Sicherheitsbedenken der Bundesregierung Städte müssen Paternoster stilllegen

Krefeld · Eine Verordnung des Bundesarbeitsministeriums erlaubt das Fahren mit den Nostalgie-Aufzügen nur noch geschultem Personal. Besucher öffentlicher Gebäude dürfen ihn ab 1. Juni nicht mehr nutzen. Das bedeutet für viele Anlagen das Aus.

 Ingrida Dolfen (34), Mitarbeiterin der Hochschule Niederrhein, in einem Paternoster.

Ingrida Dolfen (34), Mitarbeiterin der Hochschule Niederrhein, in einem Paternoster.

Foto: Strücken

Sich in eine Schlange vor den Aufzügen einreihen oder die Treppe in den fünften Stock nehmen — ab nächster Woche gibt es für die Studenten der Hochschule Niederrhein in Krefeld keine Alternative mehr. Bisher konnten sie auf den Paternoster, einen sogenannten Personenumlaufaufzug, ausweichen. Doch zum 1. Juni wird der Paternoster im Hochschulgebäude stillgelegt — aus Sicherheitsgründen. Die Studenten sind empört. "Das wurde doch wieder von Leuten bestimmt, die nicht jeden Tag ewig auf den Aufzug warten oder tausendmal die Treppen hoch und runter latschen müssen", beschwert sich Adrian Ettmann. "Der Paternoster ist der einzige Aufzug, der ein flüssiges Auf und Ab gewährleistet."

Grund ist eine Verordnung des Bundesarbeitsministeriums. Darin heißt es, dass "Personenumlaufaufzüge nur von durch den Arbeitgeber eingewiesenen Beschäftigten verwendet werden" dürfen. Im Klartext heißt das: Für Besucher müssen die altertümlichen Aufzüge, die in NRW noch in Rathäusern, Finanzämtern, Polizeipräsidien und Kaufhäusern zu finden sind, gesperrt werden. Viele Städte und auch die Hochschule Niederrhein erfuhren erst in diesen Tagen von der Neuerung — und reagieren mit Unverständnis. "Bei uns ist der Paternoster seit den 1960ern in Betrieb, und es ist nie etwas passiert", sagt Ingrida Dolfen (34), Mitarbeiterin der Hochschule Niederrhein. "Diesen Sicherheitswahn kann ich nicht nachvollziehen." Hochschulsprecher Christian Sonntag erklärt: "Wir bedauern es sehr, dass wir den Betrieb stoppen müssen, immerhin sind wir die einzige Hochschule mit einem Paternoster in NRW."

Die Länder haben laut Bundesarbeitsministerium an der Verordnung mitgearbeitet. "Gefordert wurde diese Benutzungseinschränkung, weil es in der Vergangenheit immer wieder zu schweren Unfällen gekommen ist. Die beteiligten Kreise und Länder waren an diesem Prozess ausführlich beteiligt und haben keine Beanstandungen dazu geäußert", heißt es aus dem Ministerium. Eine Statistik über Unfälle in Paternostern gibt es laut TÜV Rheinland und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGVU) nicht. "Da dies ein sehr spezieller Fall ist, führen wir dies nicht in einer gesonderten Statistik auf", erklärt eine DGVU-Sprecherin. Wenn sich ein Mitarbeiter in einem Firmengebäude mit Paternoster während der Fahrt verletzt, weil er eingeklemmt wird oder beim Aussteigen stürzt, würde dies als Unfall am Arbeitsplatz angeben.

In den vergangenen Jahren hat es in NRW nur wenige schwere Unfälle in Paternostern gegeben. Ein zehnjähriger Junge war 2009 in den Schacht des Paternosters im Rathaus Oberhausen gefallen. Er war in Panik geraten, als er auf der falschen Seite eingestiegen war und statt eine Etage höher zu fahren, die Aufzugkabine Richtung Keller nahm. Er zog sich Schürfwunden und Prellungen zu. 1997 wurde eine alkoholisierte 76-Jährige in Wuppertal schwer verletzt, als sie sich beim Aussteigen an den äußeren Hilfsgriffen festgeklammert hatte. Die nächste Kabine schleifte die Frau eine Etage mit, wo sie zu Boden stürzte. "Die Anlagen bergen eine Verletzungsgefahr, wenn man nicht weiß, wie sie funktionieren," sagt Frank Ehlert vom TÜV Rheinland.

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Foto: Radowski

Der TÜV prüft die Paternoster einmal pro Jahr — ebenso wie andere Personenaufzüge. In Deutschland gibt es zwischen 250 und 300 Anlagen, in NRW sind es rund 40. Im öffentlichen Bereich werde es wohl kaum eine andere Möglichkeit geben, als die Paternoster stillzulegen, meint Ehlert. Sofern nur einzelne Geschosse abgesichert werden müssten, könnte dort mit einer Scheibe abgetrennt werden. Eine andere Möglichkeit sei eine Zutrittskontrolle. Wie die Schulungen für Mitarbeiter konkret aussehen sollen, ist nicht bekannt. "Das liegt wohl im Ermessen des Betriebs", sagt Ehlert. "Es gibt jedenfalls keinen Paternoster-Führerschein."

Auch wenn es laut Bundesarbeitsministerium mit der Neuverordnung kein Betriebsverbot für Paternoster gibt, sondern "nur eine Einschränkung für andere Personen (Publikumsverkehr) eingeführt wurde", bedeutet es das Aus für viele der Nostalgie-Aufzüge. So etwa im Duisburger Rathaus: "Sollten die Forderungen tatsächlich so kommen wie beschrieben, kann die Stadt nicht sicherstellen, dass nur eingewiesene Mitarbeiter den Paternoster nutzen, da diese auch Besuchern frei zugänglich sind", erklärt Sprecher Peter Hilbrands. "Die Paternoster müssten daher bis zur Aufhebung der Forderung stillgesetzt werden." Auch die Stadt Wuppertal sieht sich gezwungen, ihre Paternoster in den Rathäusern in Barmen und Elberfeld zu sperren. "Es ist unrealistisch, alle Mitarbeiter entsprechend zu schulen, außerdem werden die Paternoster bei uns stark von Besuchern frequentiert", sagt Sprecherin Ulrike Schmidt-Keßler. Man hoffe darauf, dass der Gesetzgeber die "nicht praktikable Lösung" noch einmal überdenkt.

Im Düsseldorfer Polizeipräsidium ist der Paternoster erst im März nach über einjähriger Reparatur wieder in Betrieb gegangen. Seit kurzem hängt ein Schild daran: "Nur für Personal." Dass Unbefugte den Aufzug nutzen, soll der Pförtner verhindern, heißt es im Präsidium. Das wird derzeit umgebaut, und alle sind sich einig, dass der Paternoster auch nach der Modernisierung bleibt. Auch beim WDR in Köln, der im hölzernen Funkhausfahrstuhl die WDR2-Sendung "Prominente im Paternoster" produziert, ist die Nutzung der Anlagen seit einiger Zeit nur Mitarbeitern gestattet.

Viele Paternoster-Fans hoffen darauf, das Aus für die Aufzüge abwenden zu können. "Zu den geplanten Änderungen gibt es starken Widerstand, so dass im Moment nicht klar ist, ob die Forderung aufrecht erhalten bleibt", sagt Hilbrands. Die Änderung tritt zwar am 1. Juni in Kraft, könnte aber noch gekippt werden. Im Sommer soll es dazu eine Anhörung der Länder und der beteiligten Kreise geben, die Kabinettsbefassung ist für den Herbst vorgesehen. Anschließend erfolgt das Bundesratsverfahren. "Optimaler Weise könnte die Verordnung dann Ende des Jahres verkündet werden", heißt es aus dem Ministerium. Es ist nicht das erste Mal, dass die Paternoster "verboten" werden sollen. 1972 wurde in Paragraf 26 der Aufzugsverordnung festgelegt, dass neue Personenumlaufaufzüge nicht mehr gebaut werden dürfen und bestehende bis Ende 1994 stillzulegen sind. Doch im Land regte sich dagegen massiver Widerstand. Im Oktober 1994 verlängerte die Regierung die Frist für die damals mehr als 500 Paternoster in Deutschland um zehn Jahre bis Ende 2004. Als der Tag des Verbots näher rückte, hob der Bundesrat die geplante Änderung auf — die bestehenden Paternoster konnten in Betrieb bleiben.

(RP)
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