Essener Feuerwehr Reifenstecher stoppen Rettungswagen

Essen/Düsseldorf · Wegen eines zerstochenen Reifens hat ein Einsatzfahrzeug mit einem schwerkranken Patienten an Bord in Essen zu spät die Klinik erreicht. Der Mann starb. Die Kriminalpolizei ermittelt. Landesweit nimmt die Gewalt gegen Rettungskräfte zu.

Es war kurz nach halb fünf am Nachmittag, als vorgestern der Notruf in der Leitstelle der Essener Feuerwehr einging. Ein 81 Jahre alter Mann sei in einem Dialysezentrum umgekippt und atme nicht mehr, meldete der Anrufer. Bereits wenige Minuten später hielten ein Notarztwagen und ein Rettungsfahrzeug vor der Praxis, und die Helfer rannten ins Gebäude. Der Patient konnte reanimiert werden und war nach etwa einer halben Stunde transportfähig. Als die Rettungskräfte mit ihm aus dem Gebäude kamen, sahen sie, dass ein Reifen am Notarztwagen plötzlich platt war. Da das Fahrzeug hinter dem Rettungswagen in der Gebäudeeinfahrt stand, habe sich die Abfahrt zur Klinik um mindestens zehn Minuten verzögert, weil "Material umgepackt und ein Vorbeikommen des Rettungswagens erst möglich gemacht werden musste", sagte ein Sprecher der Feuerwehr. "Ursprünglich sollte der Patient mit dem Notarztwagen transportiert werden", erklärte er weiter. Der Patient starb später im Krankenhaus.

Wie sich anschließend herausstellte, war der Reifen, vermutlich mit einem Messer, zerstochen worden. "Eine deutliche Einstichstelle am Mantel des Reifens lässt darauf schließen", sagte ein Polizeisprecher. Die Kriminalpolizei nahm sofort die Ermittlungen auf. Vom Täter fehlte bis zum gestrigen Abend jede Spur. Unklar war auch, ob das Leben des 81-Jährigen hätte gerettet werden können, wenn er zehn Minuten früher ins Krankenhaus gekommen wäre. "Wir prüfen, ob es da einen kausalen Zusammenhang gibt", sagte der Polizeisprecher.

Seit Jahren mehren sich die Vorfälle, bei denen Rettungskräfte im Einsatz attackiert werden - und die Angriffe werden immer brutaler. So wurde etwa in Düsseldorf Anfang des Jahres ein Helfer während eines Einsatzes sogar bewusstlos geschlagen. "Mittlerweile haben viele Einsatzkräfte Angst vor Attacken", heißt es beim Feuerwehrverband NRW. Die Täter seien zudem oft alkoholisiert.

Im Jahr 2014 gab es in NRW 151 Attacken auf Feuerwehrleute im Dienst, andere Rettungskräfte wurden 116 Mal angegriffen. Verbale Angriffe sind darin nicht enthalten. Aber auch die Zahl der Straftaten gegen Polizisten, Hartz-IV-Sachbearbeiter und Behördenangestellte steigt. Eine Studie der Ruhr-Universität in Bochum kam zu dem Ergebnis, dass 98 Prozent der Rettungskräfte in NRW schon einmal Beleidigungen und Drohgebärden im Einsatz erlebt haben. Und mehr als die Hälfte der Befragten gab an, im Dienst schon einmal angegriffen worden zu sein. "Dabei nehmen die Täter auch in Kauf, dass Menschen durch ihr Handeln sterben können", sagt ein Feuerwehrsprecher.

So gab es vor kurzem in Hückelhoven im Kreis Heinsberg einen ähnlich dramatischen Vorfall wie vorgestern in Essen. Ein Rentner hatte dort absichtlich einen Rettungswagen mit einem Patienten an Bord mit seinem Auto zugeparkt, weil dieser ihn kurz zuvor im Straßenverkehr angeblich behindert hatte. Statt den Wagen beiseite zu stellen, ging der Mann in eine Bäckerei. Der Notarzt musste warten, bis er zurückkehrte. So verstrich wertvolle Zeit. Der Patient überlebte aber.

Angesichts dieser Entwicklung sprechen sich Teile der Politik und Fachgewerkschaften wie die Komba für mehr Schutz für die Hilfsdienste und härtere Bestrafungen für die Täter aus. Jeder Fall von Gewalt sei einer zu viel und müsse ernst genommen werden, so die Komba. Die Deutsche Polizeigewerkschaft forderte die Justiz auf, bei Fällen von Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst rigoros vorzugehen. Zuletzt hatten sich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Klaus Bouillon (CDU), für deutlich härtere Strafen bei Angriffen auf Retter und Helfer ausgesprochen.

(csh)
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