"Die Vögel" lässt grüßen Soest - Stadt der Krähen

Soest · Zehn Prozent der in NRW lebenden Krähen nisten in Soest. Für Unmut sorgen vor allem ihr Kot und der von ihnen verursachte Lärm. Von einer Jagd will die Verwaltung aber absehen.

Wer aus dem Soester Bahnhof tritt, der blickt als erstes zum Himmel. Unzählige Krähen kreisen über dem Bahnhofsvorplatz, ihr Krächzen übertönt den Lärm der abfahrenden Züge genauso wie den der Autos, die wenige Meter weiter über die Hauptstraße fahren. Es ist ein beeindruckendes Schauspiel, wenn auch etwas unheimlich - Hitchcocks Thriller "Die Vögel" lässt grüßen. Ein paar Schritte weiter zeigt sich die andere, weniger beeindruckende Seite dieses Treibens: Auf den Gehwegen, auf angeketteten Fahrrädern und abgestellten Autos kleben die Hinterlassenschaften der schwarzen Vögel. Ein Passant, der gerade einen Kinderwagen durch den angrenzenden Park schiebt, schaut angespannt in die Baumwipfel über ihm. "Ich hatte Angst, dass mir einer Vögel auf den Kopf macht", sagt er. Aber er schafft es unbeschadet bis zum Bahnhof. Die Soester kennen das.

Seit gut zehn Jahren gehören solche Bilder nun zum Alltag in Soest. Etwa 12.000 Krähen-Paare leben in Nordrhein-Westfalen - zehn Prozent davon in der östlich von Dortmund gelegenen 50.000-Einwohner-Stadt. Warum sich aber gerade in Soest so viele der Vögel aufhalten, weiß niemand so genau. "Es ist wohl ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren, wie dem richtigen Nahrungsangebot und der Möglichkeit, ungestört zu brüten", sagt Stadtsprecher Thorsten Bottin. Klar sei, dass sich Krähen bevorzugt in kleinen Städten aufhalten, erklärt Alfons Tubes, Leiter der Arbeitsgruppe Umwelt in Soest. "Und in der Börde, die hinter der Stadt beginnt, finden die Tiere natürlich auch genug Nahrung."

So unklar der Grund für das Kommen der Krähen ist, so ratlos ist man in Soest auch darüber, wie sich die Population der Vögel wieder auf ein erträgliches Maß reduzieren lässt. Dass dies aus Sicht der Stadt geschehen muss, liegt vor allem an den Schäden, die die Vögel verursachen. Vordergründig sind das die Sachschäden, die durch den Kot der Krähen entstehen. Viele Anwohner berichteten davon, dass sie zum Beispiel ihre Gartenmöbel austauschen mussten, weil sie so verdreckt waren, erzählt Thorsten Bottin. Auch die Bauern leiden unter der Krähenpopulation: Laut Westfälisch-Lippischem Landwirtschaftsverband betrugen die gemeldeten Schäden, die durch die Vögel verursacht wurden, im vergangenen Jahr 7000 Euro.

Der Kot der Tiere ist jedoch nicht das einzige Problem für die Soester. Auch der Lärm, den die Krähen verursachen, richtet Schäden an - auf psychischer Ebene. Bei einer Messung im Clarenbachpark, einer Wohnsiedlung nahe dem Bahnhof, in der zahlreiche Krähen nisten, betrug der von ihnen verursachte Geräuschpegel 59 dBA - ab 60 dBA gilt Lärm als gesundheitsschädlich. Doch selbst wenn der Wert knapp unter der Grenze liege, mache er den Bürgern zu schaffen, erklärt Alfons Tubes: "Der Lärm kann krank machen, vor allem, wenn man nicht fliehen kann."

Seit die Krähen in der Stadt sind, hat man viel versucht, um ihre Anzahl zu reduzieren. Zunächst entfernte die Stadt einige Nester aus den Baumkronen - nach wenigen Tagen aber hatten die Krähen neue Brutstätten gebaut. Auch eine versuchte Umsiedlung der Nester war erfolglos. "Wir haben 15 Nester in Bäume eingebaut, doch die Krähen haben sie nicht angenommen", so Umwelt-Experte Tubes. Krähen gelten als hochintellektuelle Tiere: Vor allem ihre schnelle Anpassungsfähigkeit macht es so schwer, sie dauerhaft aus bestimmten Bereichen zu vertreiben. "Wenn überhaupt, haben die Maßnahmen nur ein Jahr geholfen", sagt Alfons Tubes.

Vor einiger Zeit beriet man ob der Erfolglosigkeit der Vertreibungsmaßnahmen darüber, zu drastischeren Mitteln zu greifen. Man diskutierte, die Vögel abzuschießen oder aber den Nestern Eier zu entnehmen. Das Problem: Die Saatkrähen sind durch die Vogelschutzrichtlinien auf EU-Basis vor solchen Maßnahmen geschützt. Da eine Klage gegen diese Richtlinie laut eines Fachanwalts keine Aussichten auf Erfolg hat, entschloss sich die Stadt vor Kurzem, diesen Schritt nicht weiter zu verfolgen. Vorwürfe, es sei bereits auf Krähen geschossen worden, weist Stadtsprecher Bottin entschieden zurück: "Diese Behauptungen sind schlichtweg falsch."

Die Verwaltung will sich nun mit anderen Kommunen, die unter den Krähen leiden, zusammentun und über Lösungen beraten. "Den Stein der Weisen aber hat noch niemand gefunden", sagt Thorsten Bottin.

In der Soester Bevölkerung gehen die Meinungen über die Krähen auseinander. Für einige Bürger gehören sie zum Stadtbild, andere haben den Kampf gegen Kot und Lärm aufgegeben. "Klagen gegen die Stadt gab es bisher keine", so Thorsten Bottin. "Die Soester wissen aber auch, dass wir alles tun, um die Probleme anzugehen - die Hände sind uns in gewissen Bereichen einfach gebunden."

Bis auf Weiteres geht der Kampf gegen Kot und Lärm also weiter. So lange empfangen die Krähen noch lautstark jeden, der aus dem Soester Bahnhof tritt.

(tsp)
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