Dinslaken Dinslakener betreut in Auschwitz ehemalige Häftlinge

Dinslaken · Stefan Querl nahm an der offiziellen Zeremonie des Staates Polen in der KZ-Gedenkstätte bei. Deutsche Delegation gedachte der Ermordeten.

Bei der internationalen Zeremonie zum Jahrestag der Befreiung in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz in Polen war Dinslaken mit vertreten. Stefan Querl, ehemaliger Schüler des Theodor-Heuss-Gymnasiums und Mitglied der evangelischen Kirchengemeinde in Hiesfeld, ist heute stellvertretender Leiter der Villa ten Hompel in Münster. Er engagiert sich im deutschen Freundeskreis der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem und im Maximilian-Kolbe-Werk, einer katholischen Hilfsorganisation für Überlebende aus KZ und Ghettos.

Bei der Gedenkveranstaltung half der 42-Jährige am KZ-Gedenkort Auschwitz erstmals, Zeitzeugen zu betreuen. Er begleitete die ehemaligen Häftlinge persönlich und wohnte der offiziellen Zeremonie des polnischen Staates mit der Regierungschefin bei. Dabei gab es manches zu beachten. So müsse zum Beispiel die Küche in den Quartieren gebeten werden, keine einzelnen Gerichte an den Tischen zu servieren oder riesige Mengen aufzutragen. Vielen Senioren seien große Portionen zu viel, "doch gerade die früheren Häftlinge können wirklich überhaupt nichts übrig lassen oder gar wegwerfen. Essensreste tun ihnen innerlich weh."

Die Erfahrung des Hungerns, die auch nicht verfolgte Deutsche in den zerstörten Städten damals geteilt hatten, verbiete den Zeitzeugen, etwas auf dem Teller zu lassen, selbst den kleinsten Rest Suppe nicht. "Darüber wundern sich Schüler manchmal", schildert Querl. "Die verinnerlichten Lehren der alten Menschen aus Notzeiten muss man Jüngeren bewusst machen und erklären - zumal einige Zeitzeugen zwanghaft Brot horten während der Reisen oder nachts schreien. Das Damalige kommt hoch."

Besondere Wellen schlug während der gemeinsamen Rundgänge in Auschwitz die Auseinandersetzung mit den Tätern. In der Rückschau auf die Ereignisse im Lager, das die Rote Armee vor 72 Jahren befreit hatte, ist das Erinnern politisch schwierig, denn später etablierte eben diese Armee an der Seite von Sowjet-Funktionären die kommunistische Besatzung Polens, die erst 1989 endete.

Ein Jahr zuvor, noch im Kalten Krieg, hatte Stefan Querl als Schülersprecher des THG Auschwitz besucht. Nach dem Anschlag auf ein Asylheim in Hünxe 1991 organisierte er in Dinslaken Gedenkstättenfahrten und Projekte für Flüchtlingskinder in der Unterkunft An der Fliehburg.

An der früheren Rampe und den Überresten der gesprengten Gaskammern von Birkenau gestaltete Querl mit jungen Deutschen eine eigene Versöhnungsgeste im christlich-jüdischen Dialog. Die deutsche Gruppe feierte mit Polen, Ukrainern, Israelis, Österreichern und Belarussen Gottesdienst. Gemeinsam gedachten die Delegationen der Ermordeten.

Die meisten Zeitzeugen waren weit über 90 Jahre alt und trotzdem stundenlang bereit, über das Erlebte zu sprechen. "Das ist für sie Last und Befreiung zugleich", sagt Stefan Querl, "daher begleiten wir sie und hören zu, auch abseits des Programms. Viele bekommen Alpträume, wenn die Gedenktage anstehen, weil plötzlich wieder unmittelbar in ihr Gedächtnis rückt, was im KZ Grausames geschah."

(RP)
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