Hintergrund Nicht alle für Wegfall der Sperrklausel

Dinslaken · Das nordrhein-westfälische Verfassungsgericht hat die 2,5-Prozent-Hürde für Stadt- und Gemeinderäte gekippt. In einigen Fraktionen wird nun befürchtet, dass die Zersplitterung der Gremien zunimmt und Sitzung künftig noch länger dauern.

DINSLAKEN/VOERDE/HÜNXE Das Verfassungsgericht Nordrhein-Westfalen hat in dieser Woche für politischen Gesprächsstoff gesorgt. Er erklärte nämlich die 2,5-Prozent-Sperrklausel bei Kommunalwahlen für verfassungswidrig. Das Urteil betrifft sowohl Stadt- und Gemeinderäte als auch Kreistage. Mit seinem Urteil hat das Verfassungsgericht die erst im Juni 2016 auf Landesebene von SPD, CDU und Grünen beschlossene Klausel gekippt, die vorsah, dass Parteien und Wählervereinigungen mindestens 2,5 Prozent der Zweitstimmen erringen müssen, um einen Sitz im Rat zu erlangen. Erklärtes Ziel der Sperrklausel war es zu verhindern, dass die Räte weiter durch viele kleine Gruppierungen zersplittern, weil dadurch die kommunalpolitische Arbeit leiden würde. Der Verfassungsgerichtshof sieht dies anders, danach verstößt die Klausel gegen die Wahlrechtsgleichheit, denn sie bewirke, dass nicht mehr jede Wählerstimme hinsichtlich ihres Erfolgswertes das gleiche Gewicht habe.

Was sagen hiesige Kommunalpolitiker zu dem Urteil? "Wir sind der Meinung, dass die Stadträte dadurch viel bunter geworden sind. Außerdem wird der Wille der Wähler in vollem Umfang in den Räten abgebildet", sagt Remzi Ugur, einziges Mitglied der Alternativen Wählergemeinschaft (AWG) im Dinslakener Stadtrat. Nach seiner Überzeugung wurden die kleinen Parteien und Wählergruppen durch die Sperrklausel benachteiligt. Das Urteil ermutigt ihn und seine Mitstreiter, "mit noch mehr Elan und Begeisterung mit den Vorbereitungen der nächsten Kommunalwahlen in 2020" zu beginnen. Der parteilose Hans-Peter Bergmann hat bei der letzten Kommunalwahl seinen Wahlkreis in Voerde direkt geholt und zog so in den Rat ein. Der Wegfall der Sperrklausel, den er generell gar nicht schlecht findet, ist aus seiner Sicht für kleinere Parteien und Bürgerinitiativen interessant. Heinz Brücker, Fraktionsvorsitzender der Unabhängigen Bürgervertretung (UBV), die drei Sitze im Dinslakener Rat hat, hätte es besser gefunden, wenn es bei der 2,5- Prozent-Hürde geblieben wäre. Er sieht die Gefahr, dass es viele kleine Gruppierungen in die Räte drängt. Gebe es viele Einzelkämpfer in den kommunalpolitischen Gremien, würden diese aufgebläht, was die dortige Arbeit beeinträchtige. "Wenn jeder Einzelvertreter etwas zu sagen hat, dann dauern Sitzungen länger." Aber damit müsse man in der Kommunalpolitik leben.

Heinz Wansing, Fraktionschef der CDU im Dinslakener Rat, sieht ebenfalls die Gefahr langer Sitzungen und befürchtet, dass dies Konsequenzen haben wird. "Wenn Sitzungen irgendwann bis tief in die Nacht dauern, muss man sich nicht wundern, wenn Kommunalpolitiker, die wir ehrenamtlich neben dem Beruf tätig sind, diese Arbeit dann zeitlich nicht mehr leisten können und auch nicht wollen." Er sieht die Funktionalität der Räte gefährdet. "Jeder kann sich schon heute einbringen, aber nicht jeder muss etwas im Rat sagen", erklärt der Christdemokrat. In Dinslaken sind die Verhältnisse aus seiner Sicht noch erträglich, in größeren Ruhrgebietsstätten mit Einzelmandatsträger und etlichen Fraktionen schon nicht mehr.

Ähnlich sieht es auch seiner christdemokratischer Kollege aus dem Voerder Rat, Ingo Hülser. Dieser kann sich nicht vorstellen, dass die Ratsarbeit tatsächlich besser wird, wenn die Räte weiter zersplittern, denn "dann dauert alles nur viel länger". Seiner Überzeugung nach reicht eine handvoll Parteien durchaus aus, um ein Problem von allen Seiten zu beleuchten. "Die 2,5-Prozent-Sperrklausel beizubehalten, wäre aus meiner Sicht richtig", so Hülser.

"Differenziert" betrachtet nach eigener Aussage Jan Scholte-Reh, Parteichef der Hünxer SPD und Mitglied im Gemeinderat, die Problematik. Den Wegfall der 2,5-Prozent-Klausel sieht er nicht als das große Problem an, denn er glaubt nicht, dass in Hünxe die Kleinstparteien nun aus dem Boden schießen werden. In größeren Kommunen könne das jedoch ein Problem darstellen, das zu Lasten der Arbeitsfähigkeit des jeweiligen Rates gehe, wenn ein Konsens gefunden werden müsse. "Wer sich politisch engagieren will, hat auch jetzt schon die Möglichkeit dazu." Eine große Gefahr stellt der Wegfall der 2,5-Prozent-Hürde für ihn nicht dar, aber ebensowenig die Chance. "Alles hat eben Vorteile und Nachteile", sagt Jan Scholte-Reh.

(RP)
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