Dr. Michael Heidinger Keine Schulpolitik gegen den Elternwillen

Dinslaken · Dinslakens Bürgermeister nimmt Stellung zu den Konsequenzen, die aus dem Schulgutachten gezogen werden müssen und erklärt, wo aus seiner Sicht die Verantwortung für die finanziellen Probleme der Stadt liegen.

Dr. Michael Heidinger: Keine Schulpolitik gegen den Elternwillen
Foto: Büttner Martin

Herr Dr. Heidinger, die Politik hat sich in die Sommerpause verabschiedet. Danach stehen wichtige Themen an. Eines davon ist die Entwicklung der Dinslakener Schullandschaft. Das vorliegende Schulgutachten sieht für die Sekundarschule keine Zukunft mehr. Ist diese Schulform in Dinslaken damit beerdigt?

Michael Heidinger Nein, das ist sie nicht. Es geht darum, vor dem Hintergrund des Gutachtens die verschiedenen Optionen zu diskutieren. Das wird die Politik tun. Sie hat ja auch deutlich gemacht, dass sie sich dafür entsprechend Zeit nehmen will. Ich halte es auch für richtig, dass wir da eine sehr ernste und tiefgehende Diskussion führen. Wie die dann ausgeht, müssen wir sehen. Aus meiner Sicht wird ein ganz zentraler Punkt sein, dass wir die Eltern der verschiedenen Schulformen mitnehmen. Ich kann mir in Dinslaken keine schulpolitische Entscheidung vorstellen, die gegen den Willen der Eltern getroffen wird.

Nun ist das ja so eine Sache mit dem Elternwillen. Der ist bei der Realschule in Dinslaken zum Beispiel eindeutig. Die Eltern wollen diese Schulform. Teilen Sie aber nicht auch die Einschätzung, dass die Schulpolitik des Landes Nordrhein-Westfalen genau diese Frage anders sieht?

Heidinger Die Landesschulpolitik hat ein Problem. Wir haben in Nordrhein-Westfalen - und das war nun einmal Bestandteil des Schulkompromisses, der ja von einer breiten politischen Mehrheit getragen worden ist - Elemente eines integrierten Schulsystems neben den Elementen eines gegliederten Schulsystems. Das ist es, was uns hier vor Ort Probleme bereitet. Wir können die Rahmenrichtlinien, die das Land vorgibt, nicht kurzfristig ändern. Das heißt, wir haben mit dem zu arbeiten, was wir vorfinden, und deswegen muss sich auch Schulpolitik in Dinslaken nach diesen Bedingungen richten.

Diese Vorgaben laufen aber aus heutiger Sicht darauf hinaus, dass vom gegliederten Schulsystem auf Sicht nur die Gymnasien übrig leiben werden. In dem Gutachten für Dinslaken steht doch eigentlich auch schon drin, dass die Realschule keine Zukunft hat. Hat es denn für eine Kommune Sinn, sich gegen diese Entwicklung zu wehren?

Heidinger Wenn das so ist, muss man das auch irgendwann auf Landesebene beschließen. Das aktuelle Schulrecht sieht doch völlig zu Recht vor, dass die Eltern befragt werden, wenn wir über Schulformen reden. Und wenn sie befragt werden, dann werden sie ihre Meinung zum Ausdruck bringen, und danach hat sich Schulpolitik vor Ort dann auch zu richten. Wenn wir also über längerfristige Perspektiven nachdenken, dann muss das in einer Diskussion auf Landesebene geschehen. Wir in Dinslaken haben die Rahmenbedingungen hinzunehmen, die uns die Landespolitik vorgibt.

Ist damit Schulpolitik vor Ort nicht in einer Zwickmühle? Heute die Dinslakener Realschule zu schließen, dürfte sich wohl kaum politisch durchsetzen lassen, was im Übrigen ja auch der Gutachter sagt. Besteht aber nicht die Gefahr, dass man, je länger Dinslaken an der Realschule festhält, die integrierten Schulformen in der Stadt schwächt. Das war doch jetzt bei der Sekundarschule zu erleben. Es gibt Kommunen, wo diese Schulform funktioniert. Aber nur dort, wo die Realschulen geschlossen worden sind.

Heidinger Genau deswegen sage ich ja, dass wir diese Frage nicht auf der Dinslakener Ebene regeln können. Das muss auf der Landesebene diskutiert werden. Dort müssen die Probleme, die die aktuelle rechtliche Situation natürlich auch vor Ort hervorruft, gelöst werden. Wir in Dinslaken müssen versuchen, aus den Gegebenheiten, die wir vorfinden, das Beste für Schülerinnen und Schüler in Dinslaken zu machen.

Es ist also in der Tat noch völlig offen, wie die Schuldiskussion in Dinslaken ausgeht.

Heidinger Das würde ich politisch so einschätzen. Richtig ist, dass wir mit dem Gutachten eine Grundlage haben. Was daraus folgt, muss jetzt sehr intensiv diskutiert werden unter breiter Beteiligung aller relevanten Akteure. Das haben wir ja auch so gemacht, als die Entscheidungen zur schulpolitischen Landschaft, wie sie sich zurzeit in Dinslaken darstellt, getroffen wurden. Dann werden wir sehen, in welche Richtung es geht.

Wird das Rathaus nach den Ferien Vorschläge machen?

