Mönchengladbach Rettungsdienste kämpfen um Ehrenamtler

Mönchengladbach · Hilfsorganisationen beklagen einen bedrohlichen Mitgliederschwund. Die Malteser werben bereits in Schulen um Sanitäter. Das Deutsche Rote Kreuz organisiert Kanufahrten, um den Nachwuchs zu binden. Dem DLRG fehlen Hallenbäder, um Rettungsschwimmer auszubilden.

Ob Freiwillige Feuerwehren, einige Sanitätsdienste oder Technisches Hilfswerk — die Rettungsorganisationen leiden unter Mitgliederschwund. Und ihre Sorge wächst, die Aufgaben nicht mehr erfüllen zu können. Anders das Deutsche Rote Kreuz (DRK), mit Abstand die größte Hilfsorganisation auf Bundesebene. Das DRK-Erfolgsmodell: ununterbrochenes, teils kleinteiliges Werben um Jugendliche und ein großes Betätigungsangebot. Doch auch hier wird der Kampf um neue Ehrenamtliche, die auch aktiv bei der Sache bleiben, immer schwerer.

Der DRK-Kreisverband Mönchengladbach beispielsweise bietet dem Nachwuchs auch Kanufahrten oder Grillabende; soeben konnte im Ortsteil Wickrath eine neue Jugendgruppe gegründet werden. "Besonders attraktiv ist die Begleitung unseres Sanitätsdienstes bei Auftritten großer Stars wie dem Geiger David Garrett, bei Sportveranstaltungen oder im Karneval", berichtet der Leiter des Jugendrotkreuzes (JRK), Daniel Engels, am Rande des Neujahrsempfangs seiner traditionsreichen Organisation. Sie feierte im vergangenen Jahr ihr 150-jähriges Bestehen. Positiv wirke sich die Bandbreite der Angebote von der Ausbildung zum Rettungsdienst über den Katastrophenschutz bis hin zur Altenbetreuung oder zu Schminkkursen für die realistische Notfalldarstellung aus. Zudem würden gesellschaftspolitische Themen wie Entwicklungshilfe und Klimawandel behandelt — "deutlich mehr als Pflasterkleben", wie Engels betont.

Auch die Malteser intensivieren ihre Anstrengungen, um Ehrenamtliche zu gewinnen. "Wir gehen in Schulen und werben dort für einen Schulsanitätsdienst", sagt Malteser-Sprecher Klaus Walraf. "Das soll ein Appetitmacher sein auf künftiges ehrenamtliches Engagement bei uns", betont er. Bei den Maltesern in NRW arbeiten derzeit 17 200 Ehrenamtler. Als Hauptgrund für den Rückgang an ehrenamtlichen Mitarbeitern sieht Walraf die Schule und das Studium. Das Lernverhalten habe sich in den vergangenen Jahren geändert. Die Schüler und Studenten müssten zunehmend nachmittags lernen. Da fehle die Zeit für ein Ehrenamt. "Wir müssen uns deswegen mehr ihrer Lebenssituation anpassen und ihnen attraktive Dienste vorstellen", betont der Malteser.

Allen Unkenrufen zum Trotz seien die Jugendlichen heutzutage keineswegs anders als früher, sagt der hauptamtliche DRK-Geschäftsführer Wolfgang Weißmantel. "Die sind begeistert, die wollen was Handfestes machen." Ein besonders erfolgreiches Mittel der Nachwuchswerbung sei deshalb der Schulsanitätsdienst. "Doch die verlockenden Freizeitangebote vom Computerspiel bis zum Rockkonzert haben explosionsartig zugenommen. Es sind deshalb leider auch sehr, sehr viele, die wieder gehen." "Noch erreichen wir ausreichend Interessenten, auch durch Erste-Hilfe-Kurse in Betrieben, neue Wege wie die Nutzung sozialer Netzwerke wie Facebook oder schlicht Mund-zu-Mund-Propaganda", meint Engels. "Trotz aller Erfolge machen die Aussichten aber langfristig wenig Mut, wenn das ehrenamtliche Engagement in Zukunft nicht auch auf anderen Wegen mehr gestärkt wird", ergänzt René Hartmann, der stellvertretende Kreisbereitschaftsleiter: "Es bleibt immer weniger Zeit für ein Ehrenamt, zumal es leider manche Arbeitgeber kritisch sehen."

