Deutsche Muslime – Leben unter Verdacht

Ich bin einer dieser Muslime, der in einem "Problemviertel" aufwuchs, dem seine Religion nicht unwichtig war, der in Deutschland geboren wurde und der vor zehn Jahren gerade seinen Wehrdienst antrat, um nach zehn Tagen zwei Flugzeuge in zwei Türme fliegen zu sehen. Was noch erschreckender war als die Bilder im Fernsehen, waren die Köpfe der Kameraden, die sich auffällig unauffällig – nach jeder Wiederholung des Anschlags im Fernsehen – nach mir umdrehten. Von nun an hörte ich unzählige Anspielungen auf meinen Taliban-Bart, die natürlich alle humorvoll gemeint waren.

Ich bin einer dieser Muslime, der in einem "Problemviertel" aufwuchs, dem seine Religion nicht unwichtig war, der in Deutschland geboren wurde und der vor zehn Jahren gerade seinen Wehrdienst antrat, um nach zehn Tagen zwei Flugzeuge in zwei Türme fliegen zu sehen. Was noch erschreckender war als die Bilder im Fernsehen, waren die Köpfe der Kameraden, die sich auffällig unauffällig — nach jeder Wiederholung des Anschlags im Fernsehen — nach mir umdrehten. Von nun an hörte ich unzählige Anspielungen auf meinen Taliban-Bart, die natürlich alle humorvoll gemeint waren.

In einer düsteren Zeit wie jener war ich bereit, meinen verunsicherten Mitmenschen bei der Verarbeitung der Tat zu helfen, und ließ es über mich ergehen. Zu meinem Pech war ich auch noch ein praktizierender Muslim, der kein Schweinefleisch aß und noch nie Alkohol getrunken hatte. Alles in allem qualifizierte ich mich für das Auswahlverfahren des "Wem-ist-am-meisten-zuzutrauen"-Spielchen. In den Köpfen vieler Nicht-Muslime in meiner Umwelt schien dieses Spiel eine Dauerbeschäftigung geworden zu sein, wenn ich mich an die vielen Kommentare erinnere.

Aber nicht nur in den Köpfen von Nicht-Muslimen, sondern auch in vielen muslimischen Köpfen gab es zu meiner eigenen Überraschung den allgemeinen Terrorverdacht gegenüber jedem, der fünfmal am Tag betete und zu oft die Moschee besuchte. Mütter sorgten sich plötzlich um ihre Söhne, und Väter erkundigten sich misstrauisch über den Bekanntenkreis in der Moschee. Ich musste in mehrfacher Hinsicht Aufklärungsarbeit leisten. In der Kaserne, daheim in der Familie und in meinem nicht-muslimischen Freundeskreis. Der Alltagsverdacht war keine Einheitsfront, sondern ein mürbe machender Vielfrontenkrieg.

Mir selbst wurde erst kürzlich wirklich bewusst, wie sehr ich selbst dem Generalverdacht gegenüber praktizierenden Muslimen erlegen bin. Neulich saß ich auf vor dem Abflug nach Berlin am Flughafen mit einem Buch in der Hand und wartete darauf, ins Flugzeug gelassen zu werden. Immer wieder schweifte mein Blick zu meinen Mitreisenden, bis ich einen entdeckte, der einen langen wilden Bart trug, im arabischen Gewand mit Koran in der Hand saß und mit wippendem Oberkörper tief konzentriert darin las. Die übrigen Geschäftsmänner und -frauen lugten ängstlich über ihren Zeitungsrand zu ihm hinüber. Das Unwohlsein war ihnen anzumerken, und für einen kurzen Moment erfasste es auch mich.

Warum las dieser Mann kurz vorm Flug so intensiv im Koran, und was war in seinem schweren Reisegepäck? Wie es der Zufall wollte, traf ich den gleichen Mann am selben Tag auf dem Rückweg von Berlin in der Wartehalle. Er nickte mir freundlich zu und ich ihm, ein Gruß folgte, und wir stellten uns einander vor. Ich erfuhr, warum er unterwegs war: Er hatte einen Scheidungstermin, und in seinem Gepäck befanden sich Berge von Aktenordnern. Aber die Bilder von bärtigen Männern in langen Gewändern — immer wieder verbunden mit düsteren Einspielmelodien — haben sogar bei mir, der selbst unter Verdächtigungen gelitten hat, Eindruck gemacht.

