"Du musst vor dem Alkohol kapitulieren"

Dinslaken · Die Anonymen Alkoholiker sind seit 40 Jahren in Wesel und seit 25 in Drevenack aktiv. In Gruppen versuchen sie, ihre Krankheit zu besiegen. Für Samstag laden die AA zum öffentlichen Info-Treffen ein.

 Klaus (60) und Hannelore (64) sind seit vielen Jahren trocken. Die Gruppentreffen der Anonymen Alkoholiker besuchen sie weiterhin.

Klaus (60) und Hannelore (64) sind seit vielen Jahren trocken. Die Gruppentreffen der Anonymen Alkoholiker besuchen sie weiterhin.

Foto: Malz

Hünxe/Wesel Meist wird das weit verbreitete Problem Alkoholismus verniedlicht beziehungsweise totgeschwiegen - die Anonymen Alkoholiker (AA) tun das nicht. Im Gegenteil. Sie reden miteinander darüber und arbeiten am Ausstieg. In Wesel tun sie das seit nun 40, in Drevenack seit 25 Jahren. Was Betroffene tun können, erklären die AA am Samstag, 17. Oktober, bei einem für jedermann öffentlichen Informationsmeeting ab 14 Uhr im Konferenzraum des Marien-Hospitals Wesel. Mit Hannelore (64) und Klaus (60) - Nachnamen bleiben naturgemäß anonym - sprach RP-Redakteur Fritz Schubert.

Wie kommt man zu den Anonymen Alkoholikern?

"Du musst vor dem Alkohol kapitulieren"
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Klaus Die Eintrittskarte ist der Wunsch, mit dem Trinken aufzuhören. Aber das ist ein Riesenschritt. Ich weiß noch genau, wie ich zu meinem ersten Treffen ging und wer wo gesessen hat. Du musst vor dem Alkohol kapitulieren und vor den anderen in der Gruppe blankziehen. Das ist ja das Problem. Ich war Spiegeltrinker, musste ständig etwas haben und war als Autofahrer ein potenzieller Mörder. Ein Jahr lang habe ich nur zwei Stunden in der Woche nicht getrunken. Das war die Zeit, in der ich beim AA-Meeting war. Seit 1989 bin ich dabei und seit 25 Jahren trocken, gehe aber weiter hin. HANNELORE Ich bin seit 33 Jahren trocken. Manche glauben, sie hätten nach fünf, sechs Treffen alles verstanden und kommen nicht mehr. Für mich gehört die Gruppe zu meinem Leben einfach dazu.

Viele hält sicher die Angst ab, bei den AA Bekannten zu begegnen.

Klaus Das kann passieren, dass man plötzlich auf Verwandte oder Nachbarn trifft. Überhaupt muss man sich vergegenwärtigen, dass auch Ärzte, Richter oder Polizisten dabei sind - Menschen aus allen Bevölkerungsschichten. Entscheidend ist das Vertrauen, das man aufbringen muss, und dass auch nichts vom Gesagten nach draußen dringt. HANNELORE Das Schöne bei den AA ist, dass man auch mit Fahne kommen darf. Ich freue mich dann immer. Denn jeder Rückfall eines Anderen hält mich selber trocken.

Wie helfen die AA-Meetings den Betroffenen?

Klaus Zum Beispiel durch ein bestimmtes Einstiegsritual, das bei jedem Meeting strikt eingehalten wird. Da kann man mit seinem persönlichen Problem, etwa gerade einen Rückfall gehabt zu haben, nicht einfach vorpreschen. Man muss warten lernen. Dann geht es nach der Meldeliste. Das hilft bei der Selbstdisziplinierung. Am Ende der zwei Stunden kann es sein, dass man gar nicht drangekommen ist. Vor allem ist es wichtig, ein Spiegelbild zu sehen: Dem da geht es genauso wie mir - oder manchmal gar noch schlimmer.

Was ist, wenn man ein Gruppentreffen ausfallen lassen muss?

Klaus Dafür gibt es das grüne Buch. Da steht drin, wo überall sich die AA treffen. Ich kann im Urlaub auch auf Teneriffa ein deutschsprachiges Meeting besuchen.

Und bei einem akuten Problem ...

HAnnelore Man kann jederzeit Hilfe durch ein Gespräch bekommen. Ich habe bei einem Saufdruck auch schon mal aus Holland nachts ein Mitglied angerufen. So eine Vertrauensperson muss man sich natürlich selbst suchen. Vielen reicht es, allein die Telefonnummer eines Ansprechpartners im Portemonnaie zu haben. Für alle Fälle. Vor einem Rückfall ist niemand gefeit.

Wie stehen Sie zu Aussagen, dass kontrolliertes Trinken doch gar nicht so schlimm sei, sondern bei Alkoholismus sogar eher hilfreich.

Klaus Davon halten wir nichts. Auch alkoholfreies Bier lehne ich ab. Für einen Autofahrer, der kein Alkoholiker ist, mag das okay sein. Für mich aber ist jedes Bier ein Bier. Viele Sachen sind Kopfsachen. Und auch in den sogenannten alkoholfreien Sorten ist immer noch ein Rest Alkohol. Das wäre dann der Einstieg zum Rückfall.

Und in manchen Lebensmitteln, etwa in Desserts ist auch Alkohol.

Klaus Da ist heute vieles besser geworden. Ich sehe an Büfetts immer öfter Schildchen, die darauf hinweisen, dass hier Gluten drin ist und da Alkohol. Das ist gut so. Die Gesellschaft ist da feinfühliger geworden.

Geben Sie auch außerhalb der Meetings ihre Erfahrungen weiter?

Hannelore Wir gehen in Gefängnisse, in Altenheime und auch in Schulen, stellen die AA vor und erzählen unseren Lebenslauf. Ich gehe zum Beispiel in Weseler Schulen. Am besten in die siebten Klassen. Manche wollen, dass ich in die zehnte komme, aber das ist eigentlich schon zu spät. Dann haben die Jugendlichen schon zu viele Erfahrungen gemacht. KLAUS In Schermbeck gab es mal einen alkoholischen Ausfall auf einer Klassenfahrt. Zur Strafe mussten die Schüler einen Bericht über Alkoholismus schreiben. Lehrer haben uns gebeten, was von uns zu erzählen. Das war sehr gut, denn viele haben gar nicht gewusst, dass das so ausarten kann. Die dachten: Alkoholiker? Das sind doch die Penner im Park!

Wie finden Menschen, die aussteigen wollen, zu ihren Treffen?

Klaus In Wesel gibt es vier Gruppen: Bei der Awo in der Feldmark, an der Gnadenkirche und bei der Katholischen Familienbildungsstätte sowie im Marien-Hospital. Zu allen gibt es Informationen unter Telefon 0281 25378. In Drevenack treffen sich die AA im evangelischen Gemeindehaus am Markt. Kontakt 02856 1896. Außerdem gibt es an der Friedenskirche in der Feldmark eine Gruppe, in der auch Angehörige Hilfe finden. Kontakt: 02802 9467581. Und es gibt öffentliche Informationsmeetings wie das morgen ab 14 Uhr im Konferenzraum des Marien-Hospitals.

(RP)
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