Auch wollten sich viele Berufsanfänger nicht mehr binden, um für ihren Arbeitgeber jederzeit verfügbar zu sein. So habe das DRK zwar gegen den Trend immer noch erfreulich viele ehrenamtliche Mitglieder und verbuche sogar jedes Jahr ein Plus. Andererseits könne das DRK seine Freiwilligen aber längst nicht mehr so flexibel einsetzen wie früher.

Bei der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) kommt in NRW noch ein weiteres Problem hinzu. Zwischen 2007 und 2012 sind landesweit 81 Bäder dichtgemacht worden. 106 weitere sind von der Schließung bedroht. "Wir haben schlichtweg zu wenige Schwimmbäder, um Nachwuchs auszubilden", sagt DLRG-Sprecher Michael Grohe. Besonders auf dem Land seien viele Hallen in den vergangenen Jahren aus Kostengründen geschlossen worden. Das merke man in der Nachwuchsarbeit. "Jugendliche können halt nicht mal eben von ihrem Wohnort zu nächsten Halle 20 Kilometer fahren", sagt Grohe .

Die Lage ist insgesamt besorgniserregend: Die Kinder der geburtenstarken Jahrgänge der 50er Jahre nähern sich dem Rentenalter und brauchen bald selbst Betreuung. So werden die Leistungen der Blaulicht-Organisationen immer stärker nachgefragt, während die Abschaffung der Wehrpflicht ihnen die zwangsverpflichteten Helfer entzogen hat, die dann oft aus Überzeugung als Freiwillige weiter mitmachten. "Das ist schmerzhaft", meint Hartmann. Das Ende des zivilen Ersatzdienstes trifft die deutschen Feuerwehren besonders hart: Sie verlieren laut Fachmedien pro Jahr etwa 10 000 freiwillige Brandschützer; das THW hat seit 2008 fast 3500 seiner damals mehr als 42 000 Helfer eingebüßt.

Allein im DRK werden pro Jahr etwa 30 Millionen unbezahlte Arbeitsstunden geleistet — ohne die Ehrenamtlichen wäre auch eine Hospizarbeit, wie das DRK sie in Mönchengladbach mit 40 hauptamtlichen und 56 ehrenamtlichen Mitarbeitern rund um die Uhr leistet, kaum noch sicherzustellen: 452 sterbenskranke Menschen wurden 2013 in den Tod begleitet.

Notgedrungen geraten die Hilfsorganisationen in immer stärkere Konkurrenz. So bietet das DRK eine mobile Beleuchtergruppe für nächtliche Unfallorte und die Ausbildung an Motorkettensägen für den Katastrophenfall an, eigentlich ein "klassischer" Auftrag des THW.

Wegen der Angebote etlicher sozialer Dienste ist das Rote Kreuz für weibliche Interessenten deutlich attraktiver als andere Organisationen wie beispielsweise das technikorientierte THW. "Jedes zweite Mitglied des Jugendrotkreuzes in Mönchengladbach ist deshalb weiblich", berichtet Daniel Engels.

Insbesondere erfolgreiche Einsätze wie die Suche nach einem vermissten Kind, das nach 14 Stunden mit Hilfe der DRK-Suchhundestaffel aus dem benachbarten Viersen gefunden wurde, oder die Versorgung von Betroffenen nach der Explosion eines Gaslagers erhöhten die Motivation. Der Teamgeist verstärke die Bindung bis hin zu Freundschaften. Engels betont: "Wichtig ist auch: Bei uns wird sehr viel gelacht."

(RP)
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