Heidinger Wir werden jetzt erst einmal sehen, wie sich die Politik positioniert. Mit dem Gutachten haben wir die Grundlage, gemeinsam mit der Politik zu diskutieren. Die Politik ist ja wie wir auch in intensivem Kontakt mit den Eltern.

Wie lange wird nach Ihrer Einschätzung diese Diskussion dauern, bis sich ein Ergebnis abzeichnet?

Heidinger Wir sind nicht unter Zeitdruck. Wer glaubt, die Dinge übers Knie brechen zu müssen, wird in den seltensten Fällen erleben, dass dabei etwas Vernünftiges herauskommt. Ich empfehle also, dass wir uns die Zeit nehmen, die wir brauchen. Deswegen möchte ich jetzt auch keine Terminvorgaben machen.

Nach der Sommerpause wird sicherlich auch die Stadtentwicklungspolitik ein bedeutendes Thema bleiben. In Dinslaken ist, wie sich ja an vielen Stellen der Stadt sehen lässt, in den vergangenen Jahren viel bewegt worden. Haben Sie aber nicht inzwischen auch den Eindruck, dass das vorgelegte Tempo den Dinslakenern zu viel wird?

Heidinger Ich sehe mit großer Sorge, dass dieses Gefühl tatsächlich entsteht, insbesondere weil viele Bürger die Fragen der Finanzierung anders einschätzen, als sie tatsächlich sind. Ich nehme wahr, dass Bürgerinnen und Bürger die Millionenbeträge im Kopf addieren, die die verschiedenen Projekte erfordern und daraus dann ableiten, dass in einer finanziell schwierigen Situation eine solche Investitionspolitik unverantwortlich ist. Diesem Eindruck müssen wir entgegentreten, denn die finanziellen Probleme der Stadt Dinslaken rühren nicht daher, dass wir das tun, wofür wir als Kommune da sind - nämlich kommunale Vorsorge zu treffen und in Infrastruktur zu investieren. Unsere finanziellen Probleme kommen daher, dass wir Aufgaben des Bundes bezahlen, die er uns insbesondere mit den zwölf Sozialgesetzbüchern auferlegt. Deswegen sehe ich es als eine meiner vorrangigen Aufgaben, diese finanziellen Zusammenhänge noch einmal mit den Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren Der Kämmerer und ich werden nach der Sommerpause Stadtteilkonferenzen durchführen, in denen wir den Dinslakener Haushalt erläutern. Dabei wird dann sehr schnell deutlich werden, dass die Investitionen in unsere Stadt, auch wenn sie vom Volumen her erst einmal sehr groß scheinen, nur den geringsten Anteil der Belastungen des städtischen Haushalts ausmachen.

Wie wollen Sie die Bürger von Ihrer Position überzeugen?

Heidinger Ich will das mal an einem Beispiel deutlich machen. Wir diskutieren zurzeit, wie es mit dem Freibad Hiesfeld weitergehen soll. Da gibt es bekanntlich verschiedene Optionen. Eine Variante wäre, dass wir das Bad, so wie es ist, in Stand setzen. Da liegt eine erste Kostenberechnung auf dem Tisch: 3,1 Millionen Euro. Nehmen wir einmal an, eine solche Investition ließe einen Abschreibungszeitraum von 30 Jahren zu. Dann würde diese Investition, da die Zinsen ja zurzeit bei Null liegen, die Bürger rund 100.000 Euro jährlich kosten - drei Millionen Euro auf 30 Jahre verteilt. Jetzt sage ich Ihnen einmal, was die Stadt auch 100.000 Euro im Jahr kostet. Das ist die vom Bundestag Ende vergangenen Jahres beschlossene Änderung des Meldegesetzes. Diese Änderung führt dazu, dass wir in unserem Bürgerbüro zusätzliche Aufgaben übernehmen müssen, für die wir eineinhalb Stellen brauchen. Die kosten 107.250 Euro. An diesem Punkt sieht man, wo die eigentlichen finanziellen Belastungen für unsere Stadt herkommen. Ich glaube, dass es wichtig ist, die Bürger über diese Zusammenhänge aufzuklären.

Sie wollen also auch weiter in die Stadtentwicklung investieren?

Heidinger Man muss Investitionen und Abschreibungen in Relation setzen. Wir errechnen das gerade detailliert, indem wir die Investitionen der vergangenen sieben Jahre, in denen sich ja tatsächlich viel bewegt hat, vergleichen mit den Abschreibungen in diesem Zeitraum. Erste Hinweise deuten daraufhin, dass wir mit diesen Investitionen, die subjektiv als hoch empfunden werden, noch nicht einmal an die Abschreibungen herankommen. Das heißt, was wir momentan machen, würde nicht einmal reichen, den Stand zu halten. Das zeigt, dass wir investieren müssen, um Dinslaken weiterzuentwickeln. Das müssen wir auch so kommunizieren. Wenn wir beispielsweise sagen, dass wir eine Stadthalle brauchen, dann müssen wir das mit den Bürgern besprechen. Die Bürgerbeteiligungen, die wir zu diesem Thema gemacht haben, stimmen mich hoffnungsvoll, dass von den Dinslakenern auch verstanden wird, dass solche Investitionen notwendig sind. Aber noch einmal, ich sehe uns in der Pflicht, dies den Bürgern zu erklären. Und das werden wir auch tun.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE JÖRG WERNER.

(RP)
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