Dinslaken "Die ganze Stadt war ein Flammenmeer"

Dinslaken · Vor 72 Jahren wurde Emmerich dem Erdboden gleichgemacht. Welches Ausmaß der Schrecken hatte, zeigt ein Brief, den Angehörige von Gerhard Botzen jetzt gefunden haben, geschrieben nur wenige Wochen nach dem Bombardement.

Dinslaken: "Die ganze Stadt war ein Flammenmeer"
Foto: Botzen

Wenn Margret Kratz die Zeitung aufschlägt und Bilder aus dem zerstörten Allepo sieht, wird sie fast täglich an das erinnert, was sich vor 72 Jahren in ihrer Heimatstadt Emmerich abspielte: kein Stein mehr auf dem anderen, völlige Verwüstung. Die 79-Jährige, die mittlerweile im Bergischen lebt, ist Tochter von Gerhard Botzen, den viele alte Emmericher noch durch sein Elektro-Geschäft auf der Steinstraße kennen dürften. Er hatte das verheerende Bombardement vom 7. Oktober 1944 überlebt.

Dieser Tag ist Margret Kratz jetzt wieder vor Augen geführt worden. Denn Angehörige von ihr haben einen bewegenden Brief ihres Vaters gefunden, den er nur wenige Wochen nach dem Luftangriff geschrieben hatte. Er stammt vom 28. Oktober 1944 und schildert eindringlich die Ereignisse.

 Fotos, die den Angriff vom 7. Oktober 1944 zeigen, sind rar. Diese Aufnahmen aus dem Stadtarchiv zeigen Brände aus vorangegangenen Bombardements. Oben: die Gasolinwerke. Unten: das Breitensteingelände.

Fotos, die den Angriff vom 7. Oktober 1944 zeigen, sind rar. Diese Aufnahmen aus dem Stadtarchiv zeigen Brände aus vorangegangenen Bombardements. Oben: die Gasolinwerke. Unten: das Breitensteingelände.

Foto: Stadtarchiv

Zwei Wochen vor dem Angriff hatte Botzen seine Familie bei Bekannten in Bienen einquartiert. Am Nachmittag des 7. Oktober fielen dann die Bomben auf Emmerich. Er selbst war mit einer Bekannten, die ihn versorgt hatte, in einen Keller geflüchtet. "Diese halbe Stunde des Angriffs deuchte uns eine Ewigkeit. In solchen Minuten, wo man mit dem Tode rechnet, da steht man vor Gottes Angesicht. Da kann man nur beten für die Seinigen, dass der treue Herr ihnen weiterhin Vater und Schützer sein möge, dass er, wenn es sein Wille sein sollte, mich nochmals erretten möge. So gingen dann die furchtbar ernsten Minuten um. Der Angriff flaute ab und wir konnten es wagen, aus dem Keller zu steigen. Der Herr hatte mich errettet."

Botzens Haus brannte zwar, hatte aber keine Sprengbomben abbekommen. So gelang es ihm, noch einige Möbel aus dem Haus zu retten. Dann wollte er sich auf einem geliehenen Fahrrad auf den Weg nach Bienen machen. Doch das war gefährlich: "Die ganze Stadt war ein Flammenmeer."

Dinslaken: "Die ganze Stadt war ein Flammenmeer"
Foto: Stadtarchiv Emmerich

Gerhard Botzen schaffte es schließlich auf den Nollenburger Weg: "Auch hier draußen waren alle kleinen und größeren Häuser ausgebrannt. Kein Haus wurde verschont. Dann kam für mich ein schwieriger Weg über den Hüttenweg, van Gülpenstraße, Seufzerallee, Dederichstraße. Hier musste ich mit meinem Rade durch und über größere Bombentrichter. Rauch und Qualm raubten einem fast den Atem."

Am späten Abend hatte er dann Bienen schließlich erreicht und konnte seine Lieben wieder in die Arme schließen: "So hat der treue Herr über Bitten und Verstehn geholfen. Aber das Leid, das über die Emmericher Bevölkerung kam, ist unbeschreiblich. Erst am folgenden Tage konnte man das Unheil einigermaßen überblicken.

Am 8.10., es war Sonntag, fuhr ich nach Emmerich, um zu sehen, ob unsere Keller gehalten hatten. Als ich mich Emmerich von der Landstraße aus näherte, da sah man das vertraute Bild von Emmerich nicht mehr. Die großen Kirchtürme von St. Aldegundis u. St. Martini hatten keine Spitzen mehr. Nur stumpfe Türme ragen nach oben und unsere schöne, evgl. Kirche war gar nicht mehr zu sehen. Schlimmer wurde der Eindruck erst, wie ich zur Stadt hinein kam. Auf der Reeser Straße begann die Verwüstung. (...) Am Kleinen Löwen angekommen war ich entsetzt über das Ausmaß der Zerstörungen. weit und breit nur Trümmer (...). Ganz besonders hat die Hühnerstraße gelitten. Es ist ein Bild des Grauens. Ich hätte nie geglaubt, daß es so etwas Schreckliches gegeben hätte. Wie viel Not, wie viel Leid die Menschen durchstehen mussten, bis sie durch den Tod erlöst wurden, wer kann das schon ermessen. Ich will das grauenhafte Bild nicht weiter schildern, es ist zu schrecklich. Emmerich ist nicht mehr."

Im Folgenden zählt Gerhard Botzen die Verwandten und Bekannten auf, die bei dem Angriff ums Leben gekommen waren. Damit endet der Brief.

Insgesamt starben heute vor 72 Jahren über 600 Menschen im Bombenhagel, den 337 Lancaster-Bomber verursachten. Sie warfen 665 Tonnen Sprengbomben und 707.000 Brandbomben ab. Auch Phosphorkanister fielen auf die Stadt. Emmerich war dem Erdboden gleich gemacht, zu 97 Prozent zerstört.

In Erinnerung an den Luftangriff werden heute von 14 bis 14.30 Uhr alle Kirchenglocken der Stadt geläutet. Außerdem findet um 13.15 Uhr ein interreligiöses Friedensgebet in St. Martini statt.

(RP)
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