Ich habe allerdings einen Vorteil: Ich komme mit muslimisch aussehenden Menschen schnell in Kontakt. Der Mehrheit der Deutschen bleibt dies aus den verschiedensten Gründen unmöglich. Kürzlich sprach ich mit einem jungen italienischen Friseur. Wenn man seinen Namen ins Deutsche übersetzt, bedeutet er: der Gekreuzigte. Auch er wusste ein Lied vom Verdacht des "ewigen Muslim" zu singen, obwohl er gläubiger Katholik war, und lediglich einen dunkleren Teint hatte. Man lernt viel, wenn man sich die Mühe macht, Menschen kennenzulernen. Leider machen das nur die wenigsten.

Einige Jahre nach 2001 beruhigte sich die Berichterstattung über Schläferzellen zunehmend. Die Lücke, die sich dadurch in der Medienlandschaft bildete, schloss jedoch bald ein neuer Verdacht: Über Nacht wurde der Muslim vom möglicherweise mordenden Fanatiker zum frauenunterdrückenden Primitivling. Ich kam vom Regen in die Traufe. Die sogenannten Ehrenmorde taten ihr Übriges für den muslimisch-anmutenden Mann. Muslimische Frauen hingegen waren abwechselnd entweder die Opfer einer patriarchalen Gewaltkultur oder selbst die Hauptmotoren einer Fertilitätsinvasion des Islam. Meine Frau hat mütterlicherseits schlesische Vorfahren (väterlicherseits afghanische). Ihren Großvater durfte ich noch kennenlernen, Jahrgang 1920. Durch und durch Preuße. Wenn wir in den Süden Hessens zu Besuch kamen, musste es immer ein eigenartiger Anblick gewesen sein, wie eine Frau mit Kopftuch und ihr orientalischer Mann begrüßt wurden von den Großeltern, die uns manchmal in Tracht willkommen hießen.

Im Alltag wird meine Frau jedoch auf das Kopftuch reduziert, obwohl sie doch so vieles mehr ist. Und so kann man sich den Verdacht, dem wir in der Öffentlichkeit ausgesetzt sind, wenn wir durch die Stadt bummeln, vielleicht vorstellen. Neben einer alten Dame, die wirklich sehr freundlich fragte, ob ich meine Frau denn aus der Heimat habe kommen lassen, als sei sie eine Importvase, gibt es natürlich auch unangenehmere Situationen, die meine Frau aus irgendeinem Grund meist dann erlebt, wenn sie alleine unterwegs ist. Der patriotische Hang, das Vaterland gegenüber Überfremdung zu verteidigen, ist bei manchen Menschen wohl dann am stärksten ausgeprägt, wenn sie jemand vermeintlich "Schwachem" gegenüberstehen. Dann wird gespuckt, gepöbelt, beleidigt und verwünscht.

Selbst ein Obdachloser am Bahnhof wollte neulich kein Geld von einer Frau mit Kopftuch. Der Verdacht erhärtet sich bei mir, dass Frauen mit Kopftuch viel mehr unter dem Primitivitätsverdacht leiden als Männer mit islamischem Aussehen. Für mich ist es zum Beispiel kein Problem, in den Staatsdienst einzutreten und Lehrer zu werden, hätte ich das nötige Staatsexamen dazu. Meine Frau hingegen musste das Studienfach wechseln, um nicht in Konflikt mit dem Kopftuchverbot in NRW zu geraten. Dasselbe Problem erwartet viele Frauen auf dem deutschen Arbeitsmarkt, die sich von ihren Familien, Vätern, Brüdern, Ehemännern finanziell emanzipieren wollen, aber nicht daran denken, das Kopftuch abzulegen. Diese Frauen passen nichts in Bild. Sie müssen ja unterdrückt sein, sonst würden sie kein Kopftuch tragen, und doch sind sie selbstbewusst, also müssen sie irgendwie auch antideutsch sein.

Von einer Professorin bekam meine Frau vor kurzem ein Kompliment. Schön sähe sie aus in ihrer Kleidung. Aber, fügte die Dame hinzu, meine Frau müsse ja auch zugeben, dass sie sich mit dem Kopftuch absichtlich von "uns" abgrenzt, und sich nicht wundern, wenn sie diskriminiert wird. Meine Frau versuchte zu erklären, dass auch sie ein Teil von "uns" ist, aber das wollte die Dame nicht einsehen. Das Aussehen bestimmt immer noch, wohin man gehört, und zu "uns" gehören keine Frauen mit Kopftuch.

