Dinslaken. Aufschlussreiches "Gefangenbuch"

Dinslaken. · Edgar Hellwig gelang es, das Verzeichnis aller Häftlinge des Gefängnisses in Dinslaken von 1933 bis 1935 zu digitalisieren.

 Von links: Edgar Hellwig, der auf das Gefangenbuch gestoßen ist, mit Janine Wolfsdorff (Stadtarchiv), Torsten Werner (Amtsgericht) und Stadtarchivarin Gisela Marzin mit einer kopierten Seite aus dem Buch.

Von links: Edgar Hellwig, der auf das Gefangenbuch gestoßen ist, mit Janine Wolfsdorff (Stadtarchiv), Torsten Werner (Amtsgericht) und Stadtarchivarin Gisela Marzin mit einer kopierten Seite aus dem Buch.

Foto: Lars Fröhlich

Ob bei Gericht oder im Gefängnis - wenn die gesetzliche Aufbewahrungsfrist abgelaufen ist, werden juristische Dokumente vernichtet. Doch als in den 1980er Jahren im Amtsgericht Hamborn aufgeräumt wurde, konnte die 43 mal 29,5 Zentimeter große Kladde mit dem dicken, marmorierten Einband wohl nicht geschreddert werden.

Ein Glücksfall. Denn bei dem Dokument handelte es sich um das "Gefangenbuch", dem Verzeichnis der rund 2500 Häftlinge des Gefängnisses in Dinslaken der Jahre 1933 bis 1935. Und damit um eine wichtige Quelle zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Dinslaken. Gestern präsentierte der Dinslakener Künstler und Filmemacher Edgar Hellwig im Rathaus die digitalisierte Version des Gefangenbuchs, die er dem Stadtarchiv zur Verfügung stellte.

Die jüngere Geschichte des "Gefangenbuchs" ist abenteuerlich. Nicht namentlich genannte Personen hätten Hellwig nach der Hörspielcollage "Erinnern für die Zukunft" angesprochen, dass ein ebenfalls anonym zu bleiben wünschender Bekannter in den 1980ern ein Buch aus dem Sperrmüll gefischt habe, "Weil es so schön aussah". Der Mann hält es bis heute unter Verschluss, lieh es aber Hellwig, damit dieser eine digitale Kopie anfertigen konnte, die er nun für weitere Forschung ans Stadtarchiv gab. "Ich bin mir sicher, dass man hier noch viel entdecken wird."

Denn ein "Gefangenbuch" der Jahre '33 bis '35 dokumentiert eben weit andere Verbrechen als Diebstahl, Holzklau und dem verbreiteten Delikt im damaligen Dinslaken: "unerlaubtes Glückspiel". In den sauber geführten Haftlisten stechen rot unterstrichene Eintragungen ins Auge. Es sind Namen wie Wilhelm Lantermann oder Jeanette Wolff. Seitenweise Listen von Menschen, die die Nationalsozialisten in "Schutzhaft" nahmen, die sie in Gruppen ins Gefängnis brachten, die laut "Gefangenbuch" gleichzeitig eingeliefert wurden.

Das Buch zeigt, wie die Verhaftungen politisch Verfolgter in organisierten Schlägen erfolgten. Und dies bereits in den ersten Wochen nach der Machtergreifung 1933. So erscheint Jeanettes Wolffs Name am 16. März 1933, "ein Jahr früher als bisher bekannt", so Gisela Marzin. Auch August Dickmann, bekannt als erster Kriegsdienstverweigerer 1939, war den Nazis bereits im Juni 1933 ein so großer Dorn im Auge, dass er in "Schutzhaft" genommen wurde.

Wer die Namen rot unterstrichen hat, ist derzeit nicht geklärt. "Was bei uns unterstrichen wird, ist nicht mehr gültig", erklärte Torsten Werner, Geschäftsleiter des Amtsgerichts Dinslaken, juristische Praxis. Das spräche für ein "Röten" nach 1945 im Zuge der Rehabilitierung politisch Verfolgter.

Dass das Stadtarchiv nun zumindest über eine digitale Version des "Gefangenbuchs" verfügt, ist "Glück". Nun muss die wissenschaftliche Auswertung beginnen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort