Dinslaken Ein Paukenschlag geht anders

Dinslaken · Die Burghofbühne präsentiert mit Goethes Faust ihre erste Premiere unter dem neuen Intendanten Mirko Schombert.

 Friederike Bellstedt gab einen rastlos gestikulierenden Faust.

Friederike Bellstedt gab einen rastlos gestikulierenden Faust.

Foto: LTB/MB

Im Leben eines Theaters gibt es diese ganz besondere Tage: Das sind die Abende der ersten Premiere, wenn eine neue Mannschaft vor ihrer Bewährungsprobe steht. Freitag war für die Burghofbühne solch ein Tag gekommen: Mit nichts weniger als der Deutschen vertracktem Schicksalsepos Goethes "Faust" hatte man die Kathrin-Türks-Halle im (verkleinerten) Saal zu füllen vermocht. Die Stückwahl hatte noch Mirko Schomberts Vorgänger angeleiert, doch der Neue nahm das mutig an und teilte dem verdutzten Auditorium in einer frappierend ungeübten Rede vor Beginn mit, dass nun ein Paukenschlag folgen werde.

Wie also hat man sich geschlagen? Die Story ist nicht mehr allseits bekannt, drum hier in aller Kürze der Plot: Der hochgelehrte Faust ist seines Suchens überdrüssig und steht kurz vor dem Freitod. Da lockt Mephisto ihn in eine starke Wette: Er könne Faust das Leben lieben lehren und wolle dafür dessen Dienste nach dem Tod. Der Herr Professor willigt ein, wird drauf durch manche Zumutung gehievt und trifft schließlich auf Gretchen, die ihn entflammt. Als ihre uneheliche Schwangerschaft sie gesellschaftlich unmöglich macht, ihr Bruder sie verstößt und Faust den "wackeren" Streiter für Moral ins Jenseits befördert, verfällt das Mädchen dem Wahnsinn.

Was ein furchtbares Ende bedeuten könnte, wird durch Gottes Erbarmen ("Sie ist gerettet.") aufgehoben. Da fällt dem Teufel nichts mehr ein. Gut drei Stunden braucht Schomberts Ensemble in der Regie von Matthias Fontheim, um diese Tragödie in den fast leeren Bühnenraum zu bringen. Nur ein weißes Gemach (irre drehbar und multifunktional) dient - neben dem eifrig für Auf- und Abgänge genutzten Zuschauerraum - als Kulisse. Und darin gibt's noch manches Mal zu lachen.

Das liegt vor allem an Tilman Rose als Mephisto. In farblich zwischen Dunkel und Buntheit zweigeteiltem Hemd und knallig roten Lackschuhen gibt Rose grimassierend seinem Affen mächtig Zucker. Der Studierzimmer-Szene mit dem Schüler (Lara Christine Schmidt) bekommt das gut, wenn Rose seinen Reich-Ranicki ebenso auf der Pfanne hat wie einen Rap.

Bleibt leider nur unklar, warum der gelehrte Faust (als Gast mit Friederike Bellstedt besetzt) auf solch ein geckes Ei hereinfällt. Unklar bleiben auch immer mal weite Teile des Textes. Die Profis hecheln und nuscheln teilweise durch den Abend, dass es ärgerlich ist. (Ob das der Grund ist, weshalb Fausts Auftrittsmonolog gleich drei Mal hintereinander gespielt wird?) Fragwürdig auch, warum es eine Türe gibt, wenn alle nach Belieben durch die offenen Seitenwände gehen?

Wenn die Regie schon bei solchen professionellen Schludrigkeiten nicht eingriff, hätte sie es wenigstens beim rat- und rastlosen Einsatz der Hände tun sollen: Bellstedt kann als Faust fast keinen Gedanken aussprechen, ohne ihn gestisch zu illustrieren. Eine Unsitte, der auch Rose nicht entkommt. Zwei Hauptdarsteller hantieren um die Wette wie beim Theaterkurs der Oberstufe. Noch dazu wird nahezu ständig geschrien. Erregung wird mit Lautstärke verwechselt - das ermüdet und ist einfach von gestern. Lichtblick ist da Christoph Türkay (Dichter, Wagner u.a.), dessen stille klare Stimme Linie ins Studierzimmer bringt.

Die vielen, die in der Pause blieben, erlebten übrigens einen ungleich stärkeren zweiten Teil. Und das lag an Charlotte Wills Gretchen. Die Unbedarftheit eines jungen Mädchens und ihre Zweifel, ob sie richtig tut, brachte Will so auf die Bühne, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Und da war auch Bellstedt für ein paar Minuten still, gefasst und angekommen in ihrer Rolle.

In Vorberichten konnte man lesen, Fontheim und seine Darsteller wollten Faust "herunterholen vom Podest". Das bleibt - mit Verlaub - eine pubertäre bilderstürmerische Attitüde, wenn man nicht weiß, wo er dann unten landen soll. Geht's schief hat man nur Trümmer in der Hand. Eine "Parabel über den Menschen" wolle man, so Inszenator Fontheim noch vorab, uns zeigen. Als wäre das nun eine neue Idee - und weil es um das Menschliche hier geht, kann man an diesem Abend die Besetzung der Titelfigur mit einer Frau erleben. Auch das aber ein alter Hut: Marianne Hoppe war vor vielen Jahren schon ein Lear und Katharina Thalbach gar ein Hauptmann von Köpenick. Was daran ist neu, was ist zwingend? Ein Paukenschlag geht anders.

Einem Abend, der es trotz seines Einfallsreichtums dem Zuschauer immer wieder mit handwerklichen Mängeln schwer macht, geht über weite Strecken fast die Puste aus. Man spürt da ständig irgendeine Absicht. Theater, das verwickelt und verblüfft, ist das aber nicht. Man wünscht diesem Ensemble, wenn es nun seinen Spielplan in den kommenden Monaten erst entfalten kann - und auch den Gastakteuren, noch manchen starken Abend; auch eine sorgfältigere Regie. Denn die acht Darsteller in über 25 Rollen (ganz stark Lisa-Marie Gerl als ordinäre Marthe) haben eine Menge Leidenschaft für Ihr Metier.

Da ist nun also deutlich Luft nach oben in dieser neuen Intendanz. Ob's eine wahre Ära wird, muss sich noch weisen.

(RP)
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