Trübes Wipperfürth In dieser Stadt lässt sich die Sonne selten blicken

Nirgendwo in Deutschland hat es in den vergangenen zwei Monaten so wenige Sonnenstunden gegeben wie in Wipperfürth. Davon lassen sich die Menschen aber nicht unterkriegen. Sie nehmen das schlechte Wetter mit Humor.

 In der oberbergischen Kleinstadt Wipperfürth bekommt man die Sonne nur selten zu sehen.

In der oberbergischen Kleinstadt Wipperfürth bekommt man die Sonne nur selten zu sehen.

Foto: Anne Orthen

Am Sonnenweg Nummer sechs in Wipperfürth scheint an diesem Nachmittag alles seinen gewohnten Gang zu gehen. Die Verwaltungsangestellten Yvonne Gehrmann-Paesen und Marie-Theres Wegerhoff sitzen im Seniorenzentrum in ihrem Büro und rühren in ihren Kaffeetassen. Dabei schauen sie Marie Hesse (93) zu, die draußen im Hof unter einem Vordach gerade ein paar Runden mit ihrem Rollator dreht, um sich fit zu halten. Es regnet. Mal wieder. Der Himmel ist wolkenverhangen. Doch dann blicken alle drei Frauen etwas ungläubig nach oben. Die Sonne kommt hervor. Für einen Moment wird es hell in Wipperfürth. Dann schließt sich die weiße Decke wieder. Und alles ist wie immer. Grau. Nass. Und düster.

 Marie Hesse (93) beim Spaziergang mit Yvonne Gehrmann-Paesen und Marie -Theres Wegerhoff vom Seniorenheim.

Marie Hesse (93) beim Spaziergang mit Yvonne Gehrmann-Paesen und Marie -Theres Wegerhoff vom Seniorenheim.

Foto: Anne Orthen

Die pittoreske bergische Hansestadt mit den engen, verwinkelten Straßen und den für die Region typischen Fachwerkhäusern aus Schiefer ist Deutschlands Hauptstadt der Finsternis. Nirgends ist die Sonne in den vergangenen zwei Monaten weniger zu sehen gewesen als in der Kleinstadt mit ihren rund 20.000 Einwohnern. Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) hat es dort im Dezember mit exakt 1,3 Sonnenstunden den bundesweit niedrigsten Wert gegeben. Im Januar sind es ganze acht Sonnenstunden gewesen. Der landesweite Durchschnitt liegt bei 25.

Warum das so ist, kann selbst beim Deutschen Wetterdienst niemand mit Bestimmtheit sagen. Auf jeden Fall hänge das mit der geografischen Lage zusammen, sagt Diplom-Meteorologe Guido Halbig. Und mit dem Bergischen Land im Allgemeinen, wo es die Sonnenstrahlen im Winter traditionell schwer hätten, es über die Berge bis zu den Ortschaften in die Täler zu schaffen. Aber wieso die Sonne ausgerechnet in Wipperfürth und nicht in Hückeswagen oder Wermelskirchen so selten zum Vorschein gekommen ist, darauf weiß Halbig keine Antwort. "Vielleicht Zufall", meint er.

Es sei nun mal so, wie es ist, meint Wipperfürths parteiloser Bürgermeister Michael von Rekowski. Man könne sich das Wetter nicht schönreden. Aber für einen wie ihn, einen echten Bergischen Jungen, der dort aufgewachsen ist, sei das kein Problem mehr. Man lerne, damit zu leben. Und das sogar ziemlich gut. Nur anders eben. "Sobald es bei uns mal nicht regnet und die Sonne scheint, holen alle sofort ihre Gartenstühle und Grills raus", sagt Rekowski. "Egal ob es 20 Grad oder nur zwei Grad draußen sind. Hauptsache trocken und sonnig."

In Wipperfürth trägt man die Sonne im Herzen und nimmt das schlechte Wetter mit Humor. Wenn man durch den historischen Stadtkern schlendert, begegnet man vielen freundlichen Menschen. Man sieht niemanden, der mit einem Gesicht wie die sprichwörtlichen sieben Tage Regenwetter herumläuft. Obwohl man allen Grund dazu hätte. Man grüßt sich auf der Straße, sagt freundlich "Hallo" oder "Guten Tag" - auch wenn man einander nicht kennt. Bei Ortsfremden macht man da keine Ausnahme.

Diese erkennen Einheimische an den Regenschirmen. Oder besser gesagt: an fehlenden Regenschirmen. "Wer beim Spazierengehen keinen dabei hat, der kommt meistens auch nicht von hier", sagt Steffi Zimmer (19), Verkäuferin in einer Bäckerei. Wenn man die junge Frau sieht, könnte man meinen, sie sei gerade erst von einem längeren Urlaub von irgendwoher zurückgekehrt, wo viel Sonne scheint. So braun ist ihre Haut. Weg ist sie aber nicht gewesen. "Ich gehe auf die Sonnenbank. Das muss sein, wenn man hier wohnt", sagt sie.

 Gabi Weber arbeitet im Wipperfürther Sonnenstudio. Über einen Mangel an Kundschaft kann sie nicht klagen.

Gabi Weber arbeitet im Wipperfürther Sonnenstudio. Über einen Mangel an Kundschaft kann sie nicht klagen.

Foto: Anne Orthen

Das Geschäft mit der künstlichen Sonne aus der Steckdose brummt in Wipperfürth. "Auf der Vier haben wir gerade erst wieder die Röhren wechseln müssen", sagt Gabi Weber, die im "Sonnenpalast" arbeitet. "Die knallt richtig rein. 30 Minuten da drauf - und es geht einem besser." Insgesamt hat das Studio sieben Bänke. Ab 17 Uhr wird es immer voll. Nach Feierabend kommen die meisten Kunden. "Bei dem Wetter hier bei uns braucht man das einfach", sagt Weber. "Das ist so fies."

Fies sind die vergangenen Monate auch für die Kinder des evangelischen Kindergartens "Sonnenkäfer" in Wipperfürth gewesen. Als am Donnerstag mal kurz die Sonne rauskommt, nutzt man die seltene Gelegenheit sofort für einen längeren Ausflug im Freien. "Das ist schön für die Kinder, wenn sie mal ohne die ganzen Regenklamotten raus dürfen zum Spielen", sagt Leiterin Martina Kloeber. "Man sagt uns Wipperfürthern ja nach, dass wir mit Schwimmhäuten zwischen den Fingern geboren werden", sagt sie augenzwinkernd. "Darum ist jeder Tag für die Kinder an der frischen Luft gut."

 Die Kinder des Kindergartens "Sonnenkäfer" nutzen einen kurzen und seltenen Sonnenmoment für einen Ausflug.

Die Kinder des Kindergartens "Sonnenkäfer" nutzen einen kurzen und seltenen Sonnenmoment für einen Ausflug.

Foto: Anne Orthen

Dort verbringt Marie Hesse aus dem Seniorenheim auch am liebsten ihre Zeit - wie am 1. Februar 2018. Ein Datum, das einen Schlussstrich unter die Tristesse der vergangenen zwei Monate ziehen soll. In Wipperfürth hofft man, dass nun wieder häufiger die Sonne scheinen wird. Immerhin habe sie sich ja schon kurz blicken lassen, sagt die 93-Jährige. "Das ist ein Hoffnungsschimmer." Wenn auch ein sehr kleiner, gibt sie zu.

(csh)
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