine Stufe etwa alle zehn Minuten, schätze ich.

Bis zu meiner Wohnung, die ihm Souterrain liegt, sind es noch neun.

"Hat schon jemand die Feuerwehr gerufen?", frage ich zwei Nachbarn, die ebenfalls im Flur stehen. "Die stehen doch schon vorne an der Straßenecke, da müssen wir warten, bis wir dran sind." Damit will ich mich nicht zufriedengeben. Der Nachbar hat leicht reden, er wohnt im ersten Stock. Meine Wohnung — und damit nahezu alles, was ich besitze — liegt nur noch etwa anderthalb Meter über dem Wasserpegel im Keller. Ich wähle die 112, es ist besetzt. Mir war gar nicht klar, dass beim Notruf besetzt sein kann. Ich wähle die Nummer immer und immer wieder. Einmal komme ich durch, doch am anderen Ende der Leitung meldet sich minutenlang niemand, bis ich schließlich auflege. Ich laufe ein wenig herum, einfach, um irgendetwas zu tun und wähle dann wieder die 112.

Dieses Mal komme ich durch. "Wir kommen, so schnell wir können", sagt ein freundlicher Mann im Hörer. "Aber das kann dauern." Die Feuerwehr Düsseldorf ist an diesem Abend im Großeinsatz. Unser Keller ist längst nicht der einzige, der zu diesem Zeitpunkt unter Wasser steht. Wieder in der Wohnung rufe ich meine Eltern an. Klar, ich bin eine erwachsene Frau, aber ich bin aufgewühlt und habe — Angst. Ein Gefühl, das ich erst durch das steigende Wasser in meinem Hausflur so richtig kennenlernen soll. Mein Vater will sich sofort ins Auto setzen, aus dem Ruhrgebiet nach Düsseldorf kommen. Ich will das nicht, womöglich bringt er sich damit während des Unwetters in Gefahr. Tun kann er sowieso nichts. Wir einigen uns darauf, dass ich wieder anrufe.

Dann klingelt und klopft es, die Feuerwehrleute sind da. Sie sind mit einem Wagen und einer Pumpe gekommen. "Kommen Sie, wir holen unsere Autos schnell aus der Tiefgarage", spricht mich ein Nachbar an. Ich zögere. In die Tiefgarage habe ich mich bislang nicht getraut, denn ich habe keine Ahnung, wie es dort aussieht. Ich bin verunsichert, und muss daran denken, dass in Süddeutschland am Montag ein Mensch in einer Tiefgarage ertrunken ist. Doch mein Nachbar ist schon durch die Tür. Und wir haben Glück: Die Parkgarage ist nahezu trocken, gerade mal einen oder zwei Zentimeter steht das Wasser. Wir fahren die Autos ins Freie.

Dann heißt es warten. Ich spreche mit Nachbarn, einige hatten Glück und sind ganz verschont geblieben, andere hatten Pech, bei ihnen steht auch schon die Wohnung unter Wasser. Trotzdem arbeitet die Feuerwehr gerade mit Hochdruck an meinem Keller. Ich bin froh darüber, und bekomme sofort ein schlechtes Gewissen, weil die Nachbarn schließlich auch Hilfe brauchen. Inzwischen stehen schon vier Einsatzwagen in unserer kleinen, verkehrsberuhigten Straße. An allen Häusern, die zum See hin liegen, sind die Keller vollgelaufen.

"Wir pumpen gerade mit 2000 Litern pro Minute ab, aber es reicht nicht"

Ich spreche einen Feuerwehrmann an, frage, "Wie läuft es so?". Etwas Angemesseneres fällt mir nicht ein. "Wir pumpen gerade mit 2000 Litern pro Minute ab", sagt der freundliche Mann. "Aber es reicht nicht, das Wasser steigt weiter." Mir wird wieder leicht übel. Unter Begleitung des Feuerwehrmannes darf ich nachschauen, ob meine Wohnung noch trocken ist. Ist sie. Bei der Nachbarin auf meiner Etage hat sich das Wasser schon durch die Spüle gedrückt.

Dann wird es hektisch, der Strom fällt aus. "Wir haben Strom auf dem Wasser, Strom auf dem Wasser", ruft ein Feuerwehrmann. Ich soll wieder ins Freie gehen. Das Wasser steht mittlerweile etwa einen Meter hoch, hat Stromkästen- und Leitungen erreicht. "Jetzt müssen wir Verstärkung anfordern", sagt der Feuerwehrmann.

Rund anderthalb Stunden ist die Feuerwehr nun schon da. Ich merke, dass ich Durst bekomme, doch ich darf nicht zurück in meine Wohnung. Dann endlich kommt die Verstärkung, und auch eine zweite Pumpe wird gebracht. Ich atme ein bisschen auf, rufe noch einmal meine Eltern an. Doch die Zeit verstreicht, und es bleibt ein Problem: Obwohl die Feuerwehr mittlerweile mit Hochdruck pumpt und die Tiefgarage geflutet hat, steigt der Pegel weiter. "Haben Sie eine Freundin oder einen Freund in der Nähe, bei dem Sie übernachten können?", fragt der Feuerwehrmann. Ich zögere. Vermutlich wäre es das Beste, denke ich, tun kann ich im Moment sowieso nichts. Aber ich habe Angst, meine Wohnung zurückzulassen und sie nie wieder so zu sehen, wie sie jetzt ist. Ich halte mich nicht für einen Menschen, der viel Wert auf materielle Dinge legt, doch in dieser Situation habe ich einfach Angst, alles zu verlieren, was ich habe.

