Neu In Der Stadtbibliothek Ein moderner "Taugenichts" aus Österreich

Dinslaken · Versponnene Außenseiter und liebenswürdige Leistungsverweigerer gehören seit der deutschen Romantik zu beliebten Protagonisten der erzählenden Literatur. Wolfgang Hermann, ein profilierter österreichischer Gegenwartsautor, der mit seinen "Faustini"-Romanen auch in Deutschland bekannt wurde, liebt als Romancier solche schrullig wirkenden Außenseiter und hat auch in seinem jüngsten Roman "Die Kunst des unterirdischen Fliegens" wieder eine Außenseiterfigur in den Mittelpunkt gerückt.

Der Ich-Erzähler dieses humoristischen Romans ist ein wohlhabender Firmen-Erbe und zugleich ein entscheidungsunfähiger Träumer, der ziemlich hilflos durch sein Leben stolpert. Der Roman erzählt seine Lebensgeschichte von der Kindheit bis in seine mittleren Jahre. Aufgewachsen in der österreichischen Provinz in einem emotional unterkühlten Elternhaus und unter der Fuchtel eines übermächtigen Vaters flieht er nach der Matura in die Hauptstadt, angeblich um Betriebswirtschaft zu studieren, tatsächlich aber um Philosophie-Seminare zu belegen, attraktive Romanistik-Studentinnen kennen zu lernen und auf den Straßen Wiens zu flanieren. Schließlich gerät er an eine Frau, die im Gegensatz zu ihm genau weiß, was sie will, die ihn heiratet und die bald in der Ehe wie (nach dem Tod seines Vaters) in der Firma das Sagen hat. Ihm bleiben ein Taschengeld und seine Träume, in denen er sich in einen verdeckten Profikiller verwandelt. Ironischer Weise kann er diesen Kino-Traum - in einer überraschenden Variante - am Ende des Romans doch noch realisieren... Mehr sei hier nicht verraten.

Die Stärken des Buches liegen in seiner Situationskomik und seinen satirischen Überzeichnungen, zum Beispiel des Hochschulbetriebes. Doch die Komik ist bei Hermann nie Selbstzweck, sondern ein literarisches Stilmittel, um indirekt die innere Öde einer auf wirtschaftlichen Erfolg getrimmten Gesellschaft zu kritisieren.

Anders formuliert: Der Leser erkennt im Scheitern des Protagonisten an den Normen der Leistungsgesellschaft den Preis, den er selbst für seine Anpassungsleistungen zu bezahlen hatte. Eine moderne "Taugenichts"-Geschichte also, deren Lektüre ebenso amüsiert und gut unterhält wie traurig stimmt.

DR. RONALD SCHNEIDER

Hermann, Wolfgang: Die Kunst des unterirdischen Fliegens; Langen - Müller Verlag: 2015.

(RP)
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