Dinslaken Neue Vorwürfe im Ölpellet-Skandal

Dinslaken · Das Landgericht Bochum befasst sich mit der Einlassung eines Gahleners, der Angeklagter im Verfahren ist. Eine neue Firma rückt ins Licht.

 Die Deponie der Firma Nottenkämper: Hier wurden unerlaubt Ölpellets abgeladen.

Die Deponie der Firma Nottenkämper: Hier wurden unerlaubt Ölpellets abgeladen.

Foto: Scheffler

Vor dem Landgericht Bochum hat sich ein Angeklagter aus Gahlen im Ölpellets-Skandal umfassend erklärt und dabei der Staatsanwaltschaft und einem beteiligten Unternehmen schwere Vorwürfe gemacht. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, an der Vertuschung beteiligt gewesen zu sein: Sein Unternehmen soll die Ölpellets durch Beimengen anderer Substanzen so verändert haben, dass sie nicht mehr in ihrem Ursprungszustand erkennbar waren. Die Zweite Große Strafkammer am Landgericht befasst sich mit dem Prozess: Der Gahlener ist Mitgesellschafter der Firma Ruhrcarbon, die in der Lieferkette zwischen der Ruhr Oel GmbH (ROG) als Teil der BP in Gelsenkirchen, der Firma RZB und der Deponie Nottenkämper versteckte Ölpellets geliefert hat. Ihm wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, einen Abfall geschaffen zu haben und mit einer falschen Abfallschlüsselnummer an die RZB geliefert zu haben, von wo er zur Deponie Nottenkämper gelangte.

Im bisherigen Verfahren hat der Staatsanwalt eine umfangreiche Anklage gegen den Gahlener erhoben, die nach Auffassung seiner Verteidiger unrichtig ist. In der Sitzung ging es dem Verteidiger des Gahleners jetzt darum, mit einer zweieinhalbstündigen Verlesung einer 101-seitigen Einlassung nachzuweisen, dass die Darstellungen des Staatsanwaltes falsch sind. Dieser Staatsanwalt ist inzwischen nicht mehr für das Verfahren zuständig.

"Die objektiven Rahmenbedingungen sind nicht oder falsch dargestellt worden", stellte der Verteidiger mit Kritik an der Staatsanwaltschaft fest. Vermeintliche Beweise seien gar nicht anwendbar oder aus den Zusammenhängen herausgerissen. Es dränge sich der Verdacht auf, dass es dem Staatsanwalt darum gegangen sei, ein falsches Bild der Tatsachen zu zeichnen und "die gebotenen und ausbleibenden Ermittlungen in Richtung ROG zu rechtfertigen." Die Verteidigung versuchte die Position des Angeklagten mit Protokollen, Zeugenaussagen der ROG und mit E-Mails zu belegen. Mit diesen muss sich nun der neu im Verfahren eingesetzte Staatsanwalt am kommenden Dienstag ab 10 Uhr beschäftigen.

Kernbotschaft: Die Staatsanwaltschaft habe die Rolle der Ruhr Oel GmbH nicht ausreichend beleuchtet. Von dort seien die Pellets noch bis Ende Februar 2015 an Kunden ausgeliefert worden - als ungefährlicher Abfall, mit Wissen der Staatsanwaltschaft. Am Ende der Einlassungen stand der Eindruck im Raum, als habe man die eigentlichen Verursacher im großindustriellen Bereich seitens der Staatsanwaltschaft geschont und einen "kleinen Fisch" in der Lieferkette als Opfer gesucht.

Es sehe so aus, als sei die Verantwortung rückverlagert worden, fasste der Richter die Einlassungen zusammen, als er den Verteidiger nach deren Kern befragte und dieser den Eindruck bestätigte. Während die Frage "Freispruch oder Verurteilung" für den Angeklagten nachvollziehbar der wichtigste Part des Verfahrens ist, wirft das 101-Seiten-Papier ein neues Licht auf den Fall.

Durch einen Sachverständigen soll die Richtigkeit eines Vorwurfes geklärt werden: Die ROG habe die mit Ruß verbundenen Ölpellets, die stark durch Schwermetalle und polyzyklische Kohlenwasserstoffe (PAK) belastet gewesen seien, mit einem falschen Datenblatt der Muttergesellschaft BP versehen und in etwa kostenneutral an das benachbarte Kraftwerk Scholven der Eon als angebliches Nebenprodukt "Petrolkoks (Rußgranulat)" geliefert. "Die ROG als Erzeugerin des Abfalls war es doch", so der Verteidiger, "die die möglicherweise gefährlichen Pellets als harmloses Produkt mit noch dazu eindeutig falscher Abfallschlüsselnummer ohne Hinweise auf die Gefährlichkeit des Materials in den Verkehr gebracht hat, nur um es günstig loswerden zu können." Wenn das Produkt bei der ROG bereits fehldeklariert war, dann erhebt sich für die Verteidigung die Frage, wieso die Bezirksregierung Münster das Datenblatt abgesegnet habe, "ohne den Stoff auch nur ansatzweise zu prüfen".Um die Sicht des Staatsanwaltes zu widerlegen, der Angeklagte habe die Fehldeklarierung erkennen müssen, führte der Verteidiger die Firma Nottenkämper an. Dort seien von der RZB pro Jahr 150.000 Tonnen Material mit eingemischten Ölpellets angeliefert worden und laut Aussage des Geschäftsführers Thomas Eckerth pro 1000 Tonnen jeweils eine Probe von den Lkw-Ladungen gezogen worden. Bei keiner der 150 Proben jährlich sei eine besondere Auffälligkeit festgestellt worden.

Mit Angabe von Daten und Zeugen wollte der Verteidiger belegen, dass die ROG bei der Bezirksregierung Münster erreichte, die Ölpellets als "Produkt" zu bewerten. Durch diese Benennung waren die Pellets besser zu vermarkten.

Um den Angeklagten zu entlasten, erinnerte der Verteidiger an folgende Begebenheit: Bei einer großen Besprechung zwischen Landesumweltamt, Bezirksregierung Münster, Staatsanwaltschaft Bochum und der ROG mit insgesamt 16 Teilnehmern habe die Staatsanwaltschaft am 16. April 2014 "leider und für uns nicht nachvollziehbar vor der eigentlichen Diskussion um die korrekte Abfalleinstufung die Sitzung" verlassen. Die ROG habe sich dann mit der Bezirksregierung Münster über die weitere Einstufung des Materials im Entsorgungsfall als ungefährlichen Abfall geeinigt. Die Einlassung endete mit dem Vorwurf, dass Pellets noch immer fehldeklariert würden. Um das zu belegen, fügte der Verteidiger mehrere Sicherheitsdatenblätter bei, unter anderem das letzte vom 22. Oktober 2015, das noch heute gelten soll.

(RP)
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