Ahmad Khartabil Jeden einzelnen Fall menschlich prüfen

Dinslaken · Dem Vorschlag von Innenminister de Maizière, Flüchtlingen aus Syrien nur noch eingeschränktes Asylrecht zu gewähren, kann der in Dinslaken lebende Syrer Ahmad Khartabil nicht zustimmen. Das Flüchtlingsproblem werde dadurch nicht gelöst.

Ahmad Khartabil arbeitet als Lehrer und Dozent am Robert-Bosch-Berufskolleg in Duisburg. Nachdem der heute 37-jährige Syrer sein Bachelor-Studium in Maschinenbau an der Uni Damaskus absolviert hatte, kam er 2002 nach Deutschland, studierte an der Universität Duisburg-Essen Maschinen- und Anlagenbau und schloss sein Studium mit Diplom und Promotion ab. Er lebt in Dinslaken, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Khartabil ist seit 2004 Unterstützer der CDU, seit 2014 gehört er ihr als Mitglied an. Er ist am Sonntag, 15. November, Beginn 15 Uhr, Gast der der Jungen Union (JU) Dinslaken. In deren offener Vorstandssitzung, die in der CDU-Geschäftsstelle, Gartenstraße 41, stattfindet und in der es um die Flüchtlingssituation geht, spricht Khartabil zum Thema "Syrien - eine Frage der Geschichte".

Herr Khartabil, Innenminister Thomas de Maizière wollte veranlassen, dass Flüchtlinge aus Syrien in Deutschland nur noch subsidiären Schutz erhalten, also zeitlich begrenzten Schutz ohne Recht auf Familiennachzug. Syrern sollte nur dann vollständiger Flüchtlingsschutz gewährt werden, wenn sie ein individuelles Verfolgungsschicksal nachweisen können. Haben Sie als Syrer Verständnis für diese Haltung?

Khartabil Ich respektiere Herrn de Maizière. Vieles von dem, was er tut, macht Sinn. Der Innenminister versucht in der gegenwärtigen Flüchtlingskrise etwas zu improvisieren. Ich sehe allerdings im subsidiären Schutz keine Lösung. Die Flüchtlinge, die ihre Familien nach Deutschland holen wollen, haben zwei Möglichkeiten. Entweder sie machen das auf dem normalen Weg der Familienzusammenführung oder sie werden einen Schleuser damit beauftragen - doch dann kommen die Familien unter großen Gefahren nach Deutschland. Ich finde, dass der subsidiäre Schutz von Nachteil ist, für die Syrer und auch für den Staat. Dadurch wird keine Lösung angeboten. Denn die Flüchtlinge, die hier sind, haben keine andere Wahl, als ihre Familie hierhinzuholen, entweder auf der Balkanroute oder aber auf anderen Wegen, die ihnen offenstehen.

Wie sollteaus Ihrer Sicht der Umgang mit Flüchtlingen aus Syrien aussehen?

Khartabil In der gegenwärtigen Lage sollten hier in Deutschland alle Asylbewerber-Fälle, besonders von Syrern, einzeln geprüft werden. Man sollte nicht sagen, wir bieten allen Flüchtlingen subsidiären Schutz, vielmehr sollte jeder einzelne Fall menschlich geprüft werden, nicht politisch. Das kostet natürlich Zeit und verursacht einigen Aufwand, aber das wäre dann auch fairer für die Betroffenen. Damit würde die Gesellschaft dann auch den menschlichen Auftrag erfüllen. Ich habe volles Verständnis dafür, dass Herr de Maizière Wege sucht, um die Ausnutzung des Asylrechtes einzudämmen. Sein Vorschlag müsste modifiziert werden. Es müssen nun Debatten geführt werden, nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch auf Volksebene.

Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptgründe, die Syrer bewegen, ihr Land, ihre Heimat zu verlassen?

Khartabil Die Syrer haben lange Zeit gehofft, dass der Krieg irgendwann vorbei ist und dass das Regime abtritt. Dann hat Russland sich eingemischt und Assad unterstützt. Auch die Gegner von Assad haben Unterstützer gefunden. Die Menschen in Syrien haben gesehen, dass die Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende damit unberechtigt ist. Ich gehe davon aus, dass der Krieg weitergeht. Die Hoffnungslosigkeit treibt nun die Menschen in Massen aus ihrem Land.

Wie beurteilen Sie die Flüchtlingssituation? Kann Deutschland auf Dauer so viele Menschen aus anderen Ländern aufnehmen?

Khartabil Deutschland hat während des Balkankrieges mehr Flüchtlinge auf einmal aufgenommen als heute syrische Flüchtlinge. Die Zahlen sind gegenwärtig viel geringer als zu Zeiten des Balkankriegs. Auf der anderen Seite kommen sehr viele Menschen in sehr kurzer Zeit. Da sehe ich schon eine gewisse Gefahr. Es muss auf jeden Fall eine Lösung gefunden werden. Diese Lösung muss allerdings in den Herkunftsländern der Flüchtlinge gefunden werden. Es geht um drei Nationalitäten: hauptsächlich Syrer, Afghanen und Iraker. Ich sehe auch, dass Europa wirtschaftlich und finanziell sehr stark ist, doch wurde die außenpolitische Seite vernachlässigt. Die Europäer können sich nicht tatsächlich durchsetzen gegenüber anderen Ländern, wie zum Beispiel den USA.

Wie lange kann Deutschland weiterhin so viele Flüchtlinge aufnehmen?

Khartabil Bis jetzt ist das noch machbar. Aber langsam gerät das außer Kontrolle. Ich frage mich, was passiert in einem Jahr. Irgendwann ist Deutschland voll und kann niemanden mehr aufnehmen. Ich glaube schon, dass wir eine Lösung finden, wo wir sagen, wir helfen sehr gerne und werden euch auch weiterhin in jedem Fall unterstützen. Wir haben sehr tolle Beispiele dafür, wie die Menschen den Flüchtlingen geholfen haben. Wir sehen es beispielsweise an der Fliehburg in Dinslaken, wie die Menschen freiwillig den Schutzsuchenden helfen und ihnen zur Seite stehen. Es ist vorbildlich, was das deutsche Volk auf diesem Gebiet leistet. Wir wollen aber auf keinen Fall, dass die Hilfsbereitschaft kippt. Langsam sehe ich, dass die Rechtsextremisten eine Bühne haben, sie haben Zuhörer und beginnen die Situation auszunutzen.

Wie sollte es weitergehen? Was kann man tun?

Khartabil Wir brauchen ein gemeinsames europäischen Vorgehen in der Flüchtlingskrise, um eine Lösung zu finden. Syrien und Irak, Russland und die USA müssen einbezogen werden und natürlich auch die Türkei. Die Lösung kann wirklich nur gemeinsam gefunden werden.

HEINZ SCHILD FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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