Kolumne Neu In Der Stadtbücherei Lebensgeschichte als Zeitgeschichte: Wolf Biermanns Memoiren

Dinslaken · Am 15. November vergangenen Jahres wurde der Liedermacher Wolf Biermann 80 Jahre alt und beschenkte aus diesem Anlass sich und die Öffentlichkeit mit seinen Lebenserinnerungen ("Warte nicht auf bessere Zeiten"). Die über 500 Seiten starke Autobiographie fand in den Medien eine überaus positive Resonanz und brachte es auf Anhieb auch auf einen der vordersten Plätze der Bestsellerliste. Das Außergewöhnliche an diesen Memoiren ist, dass sich in der Lebensgeschichte Wolf Biermann die ganze Dramatik der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts wieder findet und dass Biermann das alles farbig und fesselnd erzählen kann.

Er konzentriert sich in seinen Erinnerungen auf die wichtigsten Stationen und Zäsuren seines Lebens, die meist auch Zäsuren der deutschen Geschichte sind. Da ist zunächst der Widerstandskampf seines deutsch-jüdischen Vaters, eines überzeugten Kommunisten, gegen das Hitler-Regime. Die Ermordung des Vaters in Auschwitz 1941 empfindet der Sohn als bleibende ideelle und politische Verpflichtung auf den Kommunismus.

Es folgt der gemeinsam mit der Mutter überlebte Hamburger Feuersturm vom Juli 1943, der sich ihm für immer "im Gedächtnis eingebrannt" hat. 1953 geht Biermann dann voller Hoffnungen in den Osten und wird DDR-Bürger aus Überzeugung. Den Mauerbau im August 1961 "begrüßte" er, wenn auch "tieftraurig".

Nach Jahren kritischer Solidarität zur DDR-Führung wurde Biermann 1976 ausgebürgert - was in der DDR regelrechte Erschütterungswellen auslöste. Den inneren Bruch mit dem Kommunismus vollzieht Biermann allerdings erst 1983, die Wende und den deutschen Einigungsprozess erlebt er aus kritischer Distanz. Sympathisch an dieser spannend erzählten Lebens- und Zeitgeschichte berührt die kritische Distanz des Autors sich selbst gegenüber, vor allem zu seiner langen Kommunismus-Gläubigkeit und zu manchem "Politschund" unter seinen Liedern.

Was ihm heute von seinen politischen Hoffnungen und seiner "Hassliebe" zur DDR blieb, ist die "hoffnungslose Hoffnung auf die Vernunft des Menschen". Sehr gelungen und einprägsam lesen sich aber auch viele Porträts von Zeitgenossen und Weggefährten, von Margot Honecker über Robert Havemann oder Peter Hacks bis zu Günter Grass.

DR. RONALD SCHNEIDER

Biermann, Wolf: Warte nicht auf bessere Zeiten! Die Autobiographie; Propyläen Verlag: 2016.

(RP)
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