Düsseldorf "Sprengstoff ist nicht mein Ding"

Düsseldorf · Seit gestern steht der mutmaßliche Wehrhahn-Bomber von Düsseldorf vor Gericht. Er bestreitet den Anschlag, bei dem vor 17 Jahren zehn Menschen teils schwer verletzt wurden. Die Anklage hält Ausländerhass für sein Motiv.

Der Angeklagte versteckt sein Gesicht hinter dem üblichen Aktenordner. Ungewöhnlich ist nur die gelbe Schleife auf dem Aktenrücken, internationales Zeichen der Solidarität mit Militärangehörigen im Auslandseinsatz. Darunter hat Ralf S., dem zwölffacher versuchter Mord vorgeworfen wird, ein Häschen gezeichnet.

Mehr als 17 Jahre, nachdem am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn ein Sprengsatz detonierte, der zehn Menschen teils schwer verletzte und ein ungeborenes Baby tötete, hat gestern der Prozess gegen den Mann begonnen, der dafür verantwortlich sein soll. Der heute 51-jährige Ex-Zeitsoldat bestreitet aber, heimtückisch, aus dem "niederen Beweggrund" der Fremdenfeindlichkeit und mit gemeingefährlichen Mitteln den Anschlag verübt zu haben. Auf die Richter-Frage, ob die Anklage zutrifft, konterte Ralf S. militärisch knapp: "Negativ!"

Nach diesem Einstieg ließ der frühere Militariahändler dann aber seinem Redefluss freien Lauf. Mit trotzig-beleidigtem Unterton stemmte er sich wortreich gegen den Vorwurf, er habe am 27. Juli 2000 kurz nach 15 Uhr aus rechtsradikaler Gesinnung die in einer Plastiktüte versteckte Rohrbombe gezündet, ein "Selbstlaborat" mit verunreinigtem Trinitrotoluol-Sprengstoff (TNT).

Die Anklage will ihm das Gegenteil beweisen. Sie geht davon aus, er habe gezielt die Sprachschüler töten wollen, die auf dem Heimweg vom Unterricht das Geländer passieren mussten, an dem die Tüte mit der Bombe hing. Wäre das TNT nicht verunreinigt gewesen, heißt es, hätte es Tote gegeben.

Ralf S., der in der Nähe des Tatorts nicht nur wohnte, sondern auch einen kleinen Militarialaden unweit des Bahnhofs betrieb, will damit nichts zu tun haben. Scharfe Handgranaten habe er niemals besessen, "sowas gibt's bei mir nicht", sagte er. Und auch bei der Bundeswehr habe er "nie Kontakte zu Sprengstoff" gehabt. "Das wäre auch nicht mein Ding, weil: ist gefährlich!"

Als wenige Stunden nach dem Anschlag öffentlich bekannt geworden war, dass die Opfer überwiegend jüdische Einwanderer aus den ehemaligen GUS-Staaten waren, gingen im Sommer 2000 etliche Hinweise auf Ralf S. bei der Polizei ein. Auch aus der Neonazi-Szene, der er damals zugerechnet wurde, in der er aber nicht besonders beliebt war. Auch im Stadtteil wies man auf den Mann mit dem Rottweiler hin, der sich gern als "Sheriff" im Viertel aufspielte und Sticker mit "Ausländer raus" auf Laternenpfähle klebte. Zusammengefasst als "Spur 81" galten die Hinweise früh als vielversprechend und S. als Beschuldigter.

Zwei Jahre lang führte die damalige Ermittlungskommission ihn als Beschuldigten, doch der Verdacht ließ sich nicht erhärten. Der Fall ruhte, bis 2014 Ralf S., der in einer Justizvollzugsanstalt in Castrop-Rauxel eine nicht bezahlte Geldstrafe absitzen musste, einem Mitgefangenen erzählt haben soll, dass er eine Bombe gebaut und "Kanaken weggesprengt" habe. Die Ermittlungen zur "Spur 81" wurden wieder aufgenommen, förderten im zweiten Anlauf eine Reihe von alten, aber auch von neuen Indizien zu Tage. So soll S. schon vor der Explosion angekündigt haben, etwas gegen die Ausländer zu unternehmen, die im Haus gegenüber seinem Laden zum Unterricht gingen. Andere Zeugen wollen gehört haben, wie der Angeklagte mit der Tat prahlte.

Beim Start des auf 38 Verhandlungstage bis Mitte Juli terminierten Prozesses versuchte Ralf S. gestern, sein Verhalten als bloße Großtuerei abzutun. Konfrontiert etwa mit seinen frühen Aussagen bei der Polizei winkte er ab: "Vielleicht wollte ich mich wichtig tun in dem Moment, hab' irgendwas daher gesagt!" Diese Angaben bezeichnete er gestern als "Schotterantworten". Auf die Frage des Richters, ob er wisse, wer den Anschlag begangen hat, sagte S. knapp: "Nein!" Andere Details seiner früheren Vernehmungen erklärte er als mutmaßliche Tricks "des Geheimdiensts", wohl anspielend auf einen V-Mann des Verfassungsschutzes, der Monate vor der Tat bei ihm gejobbt habe. Das war erst nach S.' Verhaftung im vorigen Jahr bekannt geworden.

Dass er damals mehrfach an Absperrungen um den Anschlagsort gesichtet worden sei, erklärte er allerdings merkwürdig: "Ja, klar! Alle sind dahin. Wäre ja auch verdächtig gewesen, wenn nicht." Darüber hinaus will er sich an den Tattag kaum noch erinnern: "Ich hab' den ganzen Tag mein normales Leben weitergemacht!" Das aber sei später nicht mehr möglich gewesen. Aufträge für seine Detektei, die er neben einem Sicherheitsdienst betrieben hatte, seien ausgeblieben. Der Tatverdacht "hängt über mir wie das Schwert des Sokrates".

(RP)
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