Dinslaken Eine Symphonie für 300 Jazzfreunde

Dinslaken · Jazz in seiner ganzen Vielfalt, mit seiner Energie und Emotionalität, aber auch in seiner komplexen musikalischen Dichte, die die volle Aufmerksamkeit des Publikums fordert, bot die "Jazz Initiative Dinslaken" im Rahmen von "Jazz in der Burg" am Samstag in der Kathrin-Türks-Halle.

 Auf dem Bild: Helmut Eisel (Klarinette), Volker Kamp (Kontrabass) , Joscho Stephan (Gitarre) und sein Vater Günter (Gitarre).

Auf dem Bild: Helmut Eisel (Klarinette), Volker Kamp (Kontrabass) , Joscho Stephan (Gitarre) und sein Vater Günter (Gitarre).

Foto: Heinz Kunkel

Es war ein geballtes Proramm, eine gewaltige Jazz-Symphonie in drei Sätzen ohne ein gemeinsames Thema außer der Virtuosität des Gebotenen, ein Festivalprogramm, dessen Mitwirkenden mühelos jeder für sich dem Publikum einen erfüllten Konzertabend hätte bieten können.

Das Joscho Stephan & Helmut Eisel Quartett, Barbara Dennerlein und SLIXS boten in der "kuschelig" warmen Halle (statt wegen des schlechten Wetters abgesagt im Burginnenhof) ein viereinhalbstündiges Jazz-Feuerwerk, an dem es nur ein einziges Ding zu kritisieren gibt: Es war vielleicht des Guten zu viel.

Bereits das erste Set des Abends riss die rund 300 Jazzfreunde in der Kathrin-Türks-Halle zu Standing Ovations und "Zugabe"-Rufen hin. Joscho Stephan, der mit seinem Trio kongenial auf den Spuren von Django Reinhardt wandelt, und Helmut Eisel, dessen Klarinettenspiel von Giora Feidman geprägt ist, elektrisierten den Saal von der ersten Sekunde an mit einer funkensprühenden Mischung aus Gypsy Swing und Klezmer. Gitarrist Joscho Stephan ist seit seinem letzten Auftritt 2007 in Dinslaken noch schneller geworden, mit Eisel lieferte er sich musikalische Straßenrennen zwischen Pariser Jazzclubs und jiddischen Festsälen, dass es einem schwindelig werden konnte. Und dann hielt Eisel inne, spielte seine "Ballade an einen einsamen Meister", ein Feidman gewidmetes Stück voller schmerzlicher Schönheit. "Klezmer ist Teil unserer jüdischen Kultur", sagte die israelische Tänzerin Ronnie Waldmann, die mit ihren Musikerkollegen von Ikamani den Abend privat besuchte, "und das war das beste Konzert, das ich seit langen gehört habe".

Entsprechend schwer war es im Anschluss für Barbara Dennerlein, allein mit dem weichen Klang einer Hammond B3 das Publikum so zu begeistern, wie es dem Quartett zuvor im Sturm gelungen ist. Auch wenn Dennerlein eine Tastenzauberin ist, allein der Klang der legendären Orgel, den die Musikerin und Komponistin mit einem gesampelten Kontrabass auf den Pedalen kombiniert und somit mehr pulsierenden Druck gibt, gab Dennerleins Set den Charakter eines ruhigen Mittelsatzes zwischen dem Vivace zu Beginns und dem Allegro con fuoco (oder war es ein Alegro loco?), das den raffiniertem Blues-Stücken Dennerleins folgen sollte.

Hinter SLIXS verbergen sich sechs Vokalartisten, die mit Funk, Jazz, Beatbox und selbst erfundenen Sprachen und einer verrückten Show den A-capella-Gesang auf völlig neue Umlaufbahnen katapultieren.

Katharina Debus, Karsten Müller, Gregorio D'Clouet Hernández, Konrad Zeiner, Thomas Piontek und Michael Eimann singen Bachs Goldbergvariationen (in Dinslaken die Nr. 7, die Dame im Publikum, die die richtige Nummer erriet, gewann eine CD). Sie interpretieren Shakespeare-Sonette in Close Harmony. Sie schreiben französische Funknummern, die sie mit der akustischen Illusion einer kompletten Band intonieren und lassen das sprachkundige Publikum über die Qualität des Textes abstimmen. Dazu wuselt die Truppe über die Bühne, dass sich ihre Mikrofonkabel verheddern.

SLIXS machen die Panne, dass es keine schnurlosen Mikro gab, zum Teil einer Show, die in der akustischen Evolutionsgeschichte von der Entstehung des Leben im Ozean bis zu Funk und Jazz zum Mitsingen gipfelt, Konrad Zeiner verwandelt sich dafür in ein menschliches Didgeridoo.

Da tanzen dann endlich auch die Füße derer, deren Herzen schon während des gesamten Sets tanzten, wie es SLIXS auf der Bühne vom Publikum erspürten.

(bes)
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