Voerde Geißler und sein Verständnis von Luther

Voerde · Der Christdemokrat und frühere Bundesminister war zu einer Lesung aus seinem Buch "Was müsste Luther heute sagen?" nach Friedrichsfeld gekommen. Stattdessen trug er frei vor und zog das Publikum in seinen Bann..

 Heiner Geißler sprach im evangelischen Gemeindezentrum in Friedrichsfeld anlässlich des Reformationsjubiläums darüber, was Luther den Menschen heute wohl sagen würde.

Heiner Geißler sprach im evangelischen Gemeindezentrum in Friedrichsfeld anlässlich des Reformationsjubiläums darüber, was Luther den Menschen heute wohl sagen würde.

Foto: Markus Joosten

Sein Buch "Was müsste Luther heute sagen?", das wohl der Grund dafür gewesen war, ihn anlässlich des Jubiläums 500 Jahre Reformation einzuladen, schlug Heiner Geißler im evangelischen Gemeindezentrum in Friedrichsfeld gar nicht erst auf. Stattdessen trug er gut anderthalb Stunden frei vor und erläuterte einige Ansichten zu Luther. Doch wie kommt Heiner Geißler eigentlich zu Luther? "Ich bin ja Katholik, Jesuitenschüler und wollte sogar mal Mönch werden", erklärt Geißler. "Da hätte ich allerdings ein Gelübde über Armut, Keuschheit und Gehorsam ablegen müssen. Mit zwei von diesen drei Dingen hatte ich ein Problem. Die Armut war es nicht", sagt Geißler. Die Gäste im Gemeindezentrum lachen.

Schon in seiner Jugend sah er sich mit Luther konfrontiert und mit dem Gehorsam Autoritäten gegenüber konnte er noch nie viel anfangen. "Jeder intelligente Katholik ist in seinem Innern auch gleichzeitig Protestant. Man muss den Mut haben, selbstständig zu denken", sagt Geißler. Luther habe sich gegen eine "Sündentheologie" gestellt, die "nicht die Botschaft des Evangeliums" war.

Statt durch Ablässe und Vergebung durch Geistliche würden Menschen, so Geißler über Luthers Ansichten, nur durch die Gnade Gottes Erlösung finden. Aus dieser These leitete Luther dann weitere ab, die zum Bruch mit der katholischen Kirche führten, aber auch zu Anfeindungen aus den Reihen von Rittern und Bauern, die, basierend auf Luthers Lehre, ihre Lehnsherren beseitigen wollten. "Luther wollte nicht, dass seine Theologie für politische Zwecke missbraucht wird."

Dabei habe Luther, so Geißler, auch für die Frauen viel getan, da diese nun auch Kirchenämter übernehmen konnten. Überhaupt waren die Rechte der Frauen für Geißler in seinem Vortrag ein großes Thema. "Es ist eine Frechheit zu behaupten, die Frau wäre aus der Rippe des Mannes geschaffen worden", erklärte der 86-jährige Politprofi. Und mit dieser Idee und jener der Erbsünde würde noch heute oft gegen die Frauen kirchliche Politik betrieben. Auch mit der Idee, dass alle Menschen Sünder seien, konnte sich Geißler noch nie anfreunden. "Die eigentlichen Sünder laufen frei herum: Terroristen, Mädchenhändler und Spekulanten", sagt Geißler. Ein Dorn im Auge ist ihm auch die Sexualmoral der katholischen Kirche. "Da werden von Leuten Vorschriften gemacht, die von der Praxis keine Ahnung haben", sagt der 86-Jährige.

Man müsse sich gemeinsam einsetzen für ein ethisches Fundament für politische Entscheidungen, das auf Liebe, Hilfsbereitschaft und einem christlichen Menschenbild fußen soll. Dazu solle man sich, gerade als Christ, politisch engagieren, meint Geißler mit Blick auf das Erstarken rechtsextremer Kräfte. Für seine Ausführungen gibt es langanhaltenden Applaus vom Publikum.

Heiner Geißler wurde 1930 in Oberndorf am Neckar geboren. Von 1977 bis 1989 war er Generalsekretär der CDU, von 1982 bis 1985 Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit. Als Politiker hat er mit manchen Aussagen polarisiert. 2007 trat er der globalisierungskritischen Organisation Attac bei. Immer wieder tritt Geißler als Vermittler in Erscheinung, so bei verschiedenen Tarifkonflikten oder beim Bahnhofsbauprojekt Stuttgart 21.

(RP)
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