Schließlich rufe ich eine Freundin an, die ein paar Straßen weiter wohnt. Sie bietet mir ohne zu zögern eine Schlafgelegenheit. Ich packe einen Koffer: Unterwäsche, Hose, Top, ein T-Shirt, Schlafanzug, Kulturbeutel. Dann noch Laptop, Handy, Ladekabel, Geld und Papiere, ein bisschen Schmuck, der mir irgendwie am Herzen liegt. Ein paar gute Schuhe für die Arbeit. Die, die ich trage, stinken nach Sumpf. Dann ist der Koffer voll, und mir wird klar: Wenn ich heute Nacht nicht ganz viel Glück habe, könnte das alles sein, was am nächsten Morgen von meinen Sachen noch übrig ist. Draußen auf der Kellertreppe sind nur noch drei Stufen trocken.

Issel in Hamminkeln im Kreis Wesel steigt - Damm nicht gebrochen
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Hochwasser an der Issel in Hamminkeln

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"Sie könnten auch hierbleiben, der Wasserpegel steigt jetzt nur noch langsam"

Vor dem Haus spreche ich noch einmal mit den Feuerwehrleuten. "Fahren Sie, schlafen Sie ein bisschen, das geht ja bei dem Blaulicht und dem Lärm hier sowieso nicht", sagt der eine. "Sie könnten auch hierbleiben, der Wasserpegel steigt jetzt nur noch langsam. Ich glaube nicht, dass Ihre Wohnung geflutet wird", sagt der andere. Ich bin verunsichert, schon wieder. Schließlich fahre ich los. Es ist halb zwölf.

Bei meiner Freundin zuhause kann ich mir die Aufregung von der Seele reden und die nassen Socken wechseln. Schlafen kann ich nicht. Gerade jetzt, da ich auf der Couch unter der Decke liege, könnte sich das Wasser unter meiner Wohnungstür hindurch seinen Weg bahnen.

Dann, gegen halb drei, klingelt mein Handy. Es ist die Feuerwehr. Jetzt ist es so weit, denke ich. "Wir müssen in Ihren Keller", sagt der Mann am anderen Ende der Leitung. "Wir vermuten, dass da ein Rohr gebrochen ist, durch das immer weiter Wasser schießt. Wir brauchen Ihren Kellerschlüssel." "Ich komme so schnell ich kann", sage ich.

Auch das noch: Allgemeine Verkehrskontrolle

Kaum bin ich 30 Meter mit dem Auto in Richtung Zuhause gefahren, werde ich von der Polizei angehalten. "Allgemeine Verkehrskontrolle", sagt der Beamte. "Führerschein und Fahrzeugpapiere bitte." Ich kann es nicht fassen. "Ich muss zu meiner Wohnung, die Feuerwehr hat mich angerufen, da ist Wasser im Keller." Meine Worte überschlagen sich, mein Herz klopft. "Ich glaube Ihnen", sagt der Polizist. "Aber trotzdem muss ich Sie kontrollieren. Könnte ja sein, dass Sie gerade aus der Altstadt kommen und das Ihre Ausrede ist". Ich schaue ihn kurz entgeistert an, dann fingere ich meinen Führerschein aus dem Portemonnaie. Und puste ins Röhrchen. Zweimal, weil es beim ersten Mal keinen Wert anzeigt. "Alles in Ordnung", sagt der Polizist. Das trifft es nicht ganz, denke ich und fahre endlich weiter.

An meiner Wohnung wartet die Feuerwehrtruppe schon auf meinen Schlüssel. Auf rund 15 Mann ist sie mittlerweile angewachsen. Den Schlüssel gebe ich einem jungen Mann, der damit durch die braune Brühe in Richtung meines Kellerabteils abtaucht. Es ist das letzte in der Reihe. Dann beobachte ich von den oberen Treppenstufen aus, wie eine Welle ein paar völlig durchweichte Bücher anspült. Meine alten Kinderbücher, die ich im Keller aufbewahrt hatte. Ich muss schlucken. Und erzähle den Feuerwehrmännern die Geschichte mit der Polizeikontrolle, um auf andere Gedanken zu kommen.

Um halb vier am Morgen, nach rund sieben Stunden Einsatz, zieht die Feuerwehr ab. Das Notfallteam der Stadtwerke stellt im ganzen Häuserkomplex vorsorglich den Strom ab. Der freundliche Feuerwehrmann bringt mich in meine Wohnung. "Haben Sie eine Taschenlampe?", fragt er. Ich habe eine, aber wo? "So wie ich Sie einschätze, haben Sie doch sicher Teelichter", sagt der Mann. Das stimmt. Er wünscht mir eine gute Nacht.

Im Schein mehrerer Teelichter gehe ich noch einmal durch die Wohnung. Alles trocken. Mir wird klar, dass ich sehr viel Glück gehabt habe in dieser Nacht. Meinen Kellerinhalt kann ich abschreiben, aber meine Wohnung und auch mein Auto sind gerettet. Und vor allem: mir selbst ist nichts passiert. Mir fällt ein, dass ich nicht weiß, wo mein Fahrrad abgeblieben ist. Ich beschließe, mich später darum zu kümmern, und puste das Teelicht aus.

Die Lage im Überblick:

(lsa)
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