Neues in der Stadtbibliothek Die Wiederentdeckung eines großen Erzählers

Dinslaken · Als 2006 in den USA der Roman "Stoner" des 1994 verstorbenen College-Professors und damals so gut wie unbekannten Schriftstellers John Williams, 30 Jahre nach der Erstauflage, wieder veröffentlicht wurde, war das ein verlegerisches Wagnis. Dann aber wurde "Stoner" zu einem internationalen Bucherfolg, wurde 2013 auch ins Deutsche übersetzt und brachte es auch hier auf einen Bestseller-Platz.

Williams zweiter ins Deutsche übersetzter Roman "Butcher's Crossing", in den USA zuerst 1960 erschienen, betritt ein völlig anderes literarisches Terrain als der College-Roman "Stoner": Es ist ein packender Western, der zugleich die amerikanischen Mythen des "Wilden Westens" desillusioniert. Mittelpunktfigur des Romans ist der junge William Adams, der sein Harvard-Studium abbricht, um in den Weiten des amerikanischen Westens die Ursprünglichkeit der Natur zu entdecken und dabei zu sich selber zu finden. Im Sommer 1873 kommt er nach Butcher's Crossing, ein abgelegenes kleines Städtchen in Kansas, in dem vor allem Büffeljäger und Huren leben. William heuert hier zwei Büffeljäger und einen Häuter an und macht sich mit ihnen auf den langen und strapazenreichen Treck nach Colorado, in die Rocky Mountains. Und in einem paradiesischen Tal, inmitten unberührter Natur, finden sie dort die letzte große Büffelherde der USA - und beginnen die ganze Herde abzuschlachten.

Williams beschreibt die Schönheit der herbstlichen Rocky Mountains ebenso eindringlich und genau wie den wochenlangen Abschuss der majestätischen Büffel, den urplötzlich einsetzenden Winter, der die vier Jäger zu Gefangenen des Tals macht, wie den verlustreichen Rückweg nach Butcher's Crossing im Frühjahr 1874. Was die Jäger hier erwartet, sei nicht verraten. Der junge Andrews ist am Ende um einige Illusionen ärmer, aber auch reifer - und immer noch auf der Suche nach dem eigenen Ich.

John Williams Western-Roman verbindet eine spannende Handlung voller unerwarteter Wendungen mit der Verabschiedung eines amerikanischen Mythos, großartige Naturbeschreibungen mit verstörenden Einblicken in menschliche Abgründe.

Und wie der Autor hier seltsame Gestalten und markante Persönlichkeiten zu stimmigen Porträts rundet, ohne auch nur einmal vordergründig zu psychologisieren - das ist große Romankunst und unbedingt lesenswert.

DR. RONALD SCHNEIDER

Williams, John. Butcher's Crossing. Roman; dtv: 2015.

(RP)
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