Manchmal kommt es allerdings auch zu merkwürdigen, vermeintlichen Verbrüderungen der Mehrheitsgesellschaft mit Menschen wie mir. Da ich mich gerne gesellschaftlich engagiere, führe ich viele anregende, politische Gespräche. Und selbst wenn unsere Themen sehr lokal sind, kommt ab einem bestimmten Zeitpunkt — vermeintlich gut gemeint — oft völlig unvermittelt der Satz: "Wissen Sie, ich bin ja auch gegen Israel. Das darf man ja in Deutschland gar nicht mehr sagen, aber Sie verstehen mich". Für ungebildet, primitiv und rückständig gehalten zu werden, ist nicht so verletzend, wie für einen ausgemachten Antisemiten gehalten zu werden. Und wenn ich mich dann über diese Aussagen empöre, folgt meist noch ein kleiner Versuch zu erklären, dass man ja nur ausdrücken wolle, wie schlimm man es findet, was "die Juden" mit "meinen Leuten" machten. Diese Vorurteile lassen mich oft schwindelig werden.

Unter dem Stichwort "Islamkritik" verrührten die Verteidiger des Abendlandes Dinge wie Raketenminarette, Kopftuchzwang, "Eurabien" und Ehrenmord in einem Topf. Die Geert Wilders, Pro's (Köln, NRW usw.), die Necla Keleks, Henryk M. Broders, Ralph Giordanos begannen, gebetsmühlenartig vor Muslimen zu warnen. Den Vogel schoss dann Thilo Sarrazin ab, und der Vogel fiel den Muslimen direkt auf den Kopf: Primitivitätsverdacht — beinahe so schwer zu entkräften wie der Verdacht, inkontinent zu sein. Wie wehrt man sich dagegen, als Minderleister mit Intelligenzdefizit abqualifiziert zu werden?

Und so denke ich auch, dass es schwerer geworden ist, in Deutschland beruflich Fuß zu fassen. Dabei ist die Integration in den Arbeitsmarkt der wichtigste Schritt in die Gesellschaft. Aber auch Personaler lesen Zeitung, schauen fern und werden mental durch bestimmte Bilder geprägt. Und wenn die "Bewerbung mit Migrationshintergrund" trotzdem gute Noten aufweist, obwohl wir mittlerweile zu wissen glauben, dass "Türken und Araber" (was ich beides nicht bin) einfach etwas weniger intelligent sind als der Rest der Gesellschaft: Wie wirken dann meine guten Noten auf den Personaler?

Ein deutsches, wohlsituiertes Ehepaar hat vor kurzem freundlicherweise meine Bewerbung begutachtet, weil sie von meinen Problemen bei der Arbeitssuche hörten. Die Tipps zur Verbesserung waren ehrlich und wahrscheinlich sehr hilfreich. Namen kleiner schreiben, Staatsangehörigkeit größer, Wehrdienst ganz groß und — sagte man mir — "versuchen Sie, so wenig wie möglich auf sich selbst aufmerksam zu machen. Ich sehe hier, Sie haben eine Magisterarbeit über das Thema Krieg geschrieben? Verschweigen Sie das Thema. Wenn man Ihr Bild sieht und Ihr Magisterthema, denkt man: Terrorist. Da können Sie nichts gegen machen!"

Bis heute bin ich dem Ehepaar sehr dankbar, dass es so ehrlich zu mir war. Deutsche müssten bei Bewerbungen ihre Individualität herausstellen, sagten sie mir. Ich hingegen sollte zeigen, dass ich so bin wie alle anderen. "Vielleicht wollen Sie auch Ihren Namen ändern? Seddiqzai klingt nach Terrorist, viele unserer arabischen und persischen Freunde haben absichtlich den Namen ihrer deutschen Ehefrauen angenommen." Das habe ich allerdings nicht über mich gebracht.

Es ist fast unmöglich, gegen den Primitivitätsverdacht anzukommen, und ich kann nur hoffen, dass die Mehrheit in diesem Land auch weiterhin genug Anstand und Verstand besitzt, diesen Vereinfachungen zu widerstehen. Aber auch Muslime (und Minderheiten überhaupt) müssen lernen, mit diesen Vorurteilen umzugehen, sich nicht von ihnen kontrollieren zu lassen und nicht hinter jedem unachtsamen Wort eine Bösartigkeit zu vermuten. Erst wenn wir gemeinsam daran arbeiten, diese Vorverdächtigungen zu kassieren, kann sich eine Gemeinschaft weiterentwickeln.

Der Autor Mansur Seddiqzai war am 11. September 2001 21 Jahre alt. Er studierte im Anschluss an seinen Wehrdienst Regionalwissenschaft Japan, Soziologie, Politische Wissenschaft, Philosophie und Neuere und Mittelalterliche Geschichte in Bonn. Seine Eltern stammen aus Afghanistan und leben seit fast 35 Jahren in Deutschland.

(RP)
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