Dinslaken Das Spiel mit der Illusion

Dinslaken · Eine turbulente und irrwitzige Theaterstunde, die einen pointierten Blick auf die Schattenseiten der menschlichen Natur wirft, gab es am Wochenende in der Remise der Burghofbühne. Gespielt wurde das Ein-Personenstück "Gullivers Reisen" mit Benedikt Thönes

 Benedikt Thönes im Konfettiregen

Benedikt Thönes im Konfettiregen

Foto: BHB/MB

Benedikt Thönes ist der "Benne", Schauspieler im Ensemble der Burghofbühne Dinslaken. So kommt er auf die leere Bühne in der Remise des Tenterhofs, bringt ein paar einfache Requisiten mit und begrüßt einige Anwesende im Premierenpublikum persönlich.

Theater ohne Illusion ist in den heutigen Abendspielplänen gang und gäbe, nun ist bei der Burghofbühne auch das Jugendtheater dran. Aber Theater ohne Schauspiel ist auch nicht das, wofür es die Menschen zum Beispiel in die Studio-Stürmer-Reihe zieht, die in der vergangenen Saison noch Theater Maxi-Menü hieß, und mit deren Umbenennung auch der Wechsel vom kleinen Kämmerchen unterm Dach in die große Remise einherging. Und deshalb ist der Benne auch Liliputaner-König, Riesenkind und sprechendes Pferd. Vor allem aber: Lemuel Gulliver. Held des zunächst Satire- und dann Jugendbuchklassikers von Jonathan Swift, Hauptdarsteller unter den vielen Charakteren, die Benedikt Thönes im Ein-Personenstück von Karin Eppler in der Regie von Mathias Spaan über die Bühne toben ließ. Gestern Abend war Premiere und zugleich Startschuss für die Studio-Stürmer der Saison 2015/16.

Man hat sie vor Augen, die starken Bilder von "Gullivers Reisen": Gulliver von bindfadendünnen Tauen auf dem Boden gefesselt, Gulliver breitbeinig und hünenhaft wie der Koloss von Rhodos. Und auf ihm oder zwischen seinen Füßen hindurchmarschierend die winzigen Liliputaner. Benedikt Thönes erzeugt diese Bilder geradezu pantomimisch. Gerade noch lässt er sich von den imaginären, winzigen Pfeilen der utopischen Inselwelten Swifts pieksen, im nächsten Moment gibt er selbst den König jenes 3-Zoll-Volkes, dass sich in seiner Art der Kriegsführung und Aufrüstung so gar nicht von den Kolonialherren des ausgehenden 17. Jahrhunderts, der Zeit Swifts, aber auch von diversen heutigen Staaten unterscheiden mag. Dieser kleine König jedoch spricht eine Sprache, als sei er eine Mischung aus Minion und dem sprechenden Hund von Loriot, der stets ein "unanständiges Geräusch mit der Zunge macht".

Denn ein Ein-Personen-Stück lebt, zumal wenn die Kulisse nur ein leerer schwarzer Raum ist, von der Fantasie. Da wird eine Leiter zum schwankenden und kenternden Boot, Mineralwasser aus der Flasche zur verschlingenden Woge und die Banane - natürlich - zur Duellpistole. Benedikt Thönes wird zum Soundtrack von "Indiana Jones" zum tobenden "Hulk", kämpft als menschlicher Winzling im Land der Riesen gegen eine wildgewordene Perücke, die zur jagenden Katze wird, mutiert selbst unter jener Perücke zum sanften sprechenden Pferd, das der menschlichen Rasse mit ihrer Missgunst und Triebhaftigkeit in jeder Weise überlegen ist.

Swifts Botschaft bleibt als Subtext erhalten, auch unter dem Geschrei der Riesen, unter deren Stampfen, das Benedikt Thönes auf der Bühne aufhüpfen lässt, unter all dem Spiel mit der Illusion und der Demaskierung zum Schluss, ohne dass der Schauspieler in diesem Theater auf dem Theater noch einmal über das, was er gezeigt hat, reflektiert.

Viel Applaus der 55 Zuschauer in der Remise für eine turbulente und irrwitzige Theaterstunde, die einen pointierten Blick auf die Schattenseiten der menschlichen Natur wirft.

(RP)
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