Ärztemangel Aachen führt Notarzt mit Ferndiagnose ein

Aachen · Ein Jahr lang hat die Stadt Aachen ein bundesweit einzigartiges System für Notfälle getestet. Dabei können Notärzte im Ernstfall Rettungssanitäter per Videoschalte und Funkkontakt anweisen, ohne selbst beim Patienten zu sein. Der Stadtrat hat beschlossen, dass das Forschungsprojekt in Aachen in den Regelbetrieb gehen soll.

 In Zukunft könnten Notärzte im Ernstfall Rettungssanitäter per Videoschalte und Funkkontakt anweisen, bis sie selbst beim Patienten ankommen.

In Zukunft könnten Notärzte im Ernstfall Rettungssanitäter per Videoschalte und Funkkontakt anweisen, bis sie selbst beim Patienten ankommen.

Foto: STEPHAN WITTE

Ziel der Initiatoren ist es, mit dem "Tele-Notarzt" die schnelle Versorgung zu sichern und dem Mangel an Notärzten vor allem in ländlichen Gegenden entgegenzuwirken. Das System könnte Schule machen.

Es klingt im ersten Moment futuristisch: Ein über Video zugeschalteter Arzt gibt Rettungssanitätern aus der Ferne Anweisungen zur Behandlung eines Patienten. Die Patientendaten werden verschlüsselt übermittelt. Bei Herzinfarkten und Schlaganfällen zum Beispiel geht es oft um Sekunden. Die Patienten müssen schnellstens versorgt werden, um das Risiko bleibender Schäden zu minimieren.

Doch abwegig ist die Idee keinesfalls. In Zeiten des chronischen Ärztemangels könnte sie sich vielmehr als notwendig erweisen. Da die Deutschen immer älter werden, steigen auch die Einsatzzahlen der Rettungsdienste und der Notärzte. Gerade in ländlichen Gebieten jedoch ist der Bedarf an Notärzten nicht gedeckt. Folge: Die Anfahrtszeiten zeigen. Um eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen, arbeitet ein Forschungsteam daher schon seit 2010 am sogenannten "TemRas" (Telemedizinisches Rettungsassistenzsystem).

Dem Telenotarzt werden die Patientendaten verschlüsselt übermittelt

Und so funktioniert TemRas: Die telemedizinisch ausgestatteten Rettungswagen sind an die Telenotarzt-Zentrale angeschlossen. Werden die Rettungssanitäter zu einem Notfall gerufen, der Notarzt ist aber noch nicht zur Stelle, können sie Kontakt zum zuständigen Telenotarzt aufnehmen. Der wird live zugeschaltet und kann die Sanitäter mittels Bild- und Videomaterial anleiten.

Die an der Einsatzstelle erhobenen Daten werden dem Arzt über das System verschlüsselt übermittelt. Der Monitor des Telenotarztes zeigt die sogenannten Vitalparameter des Patienten an: Herschlag, Puls, Atmung. Auf dieser Basis gibt der Telenotarzt seine Anweisungen.

Ziel ist es, die zeitliche Verzögerung vor Eintreffen des Notarztes vor Ort durch die Konsultation des Telenotarztes optimal zu überbrücken. "Tatsächlich fordert ein Großteil der Einsätze nicht die manuellen Fertigkeiten des Notarztes, sondern dessen medizinisches Fachwissen beziehungsweise seine Entscheidungsbefugnis und Verantwortung", erklären die Projektverantwortlichen.

"Gut ausgebildete Rettungsassistenten sind in vielen Fällen in der Lage, mit entsprechenden Anweisungen eine exzellente Versorgung sicherzustellen." Trifft der Notarzt schließlich am Einsatzort an, übernimmt er. "Es ist wichtig, dass das primäre Ziel die Verbesserung der Qualität ist, also die schnelle Hilfe", sagt Jörg Brokmann von der Uniklinik Aachen. "Der Telenotarzt soll den Notarzt nicht ersetzen. Deren Zahl soll definitiv beibehalten werden."

Einsatz der Telemedizin im Weltall

Das Team, das seit vier Jahren an der Entwicklung des Systems arbeitet, ist groß: Unter der Koordination des Lehrstuhls für Informationsmanagement im Maschinenbau (IMA) der RWTH Aachen arbeiten Forscher und Entwickler des Lehrstuhls, der Klinik für Anästhesiologie des UK Aachen und der P3 communications GmbH zusammen mit Philips Healthcare und 3M Medica.

Das Projekt wurde vom Landesministerium NRW für Innovation, Wissenschaft und Forschung über eine Laufzeit von drei Jahren gefördert. Von August 2012 bis Juli 2013 lief die Testphase in Zusammenarbeit mit ausgewählten Rettungswachen in Aachen, Köln, Düren, Heinsberg und Euskirchen. Insgesamt sechs Rettungswagen wurden umgerüstet und konnten bei Bedarf einen sogenannten Telenotarzt in Rettungseinsätzen hinzuziehen, erklärt Christian Büscher von der RWTH Aachen.

Bald vielleicht sogar ein Modell für ganz Deutschland

Büscher kann sich vorstellen, dass das System irgendwann in ganz NRW und auch deutschlandweit eingesetzt werden kann. "Das Forschungsteam ist nun aber erst einmal nicht mehr beteiligt. Die Förderung ist ausgelaufen und wir werten nun die Forschungsergebnisse aus", sagt er. Jetzt sind die interessierten Städte und die Krankenkassen gefragt. Sie müssten die Ausstattung der Rettungswagen und das Equipment finanzieren. "Es gibt Bestrebungen, das System auch in anderen Kommunen einzusetzen", bestätigt Jörg Brokmann von der Aachener Uniklinik.

Telemedizin ist ein Forschungsbereich, der in Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. Nicht nur aufgrund des Ärztemangels in ländlichen Gegenden, auch für Einsätze in abgelegenen Gebieten der Erde oder auf Raumstationen im Weltall ist die medizinische Ferndiagnose von Interesse. An der Uniklinik Aachen gibt es weiter Projekte, die den Einsatz der Telemedizin bei Großschadenslagen mit vielen Verletzten erforscht.

(jnar)
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